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25 Professer Bernhandi

eher als an einen nahen Tod. Bernhardi will
sie in diesen beseligenden Wahne in das Jenseits
hinübergleiten lassen und verweigert dem von
Schwester Ludmilla herbeigerufe#en Priester, wescher
die letzten Tröstungen der Religion bringen soll, den
Eintritt zu der Sterlenden, mit der Begründung:
er sei nicht nur Arzt, sondern vor allem Mensch.
Deshalb solle das arne Menschenkind, selig im
Grauben an das Leben, an ihr Leben, sterben.
Der Besuch des Priesters müsse in ihr diesen Glau¬
ben jäh zerstören, müsse ihr die furchtbare Gewi߬
heit ihrer Lage geben. Der. Schreck könne sie vor¬
zeitig töten, de Segnungen der Kirche, nach denen
sie gar nicht verlangt hat, wären kein Aequiva¬,
lent zu dem schönen Trugwahn, der ihr ganzes
Wesen leherrscht. Aber der Einsatz seines Menschen¬
tums, den Vernhardi gewagt hat, ist umsonst:
Schwester Ludmilla hat das Mädchen auf den Be¬
such des Prief'ers vorbereitet, und als der Prie¬
ster sich den Eintritt erzwingen will, ist sie be¬
reits verschieden. Das Entsetzen hat sie getötet.
Das ist die ganze Schuld Bernhardis, sein Wille ein
Wien, 1., Schcert.e
schönes, ungetrübtes Sterben zu vermitteln. Jetzt
enische Zeitung
12FER 191
erliebt gegen den absoluten Menschenfreund, den
für den Leitmeritzer Kreis
Freund der leidenden Menschheit, die Gemeinheit in
allen Spielarlen ihr Haupt, die plumpe, jung
Leitmeritz, Böhmen.
verdummte Ceneinheit in Schwester Ludmilla, die
ahigemisch geschulte, die streberisch verängstigte unde
in Eifersucht auf den genialen Arzt erblindete Ge¬
„Prosessor Bernhardi“, Komöd'e in 5
meinheit in einigen seiner Kollegen, die diploma¬
Arten von Arthur Schnitzler. In der dramatischen
#tisch glatte Gen einheit im Unterrichtsminister, die
Entwiclung Autbche wir keine
selbsloe gegen den Semiten verrannte Gemeinhit
von Drama zu Drama, von Konflikt zu Konslitt
des prinzipient##en ehemaligen Korpsstudenten und
aufnäris ilimmende, sondem eine unstäte, ewig
die rückgradlose Geneinheit des Beamtenlophisten.
schwankende, auf und niederbebende Bewegung. Aus
Diese vielköpfige Gemeinheit veranlaßt den rein¬
dem prächtigen, aber starren Rahmen der Renaissance
lichkeitslelenden Art zu vorläufiger Rejignation
„Schleier der Beatrice“) herniedersteigend, setzt er
vom Direktorat. Die gegnerische Presse betreibt
mit starken, dramatischen Abeiten zum erstenmale
mit eielerregender Verlogenheit in einem verzerr¬
in seinen Schauspielen „Liebelei" und „Freiwild“
ten Aufbausch des Wertes der Menschlichkeit eine
ein und erreicht rasch und sicher eine beachtenswerte
Interpellation, die zur strafgerichtlichen Verfolgung
Bedeutung als Verkünder wichtiger sozialer Re¬
und Verurteilung des Arztes Bernhardi als eines
formen. Dann versinkt er jahrelang in sein ur¬
sprüngliches Wesei, in das stille, feinnervige Grüb¬
Neligloneslairere führt. Ansteht und mamsbastz len,
kertum seiner tlespsychologischen Dramen, die als
durch den Sumpf. Es hätte ganz anders ausfal¬
Bühnenwer#e fast unwittsam bleiben, well ihnen
len können, #enn er gewollt hätte, wenn er nur
die dramatische Spannkraft seilt, als Lesedramen
ein kleines, kitzliches, geheimes Kompromiß geschlos¬
aber den un ermeßlichen Schatz seiner künstlerischen
sen hätte; denn er hat Anhang, hat Verbindungen,
Erkenntniskraft offenbaren. Mit glänzender, philo¬
hat einen zum sittliche Schiebertum bereiten, Mi¬
sophisch tiefgründiger Dialestik rührt er in diesen
nister zum Freund, dersihn nur öffentlich, pro
Dramen an die tej=innerlichten Konflitte der Men¬
foro sollen läßt. Aber dem Menschen in Bern¬
schenseele, zu deren Rätselfülle sich die primitive
hardi handelt es sich nicht um seine Person, son¬
Gesühlskraft des normale: Menschen kaum zu ver¬
dern um die Prollamation der Wahrheit; er ver¬
steigen wagt. Hier ähnelt er den nordischen Ib¬
zichtet auf die Wiederaufnahme des Proresses, welche
sen, nur nicht so kantig, so urgewaltig, so unerbitt¬
durch den sich später offerbarenden Meineid der
lich, sondern resignierter, steptischer, melancholischer
Schwester Ludmilla Aussicht auf Erfolg hätte, er
und auch welher und süßer als dieser. Sym¬
verzichtet auf die politische Gloriole des Mär¬
bolistisch und dekadent, frivol und humorvoll, bald
tyrers, die ihm die demokratische Preise und Partei
lar und schlicht, bald pathologisch versunken, ent¬
anträgt, er verzichtet auch auf die ihm leicht mög¬
wickelt er sich zum Meister verträumter Alt= und
liche Abrechnung mit dem= Ministerfreund, dessen
Neuwiener Stimmungsmalerei und in diese weiten
llägliches Zerrbild des Kompromißmenschen ihn nur
Nahmen zum Psychologen des „süßen Mädels“.
noch erheilert. Er widerlegt ihn schärfer, demü¬
Bis er, doch auch unter Aufwand seines ganzen
tigender: ein Fürst verlangt nach Bernhardis ärzt¬
schwerblütigen Apparates, wieder zu dramatischer
licher Kunst, Grund genug für den Minister, dem
Sprungkraft emporschnellt in dem Drama „Der
Kerkersträfling schleunigst den verlorenen Doktor¬
junge Medardus“, feter ätzenden Satire auf das
grad wieder zu verleihen. So enthüllt der Aulor
Wiener Mastbürgertum zur Zeit der Befreiungs¬
zum Schluß die jämmerliche Maske österreichischer
kriege. Und wieder vergrübelt er sich in seherisch
Illogismen mit ironisch sonveränem Lächeln.
tiefer Prosa und Lesedramatik in die unterirdischen
(Schluß folgt.)
w. L
Gegensäle des Lebens. Der Zug der Zeit geht nicht
spurlos an Schnihler vorüber und so formt sich, aus
*
einer Fülle von innerlich verarbeiteten Gelegen¬
heitsmotiren emporgewachsen, sein soziales ethi
sches, religiöses und Standesevangelium in der Ko¬
mödie „Professor Bernhardi“. — Der unmittelbare
Anstoß, die vielfältigen erregenden Momente zu
diesem Drama lassei sich nicht erkennen. Aber einem
scharfblickenden Autor der Oesterreich so lebt wie