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25. ProorBernhandi
Wir sind im christlich=sozialen, also antisemitischen Wien
und Bernhardi ist Jude. In Presse und Parlament geht di
Hetze gegen ihn los. Er soll nach der Aussage der hysterische
Krankenschwester den Priester tätlich beleidigt haben. Bernhard
könnte den Sturm beschwören, wenn er an Stelle eines fähiger
Anwärters einen schäbigen Schützling des klerikalen Klüngels in
das Aerztekollegium der Anstalt aufnehmen würde. Das tu:
Bernhardi wieder nicht, weil es gegen sein ärztliches Gewissen
geht. In dieser unangenehmen Lage offenbaren sich die schönen
Seelen seiner Herren Kollegen und der bürgerlichen Gönner des
Krankenhauses ganz wunderbar. Die einen ziehen sich öffent¬
lich zurück, die erstern lassen ihren Chef sitzen und drängen sich
an den Futter= und Ehrenplatz. Die Perle aber von allen ist
ein Kultusminister, der dem Professor verspricht, im Parlament
seine Sache zu führen, dort aber umfällt und seinem Jugend¬
freund noch einen Prozeß auf den Hals legt, der den Professor
sechs Wochen Gefängnis kostet und das Recht, seine ärztliche
Praxis auszuüben. Diesen Charakter= und Gemütsathleten hat
Ausschnitt aus: Volksstimme, Magdeburf
der Dichter besonders liebevoll gezeichnet, und wegen dieses
Ministerporträts ist, wie Kenner österreichischer Verhältnisse
vom:
meinen, die Aufführung der Komödit innerhalb der schwarz¬
gelben Grenzpfähle noch immer verboten.
B
In der Schilderung dieser österreichischen Verhältnisse, in der
Herausarbeitung der mannigfachenCharaktere liegt der Hauptwert
und das Fesselnde des Stückes. Die Lösung der Frage: Darf ein
Arzt in dem gegebenen Falle den Priester zurückweisen, steht Mensch¬
Zur Volksvorstellung im Stadttheater.
lichkeit höher als kirchliches Gebot?, die anfangs im Vorder¬
Professor Bernhardi.
grund zu stehen scheint, hat d reDichter mit Recht beiseitege¬
schoben. Sie ist für jeden fühlenden Menschen keine Frage. In
Die Komödie „Professor Bernhardi“, die am Sonntag nach¬
dem Professor Bernhardi selbst hat Schnitzler einen Menschen
mittag zur Aufführung gelangt, ist ein neues Stück von einem
N.
geschaffen, der den Gemeinheiten des Lebens nicht gewachsen ist.
zeitgenössischen Dichter. Artur Schnitler,
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jasser
Er ist „Nurarzt“ Gelehrter, Forscher, kein Kämpfer. Der poli=#un
ist ein Oesterreicher und war im Heere unser ##sbrüdeks
tische Lärm, das Hervortreten ist ihm so zuwider, daß er selbst
Militärarz!. Er geriet mit seinen Vorgesetzten in Konflikt und
D
eine neue Gerichtsverhandlung scheut, die ihm die Wiederher¬
wurde gegangen. Einen ähnlichen Vorgang behandelt Schnitzler
ze
stellung seines Aerztepatents bringen müßte. Er nimmt die
in der Komödie. Bernhardi, der Leiter eines aus privaten
Be
Erlaubnis zur Praxis lieber aus der Hand seines phrasen¬
Mitteln unterhaltenen Krankenhauses, kommt in Zwiespalt mit
zitz
drechselnden, wandlungsfähigen Ministerfreundes.
einem Geistlichen, der einer Todkranken die Letzte Oelung geben
du
Die Komödie ist geschickt und ohne wesentliche Längen auf¬
will. Der Professor hindert ihn daran, weil er der Kranken.
gebaut; wohl wird viel geredet, aber der Dialog ist glänzend,
die des Glaubens ist, sie würde bald wieder gesund, diese Ein¬
die Menschen plastisch. Echtes Leben pulst durch das Stück, das
bildung nicht zerstören lassen will. Der menschlich fühlende
auch bei den Besuchern der Volksvorstellung Freunde gewinnen
Arzt weist den Pfarrer ab, und die Kranke stirbt.
wird.
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(Guellenangabe ohne Gewähr.)
oiksstimme, Magseburg
Ausschnitt aus
7-0R11913
vom:
Grote.
erreichen als die der Modernen.—.
Professor Bernhardi fand am Sonntag in der Volks¬
vorstellung eine gute Wiedergab.. Man müßte lediglich wiederholen,
was bei der ersten Vorstellung geschrieben wurde; vielleicht war die
Darstellung noch ausgeglichener und flüssiger. Die Theaterbesucher
folgten den Vorgängen mit großer Anteilnahme und kargten mit Beifall
nicht. Als ebenbürtiger Kollege des Chirurgieprofessors Ebenwald
erwies sich — hinter den Kulissen — Herr Direktor Vogeler. Er hatte
dem Schauspielkorpus das „Hinterteil“ einfach amputiert, allerdings nich
erst bei der Volksvorstellung. Dabei erzielte er zwar einen wirkune
volleren Schluß als der Dichter selbst, buchte aber die Zuschaner
den vollen Genuß.