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25. Professor Bernhandi
Bernhardi unferkroch, klein beigab, sich in den Quietismus rettete. Er
war fälschlich beschuldigt worden, jenem Priester an der Tür des
Sterbezimmers einen Stoß vor die Brust versetzt zu haben, hatte
seine zwei Monate wegen Religionsstörung abgesessen, war von seinen
Anhängern im Triumph aus dem Kerker geholt worden und sah nicht
ein, warum eine Krankenschwester, die sich selbst des Meineids be¬
zichtigte, ihn bestimmen sollte, die Unbequemlichkeiten eines Beru¬
fungsverfahrens auf sich zu nehmen. Für diese Zuschauer hätte Bern¬
hardi bis zum letzten Augenblick um ein Prinzip kämpfen müssen
und keiner bessern Einsicht zugänglich sein dürfen. Wir An¬
dern aber kamen zu Schnitzler von Schnitzler selbst. Wir glaubten
von vorn herein nicht an die kriegerischen Gebärden dieses Bernhardi.
Wir wußten, daß er am Ende „sei Ruh“ würde haben wollen. Es ist
ganz oesterreichisch und gar nicht jüdisch, aber vielleicht die Tragik
des oesterreichischen Juden, daß das Erbteil seines Stammes, ein alt¬
testamentarischer Trotz, schließlich doch immer aufgeweicht wird;
daß er merkt, wie es geschieht, wie Gewissen ihn feige überlegend
und scheinbar überlegen macht; daß er sich dessen schämt und seine
Scham entweder gar nicht oder nur durch künstlerische Gestaltung
überwinden kann.
Solch ein Akt der Ueberwindung will dieses Stück eines der besien
jüdischen Oesterreicher sein. Es ist sein Vorzug, daß man spürt, wie
ernst es gemeint ist. Es ist seine Schwäche, daß eben doch ein ganz
starker Kerl dazu gehört, um aus diesem Zustand der Unkraft, aus
diesem schmerzlichen Zwiespalt ein Drama; ein noch stärkerer, um
daraus eine Komödie zu machen. Daß eine Faust dazu gehört — eine,
die zupackt, nachdem sie sich oft geballt hat. Schnitzler hat eine Hand,
eine wundervoll weiche, streichelnde Hand, die Wunden nicht reißt,
sondern glättet. Wenn sich sein Arzt und sein Priester gegenüberstehen,
so brechen sie beileibe nicht aus, sondern triefen von Toleranz, über¬
bieten einander an Edelmut, bereiten uns eine aesthetische Freude
durch die Bereitschaft ihrer Argumente, die Geschmeidigkeit ihres
Esprits, die vollendete Höflichkeit ihrer Umgangsformen. Der eine
bezeichnet nach vielen Anläufen mit der christlichen Sanftmut, die
seinem Rocke ziemt, den andern als — also wirklich: als vermessen.
Wär’ ers doch! Dieser Bernhardi ist nur primitiv. Wir schen, daß
er Arzt und Jude und Wiener ist und zuerst protestiert, zuletzt
resigniert. Das ist Alles. Der Mann hat seinen Beruf, seine Abstam¬
mung und seine Wahlheimat — aber wo sind seine Nerven? Er
schreitet oder gleitet von einer schönen Würde zu einer schönen
Wurschtigkeit — aber wo sind die Züge seines Wesens, durch die er
uns trotzdem reizvoll würde? Was also ist er? Ein Titelheld. Der
Mittelpunkt — wenn auch nicht grade die Seele — eines ungemein ge¬
schickten Theaterstücks, das zwar keine Längen hat, weil man ja von
Anfang bis zu Ende diesem spöttischen, kultivierten, funkelnden Gerede
gespannt zuhört, das aber von einer ungeheuern Länge ist, weil das
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