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Aus dem Wiener Theaterleben wird uns berichtet: Krach #
und Kriegssorgen erleichtern auch an der Donau den Theaterbetrieb
ganz und gar nicht. Die Engherzigkeit der Zenfur tut ein übriges,
jeden kühneren Anlauf zu hemmen. Schuitzlers—neueste Komödie
„Professor Bernhardi“ wurde dem Deutschen Volkstheater geradezu
verboten: unbedingt staatsgefährlich kann — auch nach Ansicht der
Behörde — die tapfer in Wespennester greifende Dichtung
nicht sein, da sie der ursprünglich für die Hauptrolle be¬
stimmte Darsteller Herr Onno am Abend der Berliner
Uraufführung am Vorlesetisch in Wien, hernach in einigen
Provinzstädten wird in die Oeffentlichkeit tragen dürfen. Die
Menge wiederum sucht lieber die leichtesten Reizungen: sie meidet
ernste, mit ansehnlichem Bemühen gegebene Dramen, wie Gerhart
Hauptmanns „Michael Kramer“ und rennt zu Operetten und
operettenhaften Theaterstücken. Allerdings sind die Leute selbst
ihren herkömmlichen Lustspiel=Wirten gegenüber heikler geworden.
Oskar Blumenthals „Waffengang“ hat im Deutschen Volkstheater
nichts weniger als siegreich geendet. Und der tantiemenschwere Ver¬
fasser des frei nach Meilhacs „Attaché“ gezimmerten Textbuches der
„Lustigen Witwe“ Victor Léon hat mit einem „Lustspiel“
im Deutschen Volkstheater eine
„Der große Tenor“
Niete gezogen. Ein alternder Wagner=Sänger macht dieselben
Erfahrungen, die vor zehn, fünfzehn Jahren in einem Schönthauschen
Schwank — hieß er nicht „Zirkus=Leute“? — ein von Kräften ge¬
kommener Clown zu erdulden hatte. Das Drum und Drau einer
Mimen=Wirtschaft, Theateragenten, Garderobe=Scherze, Intendauten¬
Blödsinn wird zum bundertsten Mal gezeigt; allein die Zuschauer
gingen diesmal nicht mit, weil die Nahmen=Komödie — Liebe der
Tochter des großen Greises zum naturburschenhaften neuen Tenor;
letzte, zur Ehe führende Liebe des abdankenden Heldensängers;
Eifersuchts=Zwischenspiel des Intendauten und viel zu viel anderes
— ältester Trödel aus der Requisitenkammer des „Theaters auf dem
Theater“ war. Die Darsteller der Hauptrollen spielten mit solchent
Feuereifer, als ob sie ein posthumes Werk des Bayreuthe#Menters
zu beleben hätten. Der Rest war Enttäuschung und Gähnen. A. B.
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Ausschnitt aus: Neue. Wiener Tagbratt, Wicn
29. 15u un
vom:

„Professor Bernhardl“ von Artur Schnitzler.
Herr Ferdinand Onno las gestern abend im Saale
des Ingenieur= und Architektenvereines die jüngste
dramatische Schöpfung Artur Schnitzlers, die fünf¬
attige Komödie „Professor Bernhardi“ deren
Aufführung im Deutschen Vollstheater
beanntlich durch die Zensur verboten
wuroe. Man hat den Dichter oft daran gemahnt,
das Gebiet der Liebelei zu verlassen und an ernste Zeit¬
fragen heranzutreten. Schnitzler hat in seinem jüngsten
Werte diese Mahnung befolgt. In „Professor Bernhardi“
ist die Erotik vollständig ausgeschaltet. Das Grundthema
ist ein delikates Gewissensproblem, bei dem ein Mann der
medizinischen Wissenschaft, Professor Bernhardi, und der
Pfarrer Franz Reder als Protagonisten sich gegenüber=


stehen. Dr. Bernhardi, Professor für interne Medizin, ist
Direktor des Elisabethinums, in dem ein junges Mädchen
im Sterben liegt. Dieses Mädchen befindet sich noch bei
vollem Bewußtsein, und vor ihren brechenden Augen gaukelt
die letzte beglückende Illusion, daß sie bald genesen
werde. Da erscheint der Pfarrer Franz Reder, um
ihr das Sakrament der letzten Oelung zu spenden. Pro¬
fessor Bernhardi verweigert ihm den Eintritt zur
Sterbenden. Während er ihm die Gründe dieser Fürsorge
darlegt, stürzt die Krankenschwester Ludmilla herein und
meldet den Tod des Mädchens. Die Gegner des Dr. Bern¬
hardi, an deron Spitze der Vizedirektor des Elisabethinums,
Professor Ebenwald, steht, benützen diesen Vorfall,
um die Stellung des Direktors der Anstalt zu untergraben.
