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25. PrBernhandi
Dr. Max Goldschmiet
Büro für Zeitungsausschnitt
BERLIN N 4
Teleion: 1
Ausschnitt aus:
Allgemeine Zeitung, Chemnitz
2 8 Okt. 1929

Kunst und Wissenschaft
e de e e de e
„Neues Stadt=Theater.
25. Oktober: Professor Bernhardi.
Schnitzler ist immer geistreich und anregend.
Nicht, aß#gend etwas, das die Zeitgenossen
vielleicht nur unbestimmt fühlen, ihnen plötzlich
als unerwartet scharf geprägte Frage vorlegen
könnte, oder daß er in einer als Frage bewußt ge¬
wordenen Angelegenheit eine deutliche Richtung zu
weisen hätte: aber er weiß viele Dinge aus der
Atmosphäre der Zeit aufzugreifen und sie anregend
von hier und von da zu beleuchten. Und da er
kein Kopf ist, der im Tagfälligen stecken bliebe, so
sind seine Stücke immer noch und immer wieder
aktuell. Auch dieses aus dem Vorkriegsösterreich.
Ein Arzt verwehrt einem Priester, an das Bett
eines Sterbenden zu treten, weil der Sterbende
in Euphorie liegt und hinüberschlummrn soll,
ohne daß ihm die Aussichtslosigkeit seines Zustan¬
des zu Bewußtsein kommt. Daraus ein Drama
„Gotteshäuser oder Krankenhäuser“ zu machen,
wäre Anzengrubers Sache gewesen. Als Bern¬
hardi unter den Angriffen seiner Gegner die Lei¬
tung seines Institutes niederlegen muß, sagt
Schnitzler: Es ist wirklich schlimm, daß bei uns
in Oesterreich alle Personalfragen auf dem poli¬
tischen Gebiet enden. Daraus ein Drama zu
machen, wäre vielleicht Ibsens Sache gewesen.
Beide hätten versucht, zu erschüttern. Die Synthese
solcher Fragenkomplexe in der Gesellschaftskomödie
war Schnitzlers Sache. Er pointiert und will an¬
regen. Aber dabei verläuft ihm der Schluß etwas
im Sande.
Die Inszenierung durch Heinz Pabst zeigte
eine gute Höhe. Karl Weinig gab einen
prachtvollen Bernhardi, der ganz gegen seinen
Willen in den Mittelpunkt eines Prizipienstreites
gerückt wird; vielleicht hätte er am Schluß noch
ein wenig mehr inneres Gewicht bekommen kön¬
nen. Auch Georg Braatz als Ebenwald war
eine vollsaftige Figur. „Oesterreichische“ Atmo¬
sphäre bekam das Stück vor allem durch Heinz
Pabsts Hofrat Winkler, der das aus Witzblät¬
tern bekannte Verhältnis des Beamten zu seinen
Dienststunden reichlich fidel unterstrich, schauspie¬
lerisch übrigens eine Nowendigkeit, da eine im
letzten Akt neu auftretende Figur sofort scharf
box 31/4
prosiliert dastehen muß. Auch Hilde Müling,
die einzige Frau in diesem Männerstück, bot eine
trefssichere Leistung.
Der äußerst lebhafte Beifall war verdient.
Martin Elsner. 4
mnerenenn
Dr. Max Goldsehmiet
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N 4
Teleion: Norden 3051
Husschnitt aus:
Dresdener Anseiger, Dresden
30 Okt. 1925
Themnitzer Theater. In seinem Drama:
ist Arthur
Bernhardi
[Professor
[Schnitzler nicht der Dichter des fin de siecle,
an den Börigonten steht nicht der letzte Abend¬
schein einer sterbelden Welt, sondern ein
Kampf um neue Ziele wird ausgenommen,
wenn auch nicht ausgetragen. Heute freilich ist
dieser Kampf längst beendet, wenn Rassen= und
Parteifehden dennoch hestiger als je toben, so
vollziehen sie sich unter völlig veränderten Ge¬
sichtspunkten. Ist also der politische Hinterarund
des Stückes verblaßt, seine Menschlichkeit ist neu
und frisch geblieben, zumal sie sine ira et studio?
und ohne pathetische Geste vorgetragen wird.?
Was tut es, ob man dem Professor Bernhardi?
recht gibt, wenn er, wie sein nordischer Kollege
Dr. Stockmann aus dem Volksfeind in fast ver¬
bohrter Hartnäckigkeit tapser „mitten durch“
geht, oder ob man glaubt, mit klugen Kon¬
zessionen seine Sache weiterzubringen — wenn
solche Männer wie dieser Bernhardi und sein
priesterlicher Partner in allen Lagern stünden,
könnte man sich über jeden Abgrund die Hände
freichen, daß aus den Händen eine feste Brücke
wird. Die Erstaufführung im Alten
Theater unter Papstens Leitung fand den leb¬
haften Beifall eines ausverkauften Hauses.
Jeder der vierzehn Arzte, die Schnitzler mit
erstaunlichem Geschick einführt und in immer
neues Licht rückt, trug über den Typus hinaus
Im Mittelpunkt Karl
persönliche Züge.
Weinig, ein Charakterspieler von vielen
Graden, der seine Wandlungs= und Charatie¬
risierungskunst wieder einmal glänzend erwies.
Sein Bernhardi war eine Persönlichkeit, auf
deren Eintritt man wartete, lebhaft, wunderlich,
grüblerisch und mit prächtigem Humor; ein
Mann, größer als die Gestalt des Dichters, der
den Kampf nicht aufgab, um „seine Ruhe“ zu ##
haben, sondern mit weisem Lächeln verzichtete.
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