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1. 19½
vol:
Allerlei Neues.
Arthur SchuitzlersProfessor Bernhardi“.
Al. Verkiff wird uns geschrieben: Arthur Schnitzlers
neuestem Werke, der fünfaktigen Komödie „Professor Bern¬
hardi“, die Donnerstag im Kleinen Theater ihre Urauf¬
Fführung erlebte, ging der pikante Reiz des Wiener Aufführungsver¬
botes voraus. Nun ja, die Dinge, die darin berührt, die Probleme,
die darin beleuchtet werden, sind für einen katholischen Staat nicht
sehr angenehm, obgleich alles — wie es bei Schnitzler zur Selbstver¬
ständlichkeit geworden ist — mit Anmut, Laune und Grazie vor¬
getragen wird. Die Idee dieses Stückes ist nur klein: In einem
großen Krankenhaus, dessen Direktor Professor Bernhardi ist, stirbt
ein junges Mädelchen, einer von tausend ähnlichen Fällen! In
ihrer Todesstunde erwacht sie zum neuen Leben, glaubt sich ganz
(gesund und ist voll herrlicher Erwartungen. Da verlangt ein
Priester zu ihr Einlaß, um ihr die letzte Oelung zu bringen, ihr
ein Heil zukommen zu lassen, das sie weit von allen Glücksträumen
fortschleudert. Professor Bernhardi aber will ihr die glückselige
Illusion lassen und verweigert dem Priester den Eintritt zu der
Sterbenden. Das ist der Inhalt des ersten Aktes, der Inhalt des
ganzen Werkes. In den übrigen vier Akten werden die Konse¬
quenzen aus Professor Bernhardis Handlungsweise gezogen, er muß
von seinem Posten freiwillig zurücktreten, wird sogar — durch die
falsche Aussage einer Krankenschwester = zu acht Wochen Gefäng¬
nis verurteilt und geht schließlich halbwegs gereinigt aus der ganzen
üblen Assäre hervor. Schnitzler besann sich darauf, daß er einmal
einen Roman „Der Weg ins Freie" (ein vortreffliches Buch
übrigens) geschrieben hat, das sich hauptsächlich mit den Problemen
des modernen Judentums beschäftigt. Wie in jenem Buch sind auch
in seinem neuesten Drama die meisten handelnden Personen Juden,
moderne Juden in einer modernen Stadt; in allen Schattierungen
mit ihren Fehlern und Vorzügen. Diese Menschen alle, die sich um
den jüdischen Professor Beruh hi gruppieren, Aerzte, Juristen,
Zeitungsreporter, und die im Gegensatz zu Bernhardis arischen
Gegnern stehen, hat Schnitzler mit liebevollem Können studiert und
nachgezeichnet. Sie sind ihm außerordentlich gelungen! Das macht
sein Stück sehr interessant. Von der Komödie selbst muß man
sagen, daß sie sehr unterhaltend und doch ein bischen leer ist. Sie
hat entzückende Szenen, so den letzten Akt, der in dem Vorzimmer
des Kultusministeriums spielt, und in dem ein Brillantseuerwerk
von geistreichen Einfällen, Witzen und Frechheiten vorüberglitzert;
und auch in den übrigen Aufzügen gibt es amüsante Einzelheiten,
z. B. die Szenen mit dem Bezirksarzt Feuermann, dem typischen
Schlemihl, der nichts als Pech hat, oder das Zusammenspiel des
humoristischen Professors Cyprian mit dem fanatischen National¬
juden Dr. Loewenstein, dem Zionisten, wie er im Buche steht.
