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DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
27. März. 1913.
des kingen Kultministers, der sein Mantelchen nach dem Winde hangt.
dlie bisweilen doch recht abscheuliche Welt des Seins mit
seines noch klügeren Hofrats und seines widerspenstigen. allzuehrlichen
einem goldenen Schein verklärt, nur ein spöttisches Achsel¬
Freundes Bernhardi: als Bernbardi dem Hofrat Winkler vorhält: „End
zucken ernten: darob werden sich seine hellen Augen nicht
soll ich Ihnen etwas sagen. Herr- Hofrat: Sie in meinem Fall hätten genan
trüben, seine fröhliche Stirn nicht umwölken. seine lachenden
Lippen nicht kräuseln; und wir werden uns die Lust an
so gehandelt.:“ da entgegnet der zrnisch: Möglich. da wär ich halt
seinen Werken in Poesie und Prosa nicht vergällen lassen.
Tentschneligen schon. Herr P’rofessor — grad so ein Viech gewesen
Wenn wir von ermüdender Verstandesarbeit ausruhen und
wie Sie!“
einen Gang in das Wunderland klingender und singender
Das Schwergewicht der Komödie, das im Anfang ins Aerztlich¬
Gefühle unternehmen wollen, dann werden wir auch wieder
Meuschliche fällt, verlegt sich allmählich ins Politische, und schließlich
Ludwig FinekhsRosendoktor“. „Rosen“, „Biskra“,
findet Bernbardi wieder den Weg zu sich selber, als er aus dem Gefängnis
und namentlich die „Reise nach Trippstrill“ zu Führern
heraus die Abrechnung, die er zu halten gesonnen war, vergißt und sich
erwählen. Und wer von den Kollegen die Geniisse dieser
bewußt wird, daß einem Mann wie ihm niemand Gesetze diktieren kann
Lektüre bisher verabsäumt hat, der hole sie ballligst nach:
— falls ihnen das Glück hold gewesen ist —
sie und
als nur der Gott in der eigenen Brust.
ihre Bräute und Frauen werden uns für die Empfehlung
Ich denke, das Stück, das ich für ein schönes Kunstwerk halte,
S.
.
dankbar sein.
wird auf der Bühne, mit ausgiebigen Strichen, eine tiefe Wirkung haben:
es liest sichaberauch als Buch vortrefflich. Es ist ja immereine Lust. einen
Professor Bernhardi.
so auf richtigen und hellen Künstlergeist an der Arbeit zu sehen. nament¬
Komödlie in 5 Akten von Arthur Schnitzler.
lich wenn wir selber unter seinem Messer liegen.
S. Fischer, Verlag, Berlin, 1912.
Da hat uns aber einmal einer gründlich unter die Nase geleuchtet.
Das letzte Novellenbuch von Altmeister Paul Heyse „Plande¬
unser Kollege und Bruder in Aeskulap und Apoll Arthur Schnitzler.
reien eines alten Freundespaares“ (Stuttgart, bei J. G. Cotta, zweite
Alle, wie wir da leben und arzten. kommen drin vor. in der Komödie
bis vierte Auflage. 1912) berührt uns Aerzte insofern, als der eine
Professor Bernhardi“, wir können uns geschmeichelt und getroffen
Partner, der Freund, in das Gewand eines Medizinalrats gesteckt ist,
seine Gespräche des öfteren eine medizinische Färbung tragen und
fühlen, wo wir wollen, und uns freuen, wenn der andere getroffen ist.
Ich sitze ein wenig neben draußen und beobachte mit heimlicher Liebe die
an Dinge rühren, die außerhalb der Laienpsvehologie besonderes Ver¬
mannigfaltigen Typen in unserem geistig so überaus regsamen Stande:
ständnis gerade beim Arzt finden werden. Der Medizinalrat raucht
seine Zigarre und trinkt sein Täßehen Tee bei der alten Dame, und da
und ich kann sagen, ich habe wundervolle Kollegen angetroffen, die
mir den manchmal schon wankenden Glauben an die Menschheit wieder¬
kommen sie auf allerhand zu sprechen, was ihre Herzen bewegt hat.
gegeben haben. Lebenswahrheit hat das Stück. und der fein ironisierende
Der anspruchslose Titel fordert keinen allzustrengen Maßstab heraus;
Geist Schnitzlers hält uns den boshaft liebenswürdigsten Spiegel vor.
aber es ist doch interessant, den flüssigen, eleganten Unterhaltungston.
