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25. Professor Bernhardi
ganzen Kraft eines zum Kämpfer geborenen, zum des heute an andern Altären betenden Theaterbe= fessor Bernhardi Jude ist. Und dadurch für mein
Helfer erkorenen Mannes für sie einsetzte; der sie mit
triebes verehrend im Gedächtnis behalten.
Gefühl verengt. Arthur Schnitzler, der den Arzt in
aller Lauterkeit seines Wesens förderte und ihr mit
Heute — heute stehen wir mitten im Verfall.
seinem dichterischen Schaffen nie verleugnet hat, ver¬
der Einseitigkeit des Fanatikers, aber auch mit der
Reinhardt repräsentiert sozusagen das Rom der Kai¬
leugnet auch den Juden nicht — was ihm menschlich
Treue eines edlen Tieres bis zum letzten Atemzug
serzeit. Aber die Vergnügungsstätten neben ihm er¬
gewiß alle Ehre macht, ohne ihn poetisch sonderlich
ergeben blieb — das war Otto Brahm.
füllen uns nicht mit dem Gedanken an die ruhm¬
zu fördern. Er kämpft mit scharfen, durch den Witz
Damals lohnte es noch, über das Theater zu
volle Gegenwart, sondern lassen uns den umschleier¬
allzu scharfen Waffen, für das Judentum. Dem Ka¬
schreiben. Es war eine von allem Firlefanz freie
ten Blick in die Vergangenheit zurücklenken.
tholiken steht nicht nur der vorurteilslose moderne
Kunst. Mehr: eine Lebensangelegenheit. Von hier
.Als der vierte Akt der Schnitzlerschen Komö¬
Mensch gegenüber, sondern auch der Jude.
aus traten Ibsen und Hauptmann ihren Siegeszug
die begann, war die Nachricht vom Tode Otto Brahms
Der Fall wird weiter eingeschränkt, dadurch, daß
e Lande an. Hier wurden die literarischen
eingetroffen. Wir grüßen dich, du mutiger Kämpfer,
er auf österreichische Verhältnisse lokalisiert ist. Das
Schlachten ausgefochten.
du Sieger ohne Hochmut. Wir legen dir den Lor¬
Vorkommnis in der Klinik wird in den Streit des
Auch Brahm vermochte natürlich nicht, die ein¬
beer auf die Bahre, du singulärer Mensch in einer
Tages gezogen, die verschiedenen Parteien nehmen
mal erreichte Höhe zu behaupten. Seine Dichter
lauen Zeit!“
Stellung dazu. Es erfolgt eine Interpellation im
hielten seinem Wagemut nicht gleichen Schritt; seine
Parlament, daraus entwickelt sich eine Anklage wegen
Schauspieler flüchteten teilweise zu andern Göttern.
Religionsstörung, und Bernhardi wird zu zwei Mo¬
Der Lebende verlangi sein Recht. An demselben
Schon in den letzten Jahren seiner Direktionsfüh¬
naten Gefängnis verurteilt.
Abend feierte Arthur Schnitzlers „Professor Bern¬
rung am Deutschen Theater war ein Abstieg unver¬
Der Dichter, der öfter als nötig dem Debatter
hardi"*)
kennbar.
im Kleinen Theater einen Triumph, der zur
das Wort gibt, läßt zum Schluß auch den Ironiker
Hälfte auf das Konto der unvergleichlichen Darstel¬
Als er dann ins Lessingtheater übersiedelte, wech¬
zu Worte kommen und gräbt sich selbst den Boden
lung zu setzen ist. Herr Barnowsky hat mit dieser
selte er nur den Schauplatz seiner Tätigkeit, nicht
unter den Füßen ab. Alle menschlichen Zusammen¬
neuen Regietat seine fest begründeten Rechte auf
seine Prinzipien. Auch ihm blieben Kompromisse
stöße werden sub specie acternitatis, im Lichte einer
die Nachfolge im Lessingtheater erwiesen.
nicht erspart, aber die Konsequenz war seines Le¬
aus Bernhard Shaws Teufelsküche stammenden Iro¬
Die Komödie setzt mit einem schwerwiegenden
bens Leitstern. Und die Konsequenz führte ihn ge¬
nie gesehen. Schnitzler belächelt, was wir iragisch zu
Konflikt ein. Professor Bernhardi untersagt einem
legentlich zur Enge. Aber dann raffte er noch ein¬
nehmen im Begriffe waren. Seiner Weisheit letzter
Priester, ein sterbendes junges Mädchen mit den
mal alle Kraft zusammen und stellte Ibsens Werk
Schluß lautet: durch Rechthaben schafft man sich
letzten Tröstungen der Religion zu versehen, weil
mustergültig in einem Zyklus dar. Unauslöschlich,
Feinde; Rechthaben ist eine Form des Eigensinns;
sich die Patientin im Zustand der „Euphorie“ befin¬
unwiederbringlich. Menschen, die diese vollendeten
vom Rechthaben ist noch keiner populär geworden.
det, also völlig im unklaren über ihr nahes Ende
Aufführungen miterlebt hatten, schüttelten sich die
Michael Kohlhaas, ein bornierter Roßkamm, setzt
ist und durch den Eintritt des Geistlichen jäh aus
Hand zum Zeichen ihrer Zusammengehörigkeit. Das
Gut und Blut für die Chimäre seines Rechtsbegriffs
ihrer Illusion gerissen würde. Hie Priester — hie
Theater — eine Lebensangelegenheit. Wir haben es
ein; aber ein aufgeklärter Wiener Arzt, ein Inde
Arzt; hie Glaube — hie Wissenschaft.
miterlebt, wir werden es in dankbarer Erinnerung
überdies, hat nicht mehr das Zeug zum Märthrer
Der Konflikt wird erschwert, dadurch, daß Pro¬
bewahren, und wir neßden Otto Brahm, den Cato
seiner Ueberzeugung. Was als dramatischer Konflikt
—.
dieser Epoche, alß die nüßergewöhnlichste Erscheinung!
*) Buchausgabe: S. Fischer Verlag, Berlin¬
begonnen, das endet auf dem Glatteis der Glosse.