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25. Professer Bernhal—
Das Zensurverbot gegen=Schuitzlers „Drotessor
Bernhardi“
Von einem hervorragenden Rechtslehrer.
Wien, 18. Januar.
Das von der Zensur in erster Instanz gegen Artur
Schnitzlers neuestes Stück „Professor Bernhardi“ erlassene
Aufführungsverbot hat einigermaßen überrascht, weil es
ein reifes Drama ist, das in einwandfreier Form ein
ernstes Probiem behandelt, das in anderen Ländern von
der Zensur freigegeben wurde und in Oesterreich als Buch¬
drama eine ungehinderte und weite Verbreitung fand und
sogar in Wien anstandslos zweimal zur öjfentlichen
Vorlesung gebracht wurde. Freilich, Bücherzensur und
Theaterzensur sind zweierlei; einst gehörten beide
unter einen gemeinsamen Begriff: die Polizei konnte
verbieten, was ihr gefährlich schien. Heute, seit der 1867
staatsgrundgesetzlich gewährleisteten Preßfreiheit, können
Preßerzeugnisse nur unterdrückt werden, wenn sie gegen
ein Gesetz verstoßen; die Theaterzensur hingegen ist uns
erhalten geblieben, ausgehend von dem Gedanken, daß
die größere Plastik der mimischen Darstellung größere
Gefahren involviert, daß die Wirkung auf eine große
Versammlung Massensuggestionen hervorrufen kann und
daß berechtigte Gefühle der Zuhörer Schonung verdienen.
Wer aufgeführt werden will, muß sich einen strengeren
Maßstab gefallen lassen, als wer bloß gelesen wird, und zwar
nicht bloß einen strengeren, sondern sogar einen anderen:
nicht alles, was man ungestraft sagen und schreiben
darf, ist auf der Bühne erlaubt, sondern auch das gesetz¬
mäßig Zulässige, das genau in den Schranken des Straf¬
gesetzes Gehaltene kann hier verboten werden. Und diese
Zensur geht, da sie nun einmal als eine gesetzliche
Institution besteht, mit voller Berechtigung weit über
eine Prüfung der einzelnen Worte und Sätze des Stückes
Neue Freie Presse.
hinaus, sie greift, wie es in der Ministerialverordnung
dabei zunächst an die Hauptfragen, an den eigentlichen
vom 2. April 1903 über die Zensurbeiräte heißt, schon
Mittelpunkt des Stückes, das Verbot des behandelnden
dann ein, „wenn der gesamte Inhalt und die Tendenz
Arztes und Anstaltsdirektors an den Pfarrer, einer
des Theaterstückes ernstliche Zweifel an der Möglichkeit
Sterbenden die Sakramente zu reichen, weil seine ärztliche
der Zulassung derselben zur Aufführung erregen....
Ueberzeugung dies für den Kranken als ungeeignet erachtet.
Aus dem Umstande, daß keine Verfolgung des Buch¬
Zweifellos ließe sich aus diesem Konflikt ein Tendenz¬
dramas eintrat und die wiederholte Vorlesung nicht ver¬
stück ärgster Sorte machen; der Autor brauchte nur die
hoten wurde, kann immerhin geschlossen werden, daß
Lebensgefahr zu schildern, der ein noch zu rettender Schwer¬
keine solche Verfehlung gegen das Strafgesetz darin vor¬
kranker durch das Erscheinen des Priesters ausgesetzt wird,
kommt, welche den Staatsanwalt zwingen würde, sich mit
und religiösen Fanatismus im Kampfe mit Selbst¬
diesem vielgelesenen Buche zu befassen; seine Theater¬
erhaltung, mit Gatten= und Kindesliebe vorzuführen. Nichts
fähigkeit ist damit nicht erwiesen; die muß nach Inhalt
wäre leichter, als dieses Problem in ärgerniserregender
und Tendenz geprüft werden.
