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25. Professor Bernhandi
Die Berliner Theater.
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Jahren pietätvoll zu Darstellungen wieder eingerichtet hat, den Getreusten der
Hauptmann=Gemeinde vorgeführt. Mit mäßigem Erfolge, der ihm dann auch
bei dem Publikum des Lessing=Theaters zuteil geworden ist. Gabriel Schillings
Flucht“ ist in der Dürftigkeit seiner Fabel und in der Schwächlichkeit seines Vor¬
trages kein Stück, um den Beifall oder den Widerspruch der Zuschauer lebhafter
herauszufordern. Jeder erträgt es mit einem gewissen Gleichmut, wie das Einerlei
des Alltagsdaseins. Gabriel Schilling ist ein Künstler mit halbem Können, ein
Landschaftsmaler, der vor seinen beiden Frauen, der angetrauten schlampigen
Eveline und der schwindsüchtigen Russin Hanna Elias, seiner Geliebten, nach einer
kleinen Insel der Ostsee, westlich von Rügen, Fischmeisters Oye, geflüchtet ist,
halb auf die Einladung seines Freundes hin, des Bildhauers Professor Mäurers,
der dort mit seiner Freundin, der Geigerin Lucie Heil, den Sommer verbringt,
halb auf den Rat seines Arztes, des Dr. Rasmussen, der ihn aus der häuslichen
Misère eine Weile befreien will. In der frischen Seeluft, neben dem munteren
Freunde, der eine Fahrt nach Griechenland plant, atmet der gequälte Gabriel eine
Weile auf, bis ihn sein Schicksal erreicht. Die beiden Weiber haben seinen
Aufenthalt erfahren und reisen ihm nach. Erst trifft die Geliebte, dann die Gattin
ein. Vor dem Gezänk der beiden Megären, die sich um ihn streiten, bleibt dem
unseligen Schilling kein anderer Ausweg als der Sprung ins Meer. Die Schau¬
spieler des Lessing=Theaters haben bis zum Ausgang der Spielzeit das ihnen von
Brahm vorgeschriebene Repertoire innegehalten, erst die mit dem September 1913
einsetzende neue Spielzeit wird über die Zukunft der naturalistischen Bühne ent¬
scheiden.
Am Sonnabend, den 18. Januar, brachten sie ohne rechte Wirkung das Lust¬
spiel in drei Akten von Hermann Bahr, „Das Prinzip“ heraus: eine
Schablonenkomödie von ermüdender Redseligkeit. Ein Phantast, von menschen¬
freundlichen Ideen und Schrullen erfüllt, Doktor Friedrich Esch, hat seine beiden
Kinder, Hans, den Jungen, und Luz, die Tochter, nach dem Grundsatz der Frei¬
heit und Selbstbestimmung erzogen: sie können tun und lassen, was ihnen gefällt.
Daraufhin verlobt sich der Gymnasiast Hans auf einem ländlichen Tanzboden mit
der Köchin Lene Kuk, und die mimosenhafte Luz entführt den Gärtner des Hauses,
Deter. Zum Glück verlaufen beide Abenteuer ungefährlich, denn die Köchin hat
längst ein festes Verhältnis mit dem Oberkellner des Wirtshauses in der kleinen
Stadt, und der Gärtner Deter Irle ist ein halber Heiliger und gottseliger Wort¬
schwall. Die Langeweile und die Unnatur der Fabel würden unerträglich sein,
wenn nicht der grobianische Onkel Kreger, ein ehemaliger Weinhändler — „um
die Menschen zu vergiften“ —, der Bruder der Frau Esch, zum Besuch im Hause
weilte und die optimistische Bettelsuppe durch seine Flegeleien würzte. Derber und
natürlicher gab sich am Sonnabend, den 8. März, die Bauernkomödie in einem Akt
„Tod und Leben“ von Ludwig Ganghofer. In demselben Wirtshaussaal
wird von zwei Gesellschaften eine Kindtaufe und ein Leichenschmaus gefeiert, und
zum Schluß gehen der Witwer und die Kellnerin auf den Heuboden. Man war
um zwanzig Jahre zurückversetzt, in die ersten Zeiten des Naturalismus, zum
„Friedensfest" und Vor Sonnenaufgang“
Das Deutsche Theater mit seinem Anhängsel, den Kammerspielen,
hat neben seinen Neueinstudierungen klassischer Dramen eine bunte Reihe deutscher
und ausländischer Stücke aufgeführt, ohne bei den einen wie bei den anderen
einen wirklichen Treffer zu finden. Unter den Neueinrichtungen standen die Shake¬
speareschen Historien Heinrich IV. und Heinrich V. obenan. Seit Dingelstedt durch
seine Aufführungen in Weimar 1864 Shakespeares Königsdramen zu neuem Leben
erweckt hat, sind sie von der deutschen Bühne nicht wieder verschwunden. Auf der
Bühne des königlichen Schauspielhauses leben sie seit den siebziger Jahren in der
Bearbeitung Oechelhäusers in einer trefflichen und charakteristischen Ausstattung,
die der historischen Wahrheit und dem Lokalkolorit annähernd nahekommt, jetzt
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