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Text

S
25 Bernbandi
box 30/1
(Guclenaugse. —
Ausschnitt aus: vessische Zeitung, Berna
vom:
WTry13
Sheater und Mulik.
Kleines Theater.
Zum 1.. Male: Professor Bernhardi. Komödie in 5 Akten
von Arthur Schnitz
Der Zeit ihren Spiegel vorhatnn das hat Shakespeare
empfohlen, das hat Arthur Schnitzler gewollt.
Es sind
österreichische, nicht immer menschliche Zustande, die diese Ko¬
mödie ausgenommen hat, und die Wiener Zensur hat gefürchtet,
daß die k. k. Untertanen sich in diesem Spiegel nicht geschmei¬
chelt finden würden. Uns geht die Sache mehr von weitem an,
und wir konnten uns an dem männlichen Werk eines Dichters
freuen, der seine Sache ursprünglich mit einer gewissen Leiden¬
schaftlichkeit angefaßt hat, um sie durch Besonnenheit zu dämpfen
und durch Spott zu würzen. Es ist ein männliches Werk, auch
dadurch gestempelt, daß die Frauen daraus so gut wie ausgeschlos¬
sen sind, und ich habe absichtlich nicht von einem menschlichen Werk
gesprochen. Dazu fehlt eine gewisse Verallgemeinerung des Einzel¬

falls, eine Idealität, die nach Hebbels Wort aus dem Porträt der
gegenwärtigen Wirklichkeit ein Bild der Welt schaffen müßte.
scheinlichkeit prägte und in Bewegung hielt, ließ solche Bedenken
Der Einzelfall ist durch die an das Zensurverbot geknüpfte Dis¬
nicht vor der Zeit aufkommen. Den diskreten Helden der sich
kussion schon bekannt genug geworden. Professor Bernhardi ver¬
eigentlich mit dem Stück nicht abgeben will, setzte Herr Decarli
hindert aus rein menschlichen und ärztlichen Gründen den Ver¬
in einen Schein von Vornehmheit, von einfacher Gelehrtenwürde,
treter der Kirche, eine sterbende Patientin mit den vorgeschriebenen
der durchaus vorhielt. Die Kollegen um ihn herum, die arischen
Tröstungen der Religion zu versehen. Der berühmte Arzt, Direk¬
und semitischen, dazu der Priester, der Minister, der Hofrat, konn¬
tor des Elisabethinums ist Jude, und so wird sein Fall zu einer
ten sich ausnahmslos auf ihre wohlgeprägten Erscheinungen ver¬
Tendenzsache entstellt, mit der alle Parteien sich abgeben zu müs¬
lassen. Wir erkennen alle an und nennen besonders die Herren
sen glauben. Denn es kann in Oesterreich kein Apfel zur Erde
Klein=Rhoden Abel, Landa, Adalbert Salfner
fallen, ohne daß die Frucht politisch berochen und abgeschält wird.
und Herzfeld als die begünstigten Inhaber der größeren Epi¬
soden. A. E.
Der Minister, ein amüsanter Streber, interveniert, und der Reichs¬
rat interpelliert: Wir sehen unter den Aerzten — das Stück
spielt fast
ganz
zwischen Kollegen
alle
Partei¬
schattierungen auftauchen, von den Zionisten, Liberalen, Deutsch¬
nationalen zu den Klerikalen
und Antisemiten.
Wir
sehen überall Gesinnung, Gesinnungstüchtigkeit und Gesinnungs¬
losigkeit, und über diesem in reizvollen Dialogen verzettelten Ge¬
zeter den ruhigen Gelehrten, der auch im Gefängnis durchaus nicht
anerkennen will, daß ein Beweis ärztlicher Gewissenhaftigkeit
irgend etwas mit politischen und religiösen Problemen zu tun
haben kann. Aber tue einen ganzen Tag das Richtige, sagt ein in
einen Hofrat verkleideter Anarchist, ohne dir dabei etwas Böses zu
denken, und du wirst am Abend im Gefängnis sein.
Der Salonanarchist hat das letzte Wort, und auch der ernste Ge¬
lehrte, den seine unerwünschte Popularität geniert, fühlt zum
Schluß nicht den Beruf, ihm sein Bonmot zu entreißen. Wir
sind in einer Komödie, und die duldet keinen Märtyrer. Zuerst
schien die Temperatur heißer werden zu wollen, da Schnitzler, der
Dichter des „Weiten Landes“ den bei ihm sehr empfindlichen Nerv
des Judentums berührt, aber auch auf diese Tragik läßt sich
Bernhardi nicht ein, der nicht als Jude, nicht als Mensch, sondern
ausschließlich als Arzt gelten will. Diese Zurückhaltung des Hel¬
den und des Stückes macht auch die pathetische Szene, in der der
Mann der Wissenschaft und der Mann der Kirche sich auseinander¬
zusetzen suchen, zu einer pathetischen Unwahrscheinlichkeit. Sie
fällt aus dem Stil eben einer Komödie, die nicht zu gewichtig
werden wollte, und die einmal die Verpflichtung eingegangen ist,
uns mit hübschen Antithesen, mit leicht aufgegriffenen Burlesk¬
figuren zu unterhalten. Bernhardi will seinen Fall nicht verall¬
gemeinert wissen, und
so müssen wir ihm den Gefallen
tun, daß wir ihn für vereinzelt, für österreichisch,
für
genrehaft satirisch halten. Wem das genug ist, der delektiert sich
an den Einfällen und Ausfällen einer geschwinden Konversation,
die ganz allein fünf Akte oder Redeszenen dieser etwas figurlosen
und zu lang aufgeschossenen Komödie bestreitet. Das Publikum
zeigte sich jedenfalls zufrieden und dankte dem Dichter wiederholt
für eine ungewöhnlich gute Unterhaltung. Wer mehr verlangt,
wer mit Bernhardi und allen diesen Figuren, die nur ihre Außen¬
seite zeigen, in engeren oder stilleren Verkehr treten möchte, der
wird allerdings bald allein sein. Eine ungemein verdienstvolle
Vorstellung, die mindestens zwanzig männliche Figuren zur Wahr¬