Weise zu einem Sensationsstück auszuschroten, aber
Der Inhalt des Stückes läßt sich kurz wiedergeben.
gerade diese Klippe hat der Autor gänzlich vermieden. Die
Auf der Abteilung des Professors Bernhardi im
Sterbende ist verloren; kein Arzt kann sie mehr retten,
Elisabethinum liegt eine Sterbende, de eine gütige Natur
und auch der Priester ist kein Fanatiker; wenn sein
durch Euphorie, den Zustand des Wohlbefindes, über
Erscheinen eine Gefahr bedeute, dann, erklärt er, „wäre
die schwere letzte Stunde hinüberhilft. „Sie ist verloren,
ich natürlich sofort bereit, mich zurückzuziehen“. Nur um
aber sie glaubt sich genesen.“ Da tritt — der Dichter
die Euphorie handelt es sich, um das Wohlbefinden einer
erspart uns den Anblick des Krankenzimmers und die
letzten Stunde, höchstens um Beschleunigung des Endes
Handlung spielt im Vorraum — der Pfarrer auf, den
für Minuten, und da hält der Priester das Seelenheil
eine Krankenschwester gerufen hat, um der Sterbenden
für wichtiger, der Arzt die Euphorie. Somit ist der Kon¬
den geistlichen Trost und die Absolution zu gewähren;
flikt ganz klargelegt, der Streit zwischen irdischem Wohl¬
aber Bernhardi erklärt: „als Arzt darf ich Ihnen nicht
befinden und Rettung der Seele, und die Rollen sind
gestatten, an das Bett dieser Kranken zu treten," und
dabei ganz gleich verteilt. Ja, wenn man vielleicht
verbietet es ihm, leicht seine Schulter berührend. Während
zweifeln könnte, ob der Dichter Licht und Schatten wirklich
dieser Verhandlungen ist die Schwester auf einen kaum
ganz unparteiisch vergeben hat, so hat er eher dem Pfarrer
merklichen Wink des Pfarrers in das Krankenzimmer
die günstigere Stellung zugewiesen; denn wer bei dem
getreten, um die Kranke auf sein Kommen vorzubereiten,
Gedanken an ein mögliches Jenseits auch nur die ge¬
hat die Euphorie zerstört und die Erschrockene zum
ringste Unklarheit in sich verspürt, der wird sich auf die
Bewußtsein ihrer Lage gebracht. So ist sie gestorben und
Seite des Pfarrers stellen, um so mehr natürlich alle
weder der Arzt noch der Pfarrer haben ihren Zweck er¬
gläubigen Gemüter. Euphorie ist ein Lebensgut; der Güter
reicht; sie starb ohne Euphorie und ohne Sterbesakramente.
höchstes ist es nicht. Also hat bei dieser scharfen Problem¬
Dem Professor aber bricht die Sache den Kragen; sofort
stellung gewiß die Kirche das geringste Recht, sich über
legt das Kuratorium des Elisabethinums seine Würde
Parteilichkeit, über Unrecht und Aufhetzung zu beklagen,
nieder und im Parlament droht eine Interpellation;
eher der Arzt, hinter dem niemand steht als sein Fachwissen.
der Minister will zunächst ausgleichen; der Verwandte
Es wäre also nicht die Art und Weise zu beanstanden,
eines führenden Politikers bietet seine Vermittlung an
und Bernhardi könnte den Sturm beschwören durch eine
wie das Problem behandelt wurde, sondern nur die Frage
entschuldigende Erklärung und durch Ausübung einer
aufzuwerfen, ob es überhaupt auf der Bühne ange¬
Protektion für einen Unwürdigen. Die Erklärung würde
schnitten werden darf. Und diese zweite Frage ist sehr
er abgeben, da er keineswegs ein Kulturkämpfer ist,
einfach zu beantworten: Die ganze kirchliche Komödie des
sondern nur im Einzelfall nach seinem Gewissen gehandelt
Mittelalters, insbesondere die in Kirchen und Kloster¬
hat, die rettende Protektion auszuüben, ver
ine gebäuden aufgeführten Jesuitenko
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