Schließlich wird er wegen Vergehens der Religionsstörung
angeklagt. Pfarrer Reder als Zeuge bekundet, daß er und
Dr. Bernhardi bloß eine erregte Auseinandersetzung hatten
und daß ihm keineswegs durch Gewaltanwendung der
Zutritt zur Sterbenden verwehrt wurde. Dr. Bernhardi
wird aber gleichwohl auf Grund der Aussage der Kranken¬
schwester Ludmilla zu zwei Monaten Kerker“ verurteilt.
Er büßt die Strafe ab. Die Studenten bringen ihm eine
Ovation. Er ist jedoch kein Ibsenscher Volksfeind und hat
auch die Empfindung, daß er nicht die Rolle eines
Märtyrers seiner Ueberzeugung gespielt habe. Er ist ein
lächelnder Philosoph, der das Menschliche und Allzumensch¬
liche in allen sozialen und religissen Fragen durchschaut
und sich damit abfindet.
Wie man sieht, hat der Dichter sein Problem keines¬
wegs wuchtig angepackt, sondern mit der spielerischen Ironie
des liebenswürdigen Skeptikers behandelt. Die Figuren
des Stückes sind durchweg trefflich charakterisiert, der
geistreiche Dialog mit satirischen Apergus gewürzt. Herr
Onno brachte durch seinen meisterhaften Voxtrag alle
Pointen zur vollen Wirkung und verlieh jeder einzelnen
Gestalt ein charakteristisches Gepräge. Das Publikum
dankte dem Künstler durch stürmischen Beifall.
Berlin, 28. November. (Privattelegramm.)
Im Kleinen Theater hatte Schnitzlers Komödie „Pro¬
fessor Bernhardi“ einen überaus lebhaften Erfolg. Das
Publikum empfand die Komödie als ein Stück vom Tag
für den Tag, als einen bewußten Verzicht auf bleibenden
Gehalt und Wert zugunsten einer unmittelbaren Wirkung,
deren stärkste Quelle aus der politischen Anteilnahme der
Zuschauer fließt. Aber mitten in der Grellheit und
plakatmäßigen Deutlichkeit der Vorgänge hört man
doch mit aufatmender Freude manch feine und tiefe Töne,
und die geistvolle Aussprache Bernhardis mit dem um Ver¬
ständnis klug und ehrlich bemühten Pfarrer wendet sich
mit verdientem Erfolg an unser intellektuelles Gewissen.
Das sehr figurenreiche Stück wurde mit fort¬
reißendem Temperament gespielt. Das Publikum begleitete
die spannenden Vorgänge mit wahrem Enthusiasmus.
Decarli als Professor Bernhardi, Abel als Pfarrer,
Max Landa als Unterrichtsminister, Adalbert als
liberalisierender Hofrat und Kurt Götz als Journalist
Kulka dürfen besonders genannt werden. Schnitzler wurde.“
nach jedem Akt mit stets sich steigernden stürmischen
Beifallskundgebungen gerufen.
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