Wundervoll glitzernde Dialoge, Schnitzlers wahre Domäne, ziehen
sich durch das Stück, sie sind lang, viel zu lang sogar — in den
großen Szenen zwischen Professor Bernhardi und dem Pfarrer, oder
lzwischen Bernhardi und dem Minister, — aber man vergißt über
ihrem funkelnden Fluß ihre Länge, wie man über dem ganzen
blitzenden Geist, der das Stück beherrscht, den eigentlichen Mangel
am großen Problem, am weitausholenden Inhalt vergißt. Fünf
Akte — und eine einzige Idee! Wie staunenswert ist es, daß
Schnitzler daraus ein unterhaltsames Werk machen konnte! —
Gespielt wurde glänzend. Dank der prächtigen Regie des Direktors
[Barnowsky wurde aus dem schwächlichen dritten Akt, der eine
regelrechte Ausschlußsitzung der Professoren des Elisabethkranken¬
hauses zeigt, ein kleines Wunder an szenischem Leben. Seine ge¬
schickte Regie gab dem ganzen den raschen Gang, der dieser Komövie
Lebensbedingung ist. Den Helden des Stückes verkörperte Bruno
[Decarli (sonst in Leipzig!); er gab ihn würdevoll, aber mit
zuviel Temperament. Gewiß kann ein noch so ruhiger Mensch über
die Erlebnisse des Professors Bernhardi etwas nervös werden. —
dennoch stelle ich mir den großen Arzt weit maßvoller vor. Die
Maske, das langgezogene Gelehrten=Gesicht mit dem leicht er¬
grauten Vollbart, war sehr echt. Den gekränkten Pfarrer spielte
Alfred Abel, wie es seine Art ist, mit tiefer Hingabe und sehr
realistisch. Eine prächtige, humoristische Figur machte Guido
Herzfeld aus dem alten, gutmütigen Professor Cyprian; den
Zionisten verkörperte Maximilian Wolff mit großer Echtheit, den
Pechvogel Feuermann John Gottowt mit zappeliger Aengst¬
lichkeit. Die einzige klimperkleine Frauengolle in diesem
männerreichen Stück, die Krankenschwester Ludmilla, spielte Traute
[Carlsen. Arthur Schnitzler, der der Vorstellung beiwohnte, wurde
vom dritten Akt ab auf die Bühne gerufen und mit herzlicheme
„Karl Eicher.
Beifall empfangen.
Die Siegesgöttin von Delphi.
Abrschaft dusz
Spzige Neueste Nachlichtar
50
Vom:
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sie große Trauerfeier stattfinden, an der viele Persönlichteiten desn
Deutschen und auswärtigen Theaterlebens teilnehmen werden.
Schuitzlers „Professor Bernhardi.“ Unser Berliner Theater¬
Mitarbeitens Artur Schnitzlers neue Komödie „Pro=1
fessor Bernhardi“ setzt mit allen Zeichen dramatischer Spannungen
ein, die statt in ironischen Ausklängen ebenso gut im Tragischen
hätten enden können. Professor Bernhardi, der in seiner Klinik ein
armes, sterbendes Mädel liegen hat, verweigert dem katholischen
Priester den Eintritt in das Sterbezimmer, weil die Sterbende im
letzten Aufflackern ihrer Kräfte ihren wahren Zustand nicht ahnt,
weil sie seligster Hoffnung voll ist, in wenigen Stunden, da sie in
Wahrheit dem Tode verfallen sein wird, als Genesene heimkehren
zu dürfen, und weil erst das Erscheinen des Priesters ihr die ent¬
setzliche Erkenntnis des Sterbenmüssens brächte. Bernhardi will
ihr, die gar ihren Freund zum neuen Aufbruch ins Leben erwartet,
das letzte, vielleicht einzige Glück ihres Lebens nicht nehmen: der¬
Priester besteht darauf, die Sterbende nicht ohne das Sakrament heim¬
gehen zu lassen. Und die Kranke stirbt bei der bloßen Nachricht vom
Nahen des Priesters: der Fall als Episode ist abgetan, nur die Epi¬
sode als Anstoß zu öffentlichem Aergernis bleibt. Bernharbi hat sich
zwischen den Seelsorger und seinen Schützling gestellt, Bernhardi hat
sich gegen die alleinseligmachende Kirche aufgelehnt. Hier setzt die
Komödie ein. Der Fall wird aufgebauscht aus der bestimmten Wei¬
gerung des Arztes wird in der Oeffentlichkeit ein physischer Gewalt¬
akt. Rings um Bernhardi, im Kuratorium der Klinik, dessen be¬
rühmter und vorbildlicher Direktor er ist, wird alles frei, was
unter den Kollegen an Neid, Streberei, Ränkesucht gegen das mi߬
liebige Haupt der Anstalt hetzen darf. Da Bernhardi gelegentlich der
Neubesetzung einer Abteilung seines Instituts auch den nepotischen
Pakt mit einem Kollegen ablehnt, der gegen die unterstützte Wahl
seines Proteges die Verhinderung einer Parlamentsinterpellation
durch seinen mächtigen Vetter verspricht, ist Bernhardis Schicksal
umso gründlicher erfüllt, als er Jnde ist.
