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25. ProfesserBernhar—
box 30/1
Ausschnitt aus:
Beriiner Eeci ranzeigs
vom:
ande
ins Gefängnis. Einen Augenblick scheint es, als
solle er ein Märthrer seiner Weltanschauung wer¬
Kanft und Wissenschaft.
den. Aber als ein Geschöpf des klugen Arthur
K. A. Das Kleine Theater brachte gestern
Schnitzler hat er nicht das Zeug dazu. Er ist zu
gescheit. Auch für ein Theaterstück ist das nicht
Donnerstag) Arthur Schnitzlers neuestes
immer ein Vorzug. Selbstverständlich ent¬
fünfaktiges Perk.„Prosesserfärdi“,
hält auch diese Arbeit des Dichters sehr
das der Dichzine Komödie nennt, vor dem
viel Feines, Gescheites, Interessantes, für
Premierenpäglikum der „großen“ Premieren mit
dies
Premierenpublikum
kräftigem Erfolg zur Erstaufführung. Professor
besonders
empfänglich war, aber schließlich und endlich be¬
Bernhardi, der Direktor eines großen Wiener
dauert man es doch, daß dieser feine Poet einem
Krankenhauses, verweigert dem Priester den Zu¬
solchen robusten Stoff gegenüber eben doch „ab¬
tritt zu einer hoffnungslos Erkrankten, weil der
geklärter“ ist, als er es verlangt. Man ist stets
Anblick des Geistlichen die Leidende, die sich im
interessiert, aber kaum einmal hingerissen. Dafür
Zustand jenes Glücksgefühls befindet, das sich bei
entschädigt dann immer wieder die feine Zeich¬
manchen Schwerkranken nicht allzulange vor dem
nung der Medizinertypen aller Schattierungen
Ende einstellt, erschrecken, schädigen, vielleicht
und die ein wenig zärtliche Ironie, mit der der
töten würde. Als der Priester sich den Zutritt zu
Minister für Kultus und Unterricht sowie sein
der Kranken nicht verwehren lassen will, hält der
etwas anarchistisch angehauchter Hofrat gestaltet
Direktor die Hände vor, wobei er den Priester
werden. Man darf wohl sagen: zwei aus¬
auch körperlich berührt, um ihn von der Kranken
gesprochen österreichischen Typen. Dem Professor
fernzuhalten. In diesem Augenblick stirbt die
Bernhardi gab Herr Decarli all die liebens¬
Kranke. Ein im Grunde nicht gerade komischer
würdige, einnehmende Gesinnungstüchtigkeit ohne
Konflikt ist damit gegeben. Zwei Weltanschau¬
jede Beimischung von Pathos, wie sie der Dichter
ungen treten zum Gesecht an und werden die
sich wünschen mag. Aber sein Widerpart, der
Klingen kreuzen. Hier der Arzt, der die Schwer¬
Priester, fand in Alfred Abel eine noch wirkungs¬
kranke in dem Zustand hoffnungsfrohen Glücks¬
vollere Darstellung: vornehm und überlegen bei
gefühls womöglich bis zum letzten Atemzuge erhal¬
aller inneren Demut, eine vorzügliche
ten will, dort der Priester, dem die Rettungder Seele
Leistung. Max Adalbert war
ein
mehr gilt als solch Glücksgefühl. Mir scheint, an
sehr
diskreter, mit allen Salben gesalbter Hofrat. Nur
sich ein tragischer Konflikt von großer Wucht und
nicht österreichisch genug. Das traf besonders gut
Schwere. Aver Komödie? Nun, schon im zweiten
Herr Landa als Minister. Die Medizinalkollegen
Akt beginnen wir diese Bezeichnung zu verstehen.
Bernhardis finden namentlich in den Herren
Aus dem Kampf zweier Weltanschauungen wird
Klein=Rhoden, Guido Herzfeld und Maximilian
ein Kampf zweier Parteien. Es ist sehr bald kein
rein menschlicher Konflikt mehr, sondern ein poli¬
Wolff gute. charakteristische Vertreter. Eine famose
Charge machte John Gottowt aus dem Unglücks¬
tischer Konflikt sozusagen. Zu Bernhardi steht,
was sich human und liberal nennt. Es ist, wenn
wurm, dem Landarzt Dr. Feuermann. Herr
es drauf und drau geht, nicht sehr viel. Zum
Hubert Heinrich war doch wohl etwas allzusehr
Priester stehen Ultramontanismus und Antisemi¬
Königlich Preußischer, aber nicht k. k. österreichischer
tismus. Das Niveau des Konflikts hat sich ver¬
Militärunterarzt und Kandidat der Medizin.
schoben, die Tragik ist verschwunden, um der Ko¬
Die einzige weibliche Rolle des Werkes, die dazu
mödie Platz zu machen. Aber man merkt dieser
noch etwas stiefmütterlich wegkommt, fand in
Komödie an, daß sie ihre Wurzel allzu sehr im
Traute Carlsen ihre Darstellerin. Die Regie, Di¬
Tragischen hat. Es ist nur selten Gelegenheit,
rektor Barnowski, leistete Vorzügliches und sorgte
einmal lustig zu werden. Eigentlich nur bei
vor allem für ein flottes Tempo, was dem Ganzen
diesem oder jenem feinen, ironischen Wort
sehr zugute kam. Das Publikum klatschte, wie ge¬
des Dichters, das nicht energisch zugreift, um
sagt, sehr kräftig Beifall, so daß der anwesende
den tragischen Konflikt handfest auf den Kopf zu
Dichter nach dem dritten, wie nach dem letzten?
stellen und so wirklich komisch zu gestalten. Dafür
Kllt immer wieder dankendserscheinen mußte.
ist Schnitzler, der ja auch Dr. med. ist, der Stoff
zu schwer ans Herz gewachsen. Und er ist ja nun
einmal auch kein pathetischer Dichter. Mir scheint,
so wurde diese interessante Arbeit im Grunde
etwas ein Zwittergeschöpf, das nicht einmal so
unterhaltend wäre, wie es tatsächlich ist, würden
nicht allerhand Zeitfragen wie Katholizismus und
Klerikalismus immer wieder berührt. Berührt,
gestreift, ironisch gestreichelt, aber nicht fest ange¬
packt. Professor Bernhardi muß um seiner Zu¬
rückweisung des Priesters willen für zwei Monate!