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Seite 4.
„Die Kinder“, Komödie von Hermann
Bahr, brachten am Montag einen formvoll¬
endeten Kunstabend. Bahr, der geistreiche Plau¬
derer, weiß immer zu fesseln, er, dessen einziges
Gebot es ist „immer modern zu sein, nicht
bloß einmal sein, sondern modern bleiben, das
heißt bei der Beschaffenheit dieses Korrelates
unablässig wechseln, zu jeder Zeit revolutionär
sein“. „Die Kinder“ sind ein echter Bahr. Scha¬
ritzer giftet die Spießer, possiert Weiberver¬
achtung, „eine komplett honette Frau und einen
gänzlich ungehörnten Gatten, den gibt es nicht“
Und wie sich Bahr in der Kritik gegen „die
biederen Jubelgreise mit dem Podagra der Be¬
rühmtheit“ wendet, so sein Hofrat gegen den
zipperligen Aristokraten mit dem alten Stamm¬
baum, bis freilich beide hübsch gleich gehörnt
sind, merken, daß sie sich gegenseitig gehörnt
haben und durch den doppelten Wechsel der
Heirat der Kinder doch nichts im Wege steht.
Dabei versteht Bahr graziös zu plaudern, über
die delikatesten Dinge zierlich hinweg zu kommen,
so daß er selbst hierin nie frivol wird. Und
was dann den echten Bahr auszeichnet, die
haarscharf und lebensfrisch umrissenen Gestalten.
Da ist der kernige Professor Hofrat Scharitzer,
dem Paulmann bis in die kleinste Falte
des Mantels gerecht wurde, dann die reizende
i„kleine Anna, der schöngeistige, sprudelige Back¬
sisch, für den Frl. Schratt eine wunder¬
hübsche Verkörperung fand. Alles an und in
ihr war quecksilberiges Leben, dazu ein schickes,
frisches Spiel und angenehme Stimmittel, kurz,
eine prächtige Erwerbung für unser Theater.
In Fallmann, dem vom Grafen Freyn als
„Vater“ adelig erzogenen Sohn des Professors
Scharitzer, hatte das Kind des Grafen, die
„Tochter“ des Hofrates einen feinsinnigen Partner,
Zaglauer, wußte als Graf Freyn zu er¬
heitern und zu erwärmen, selbst die kleinen
Rollen, wie der „ja, Herr Graf“ sagende Diener
(Brüngger) und das urwüchsige Baierlein
(Homolka) waren bis ins kleinste ausgeglichen.
Hoffentlich erleben wir bald ähnlich vollendete
Aufführungen. Die Kräfte sind da. Dr.—er.
triebe“ zu kommen. Herr Direktor Sundt schreibt
uns diesbezüglich: „Nichtsdestoweniger würde
ich nach dieser Erfahrung selbstverständlich gerne
von einer Wiederholung absehen, wenn ich nich
einerseits vertraglich bei hoher Konventional
strafe hiezu verpflichtet wäre, anderseits auc
geradezu unüberwindliche Repertoireschwierigkeite
dadurch entstünden. Ich hoffe zuversichtlich, da
somit die für Mittwoch den 22. d. M. angesetzt
zweite und letzte Aufführung nicht als ein
Herausforderung, sondern als eine in der Reper
toirebildung und anderen schwerwiegenden, rein
geschäftlichen Ursachen begründete und zwingend
Notwendigkeit angesehen werde und zeichne mi
dem Ausdrucke vorzüglicher Hochachtung Sundt.
Wenn das „Wochenblatt“ in einen
Geschmuse über den Fall auch wieder blödelt,
so ersuchen wir die arischen Theaterbesucher, aus
die Erklärungen des Direktors hin Disziplin
zu halten, und sich jeder Gegenkund
gebung zu enthalten. Am Gesaire¬
des jüdischen Wochenblattes ist das Theate
unschuldig. Sie haben sich halt wieder einma
gefunden, der Aaron Weiß, der Schnitzler uni
der Bernardi, drei reizende Hebräer. Nur ein
Frage wollen wir im Vorbeigehen noch auf
werfen: Wie lang läßt noch Herr Ranzen
hofer seinen ehrlichen arischen Namen dure
jüdisches Geschmuse beschmutzen. Wir glauben
daß es endlich Zeit wird, sestzustellen, ob das
Blatt Organ der Bürgerlichen Demokraten ode¬
der Kultusgemeinde ist, dessen Obmannstellver
treter der eigentliche Schreiber des Blattesist
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Alldeutsches Tagblatt, Wien
26 N.1979
„Alldeutsches Tagblatt“
Eine Kundgebung der Arier gegen Judenfrech¬
heiten im Theater zu Wiener=Neustadt. In Wiener¬
Neustadt kom es am 22. d. ankäßlich der Aufführung
von Artur Schnitzlers—Profefför Bernhardi“, in
welchem Stück Wieder einmal ein „armer Jude von
den bösen Antisemiten verfolgt wird, seitens der
deutscharischen Bevölkerung zu stürmischen Kund¬
gebungen. Deutschnationale und Christlichsoziale be¬
setzten im Theater in allen Teilen viele Plätze. Ander¬
seits hatten aber auch die Sozialdemokraten als ge¬
treue Judenknechte sich in großer Anzahl im ganzen
Theater verteilt. Die ersten zwei Akte gingen ruhig
über die Szene. Im dritten Akt ertönte plötzlich vom
Stehparterre aus und von den Galerien lautes
Zischen. Im vierten Akt wurden bei der Szene, wo
Professor Bernhardi vom Gerichte zurückkommt, Pfui¬
rufe lant, es wurde gezischt und getrampelt, und der
Lärm wuchs derart an, daß die Szene unterbrochen
werden mußte. Die Polizei schritt ein und verhaftete
aus dem Stehparterre vier Studenten. Nach Schluß
des vierten Aktes entstand im Parkett eine laute
Kontroverse zwischen dem Obmann des Theater¬
komitees Vizebürgermeister Püchler und dem Redak¬
teur der „Wiener=Neustädter Zeitung Dr. Thumer.
Nach dem folgenden Akt wurde wieder gepfiffen und:
gezischt. Sodann zog eine große Menge Christlich¬
sozialer und Deutschnationaler zum Zentralwach¬
zimmer im Rathause und verlungte Auskunft über
das Schicksal der vier verhafteten Studenen.
„Die Nachwirkungen des „Professor Bernhardi“ in
Wiener=Neustadt.
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Wie berichtet, kam es bei der Aufführaig keitSahhier.
„Professor Bernhardi“ in Wr. (Prässchkausgabe)
einem Zusammenstoß zwischen Christlichsoziaten und Soziol¬
demokraten. Vizebürgermeister Püchler soll den im Steh¬
parterre demonstrierenden Studenten das Wort „Laus¬
buben“ zugerufen haben. Gestern vormittags wurde nun
an allen fünf ittelschulen der Unterricht eingestellt
und die Studentenschaft zog demonstrierend in den Festsaal
des Gymnasiums, wo ein eintägiger Demonstrattocb X1016
streik beschlossen wurde.
„Maroni, heiße!“
Wiehung.
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