Die Interpellation
kommt, die öffentliche Anklage wegen Religionsstörung, die Ver¬
urteilung zu zwei Monaten Gefänguis. Da Vernhardi, der natür¬
lich auch seine Direktorstelle im Institut niederlegte, aus dem Ge¬
fängnis heimkehrt, ist aber auch schon die Wahrheit auf dem Wege.
Die Krankenschwester, deren falsche Aussage entscheidend war für die
Verurteilung, widerruft die Aussage in einer Eingabe an das Justiz¬
ministerium. Die ganze Affäre soll noch einmal aufgerollt werden.
Bernhardi, den man im Jubel schon aus dem Gesängnis holen wollte,
Verhardi der Märtyrer soll völlig rehabilitiert werden. Aber er
selbst will zum Erstaunen aller gar nicht. Er selbst, der damals dem
Priester gegenüber nur das Menschliche, nur das Selbstverständliche
tat, will weiter das Selbstverständliche tun, will arbeiten, nicht pro¬
Mitteren.
Die Menschen um ihn sind die Komödie. Der ganze
Plan ist von Figuren hell belebt, die seinste Schnitzlersche Gesichter
tragen. Nicht nur die Professoren um Bernhardi: auch ein brillanter
Minister österreichisch=geschmeidiger Politik und ein noch glänzen¬
derer Hofrat ist da, seine rechte Hand.
Stark ist die Objektivi¬
tät, die auch den Sendboten der Kirche seinen Standpunkt, seine
Ueberzeugungen wahren läßt, und die Auseinandersetzung, in der sich
der gefänqnisentlassene Professor und der ihn aufsuchende Priester
wenigstens für Setunden über Abgründe hinweg finden, mag die
Höhe des Schnitzlerschen Werkes überhaupt sein. Von allen Ecken
und Enden schimmert Wien, schimmert Oesterreich und seine inner¬
politischen Abhängigkeiten durch die Gestalten: die Ueberlegenheit des
Dichters, der seine Typen, seine Gruppen so wählt, daß sie zur Ge¬
samtheit der Gesellschaft endlich überleiten. Man hat denn auch
Schnitzler im „Kleinen Theater“ warm und aufrichtig gefeiert. Sowie
er sich einmal zeigte, mußte er immer wieder kommen. Mit der
Darstellung mußte er wohl zufrieden sein. Rings um Bruno
Decarli, der seiner Energie und Geradlinigkeit außer den menschlich
warmen Tönen auch von Zeit zu Zeit noch spitze Ironien einzufügen
wußte, rings um diesen Professor Bernhardi stand in Alfred Abel
(der Priester), Klein=Rhoden, Landa, Salfner und Guido Herzfeld
(einige der Professoren), eine Gruppe tüchtigster Schauspieler, denen
nichi die ust anmerkte, nicht allzu gestört von Handlung im üihtschen¬
Finn Ich ganz der Charaktermalerei hinzugeben.