Jeder von uns hat gewiß schon Achnliches erlebt, oder er wird es noch
#dler kein schweres Gold und Silber zu führen braucht, mit der Sprache
#erleben, auch wenn die Komödie in Oesterreich spielt ums Jahr 1900.
moderner Novellisten zu vergleichen, die jedes Wort sorgsam abwägen,
Professor Bernhardi, der Gründer und Direktor des Privatkranken¬
ehe sie es ansprägen, ohne daß eine Unnatürlichkeit entsteht. Die große
hauses Elisabethinum in Wien, hat einen Kranz erlesener Kollegen als
Leichtigkeit der Rede bringt ihre Bedenklichkeiten mit sich. So heißt
Mitarbeiter um sich: Rassejuden, wie den tapferen Dr. Löwenstein —
es einmal: „Ich hatte ihn im stillen beobachtet und gesehen, daß er in
und sie sind nicht die schlechtesten —. getaufte Juden. die ihr Blut
verdrossener Stimmung hastiger. als gut war. getrunken hatte, sodaß
stramm verleugnen durch Betonung antisemitischer Gesinnung, und
sein bleiches Gesicht glühte und seine Augen mit Blut unterlaufen waren.“
Christen, katholische Christen, die sehr leicht in ihren religiösen Ge¬
Das ist eine Floskel, die sich in älteren Romanen häufig findet; in Wirk¬
fühlen verletzt sind und politisch werden: darüber der prächtig modellierte
lichkeit habe ich die blutunterlaufenen Augen im Verlauf einiger Gläser
Kopf Bernhardis, des Nurmenschen, der von Geblüt Jude und von
Wein nie gesehen.
Anders stcht es mit dem sittlichen Gehalt der Novellen; sie sind
Denkungsart — Mann ist.
Die Fabel ist die: Ein junges Mädehen liegt rettungs los an Sepsis.
damit wohl angefüllt und nehmen manche uns bewegende Frage recht
in schönster Euphorie; sie glaubt, im nächsten Augenblick werde die
Pernst aufs Korn. Gleich in der ersten Novelle. „Faustrecht“, geht es
Tür aufgehen und ihr Schatz hereinkommen. Vor ihrer Tür aber stcht
ums Duell, und der Medizinalrat verficht es unter Umständen; zwei
der Pfarrer, um ihr die letzte Oelung zu spenden. Bernhardi, erkennend,
Fälle aus seinem Leben. Grenzfälle zwischen Notwehr und Selbsthilfe,
daß einer Glücklichen im Anblick des P’farrers die erschreckende Wahrheit
beweisen, daß es Verhältnisse geben kann, die einem Menschen die Waffe
aufblitze, verbietet Hochwürden den Eintritt; aber schon hat eine
in die Hand drücken, und sie bringen die alte Wahrheit vor Augen, daß
Schwester die Kranke vorbereitet, und sie ist jäh erfassend gestorben.
das Leben reicher und vielgestaltiger ist, als daß man es durchaus in
Bernhardi glaubt seine Pflicht als Arzt und Meusch getan zu haben:
menschliche Gesetze zwängen könnte; es wird immer darüber hinaus¬
Zu meinen Pflichten gehört es, wenn nichts anderes mehr in meinen
quellen.
Kräften steht, meinen Kranken, wenigstens soweit als möglich, ein
Mit Geist und lebhafter Grazie vertritt die alte Professorin in einer
glückliches Sterben zu verschaffen.“ Aber er hat auch ein Kapital¬
der Novellen die Meinung, die Fran sei nur physisch das schwächere Ge¬
verbrechen begangen, das verspürt er bald. Ein glückliches Sterben?
schlecht; an seelischer Kraft. an innerer Widerstandsfähigkeit gegen
= Es ist wahrscheinlich, Herr Professor, daß wir darunter verschiedene
Verführungen sei sie dem Manne überlegen.
