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S
25. BreBernbandi
mitt aus: Die Lelt, Wien
29. ADVERBER 1912
Theater und Kunst.
Professor Bernhardi.
Komödie in fünf Akten von Artur Schnitzler. (Auf¬
führung in Oesterreich verbotenz Vörgelesen von
Ferdinand Onno am 28. November.
Eine Komödie nennt Schnitzler sein neuestes
Werk. Von diesem Stück läßt sich dasselbe sagen,
was Walpole einmal vom Leben behauptete:
eine Tragödie für die, die fühlen, eine Komödie
für die, die denken. Als dunkler Hintergrund
dient ein Vorfall, wie er wohl alle Tage in
jedem größeren Spital vorkommen mag. Und
vorn, in gemessener Distanz zu diesem Hinter¬
grunde, sehen wir in einer hüllenlosen Deut¬
lichkeit, die riesig lustig wirken könnte, wenn
sie nicht so furchtbar traurig wäre, unsere ver¬
borgensten Gefühlchen agieren, unsere heim¬
lichsten Wünsche und alle jene Dingerchen, die
wir kaum uns selbst einzugestehen wagen,
kriechen hervor und beginnen einen „Reigen",
der nicht immer anmutig ist. Nebenbei zeigt uns
Schnitzler, ironisch lächelnd wie sein Professor
Bernhardi, wieder einmal, daß unser Wissen
nur Illusion und unser Glauben nicht minder.
Viele unserer stolzesten Dogmen werden in
seinem jüngsten Stück seziert, in jedem Akt gibt
es solch eine Sektion, und siehe: fast immer
haben wir eine Fehldiagnose gestellt. Derweil
„der Tumor ganz gerade und scharf umgrenzt
war“. Das Stück ist verboten worden, eben
wegen besagten Hintergrundes: Im Elisa¬
bethinum, dessen Direktor Professor Bernhardi
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ist, liegt ein junges achtzehnjayriges Mädel an
einer hoffnungslosen Sepfis danieder. Ursache:
ein verbotener Eingriff, ein ungeheuerlicher
Preis für das bißchen, was so viele Menschen
für Liebe halten. Es geht zu Ende mit der
Patientin. Man hat ihr noch eine barmherzige
Injektion gegeben und ihr das Sterben zur
Euphorie gemacht. Sie ahnt nichts, gar nichts,
ihr wird so wunderschön, so unwirklich leicht,
bald ist sie gesund, dann kommt der Geliebte
und holt sie heraus aus dem Elend. und es
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wird wieder Frühling werden. Nicht wahr, Herr
Professor? Gewiß. Der Puls kann kaum mehr
gezählt werden, und draußen bereitet schon der
Hospitant Hochroitzpointner aus Imst in Tirol
das Sektionsprotokoll für den Dr. Adler von
der pathologischen Anatomie vor. Draußen steht
auch der Priester, um die Sterbende auf das
Ende vorzubereiten.
Und nun entsteht der Konflikt: der
Professor Bernhardi will die Unglückliche ruhig
hinüberschlummern lassen, doch der Priester
will der „Sünderin“ noch die Absolution er¬
teilen. Schließlich vertritt der Jude Bernhardi
dem katholischen Geistlichen den Weg. Es sind
zwei Weltanschauungen, die da aufeinander
stoßen. Inzwischen ist die Kranke definitiv vom
Leben genesen und hat mitsamt ihren Sünden
den Weg in ein Jenseits angetreten, von dem
Optimisten behaupten, es sei das bessere. Jetzt
setzt die „Komödie“ ein, und man bekommt
allhier zu sehen: wie die Wissenschaft schließlich
nichts ist als Politik, und umgekehrt, wie es
einen Antisemitismus eigentlich nur den an¬
ständigen Juden gegenüber gibt, wie es bei
uns in Oesterreich stets ein Ministerium für
Kultus und Konkordat gegeben hat und geben
wird, und wie das, was wir im Leben so oft
Feindseligkeit nennen, nicht Feindseligkeit ist.
sondern etwas von viel — hoffnungsloserer Art.
Und dann sehen wir noch, daß diejenigen, die sich
aus der Gemeinschaft lösten und unerschrocken
verkündigten, was sie für Recht und Wahrheit
hielten, noch seit jeher verlästert und verbrannt
wurden. So gegen das Ende des fünfzehnten
Jahrhunderts Girolamo Savonarola und
später Giordano Bruno, und noch später Emile
Zola, und noch später...
Schnitzlers Stück, über dessen dramatische
Vorzüge und Schwächen diesmal nicht ge¬
sprochen werden kann, fand in Herrn Onno
einen hochintelligenten, fein difserenzierenden
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Interpreten. Ueberaus interessant war das
Publikum: Alle saßen sie da: der berühmte
Pspchiater, der sich noch der Vorgänge bei der
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Gründung der Polikknikkerinnern mochte, und
der Hofrat und der gäsuchte Advokat; und jeder
reagierte mit der gewissen Reflexbewegung, mit
dem gewissen Lächeln. das besagt: Wie gut, aus¬
gezeichnet getroffen, aber ich bin gewiß nicht der,
den der Schnitzler meint. Und besonders stark
vertreten war der Rechtsanwalt Dr. Golden¬
thal: „Seine Frau trägt so ein Kreuz, seinen
Sohn läßt er in Kalksburg erziehen, und
immerfort hat er Angst, man könnte doch viel¬
her.
leicht glauben...
Die Berliner Premiere.
sch Berlin, 28. November. (Priv.=Tel.)
Artur Schnitzlers verbotene Wiener
Komödie „Professor Bernhardi“ fand am Ver¬
liner Kleinen Theater bei vorzüglicher Dar¬
sillung starken und ehrlichen Erfolg.
Stürmischer Beifall rief den anwesenden
Dichter nach jedem Akt vielmals hervor.