Dinge verstehen.“ — Die Fürstin Stixenstein legt das Protektorat über
In diese Doktorfragen, die das Leben verschieden zu beantworten
das Elisabethinum nieder, das Kuratorium demissioniert, im Parlament
liebt, ist eine Fülle von Erfahrungen der beiden alten Heißsporne aus¬
kommt eine Interpellation, Bernhardi verzichtet auf sein Direktorat.
geschüttet, und es will mir nach allem vorkommen, daß auch die Theorien
das ihm ehrgeizige Neider verleiden, und im Sturm der Meinungen ereilt
moderner Frauenbünde noch so grau sind, wie sie es schon zu Goethes
ihn, trotz der Gunst des Prinzen Konstantin, trotz der Gewogenheit des
Zeiten waren.
Ministers Flint, die Strafe: Gefängnis wegen Religionsstörung.
Hübsch wird im „Altruismus“ unser Zeitalter der Humanität ge¬
Kollegen rechts. Kollegen links. Wie der treffliche Professor P'flug¬
streift mit seinen Krüppelheimen und Idiotenasvlen und das Für und
felder sagt: Es gibt Streber. Schurken. Tröpfe.“ Aber es gibt auch
Wider gegen die Verzärtelung abgeblitzt. Ich meine, in der Aufpäppelung
famose Kerle, und Bernhardi selber ist ein Prachtmensch. Gewiß auch
lebensuntüchtiger Geschöpfe kann unsere Kultur zu weit gehen; es ist
der Pfarrer in seiner Fakultät: das stellt sich in dem starken Dialog
nicht notwendig, die natürliche Auslese gewaltsam zu hindern und die
zwischen den beiden nach der Verurteilung heraus. Und dann schma¬
vorhandene Uebervölkerung nach allen Regeln der Kunst zu steigern.
rotzt noch ein Bursche da herum, der Kandidat Hochroitzpointner.
Wir wollen buchen, daß auch Paul Hevse, den wir hier wohl mit dem
der auf allen Abteilungen hospitiert und die ganze böse Geschichte auf
Medizinalrat identifizieren dürfen. mit uns einig ist, es sei „ein wahrer
dem Gewissen hat. ein Lump. wie er auch im Leben anzutreffen ist.
Hohn auf das Gebot der Nächstenliebe. daß uns Aerzten nicht gestattet
und nicht nur bei uns: es sind Edelmenschen und Bösewichter, aber
ist. einem in unerträglichen Qualen Ringenden, der unrettbar verloren
nicht übertrieben und karikiert, sondern echt und wohlgetroffen.
ist. durch ein mildes Schlafmittel für immer Ruhe zu verschaffen:
Viele mit dem Herzen geprägte Worte fallen in der Komoclie:
und daß es töricht ist, sich verpflichtet zu glauben, einen Selbstmörder
so das Wort des jungen Dr. P'flugfelder, ale Dr. Adler ihn anhaut: Sie
an seinem Entschluß zu hindern, wenn auch diese Torheit oft durch das
waren ja deutschnationaler Couleurstudent.“— Antisemit. Ja¬
Leben selbst gerechtfertigt wird.
wohl. Herr Dozent. Bin’s sogar noch immer, im allgemeinen. Nur bin
Im Don Juan“ wünscht sich die Fran Professorin eine ebenbürtige
ich seither auch Antiarier geworden, ich finde. die Menschen sind im
Gegenspielerin des Weiberjägers, eine Frau von so starker innerer Rein¬
allgemeinen eine recht mangelhafte Gesellschaft, und ich halte mich
heit, daß der Dämon an ihr zuschanden würde; und sie erzählt die Ge¬
an die wenigen Ausnahmen da und dort.“ Aber es stcht auch manch
schichte einer solehen Fran, die warmblütig wie nur eine doch der Werbung
überflüssiges Wort darin, überflüssig für die dramatische Wirkung:
eines Gewohnheitsverführers widerstand, freilich nur im Tod.
im ersten Akt, da der Knoten sich schürzt, trifft alles noch knapp und
Was sonst noch in dem Buche steht, die Herzenswirrnis eines jungen
blutvoll anfeinander: und auch später sprüht es wohl noch öfter da¬
Mediziners und die schöne Liebesgeschichte eines Fräuleins von Planta
zwischen von Geist und Tat. aber in fünf Akten kann auch recht viel
mit einem Tischlergesellen, das gibt den besten Begriff von der alt¬
geredet werden, wenn der #ag lang ist und ein Dutzend Kollegen bei¬
sammen sind. Dazu verstriekt sich die Sache in Auseinandersetzungen 1 gereiften und abgeklärten I’syehologie Herses. Wie s## zuletzt die beiden