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Hofrat. Möglich. — Da wär ich halt — entschuldigen
schon, Herr Professor, — grad' so ein Viech gewesen
wie Sie.
Damit endet die Komödie.
Es ist im Rahmen dieser Besprechung nicht möglich,
auf alle Einzelheiten und Feinheiten des Dialogs und der
geschilderten Menschentypen einzugehen. Möge jeder selbst
das Buch zur Hand nehmen. Nur zwei Personen will ich
noch kurz beleuchten, die vielleicht für den Gang der Hand¬
lung weniger wichtig sind als für die Anschauungen des
Verfassers: den Minister Flint und den Pfarrer.
Auf den Gang der Handlung (deren Strom hinter der
Bühne treibt) hat, wie gesagt, der Minister Flint ebenso
viel oder ebenso wenig Einfluß wie alle übrigen Personen
dieser merkwürdigen Komödie, denen allen etwas Episoden¬
haftes anhaftet. Nur einmal gibt er dem rollenden Stein
einen beschleunigenden Stoß, als er im Parlament empfiehlt,
Bernhardi vor den Richter zu bringen. Und auch dieses
Eingreifen Flints in die Handlung dient hauptsächlich zur
Beleuchtung seines Charakters: um sich eine unangenehme
Interpellation vom Halse zu schaffen, opfert er den Jugend¬
freund, indem er ihn unter dem Vorwande, die Wahrheit
festzustellen, dem Richter überliefert. Trotz dieses Episoden¬
haften mit bezug auf die Handlung ist der Minister Flint
von größter Bedeutung für den geistigen Gehalt des Stückes.
Er ist der ausgeprägte Repräsentant jener aalglatten Po¬
litiker, die wenig Herz und oft wenig Kopf haben, deren
Strebertum aber immer den rechten Augenblick erspäht.
Überzeugungen sind bei ihnen wie Wetterfahnen, die bald
nach links und bald nach rechts gedreht werden, je nach¬
dem es nützt. Gesinnungslos und eigennützig sind deshalb
diese Herren noch lange nicht: sie dienen ja einer höheren
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Sache! Scharf heben sich die Gegensätze zwischen Bern¬
hardi und Flint in dem ersten Dialoge heraus, zwischen
dem überzeugungstreuen Manne der Wissenschaft, der seiner
Wahrheitsliebe alles opfert, woran das Herz anderer, die
„weiterkommen“ wollen, hängt, und dem glatten Politiker,
der eine Überzeugung klug verbergen kann, wenn es der
„Sinn seines Lebens“ fordert. Als Bernhardi dem
Minister, seinem ehemaligen Studiengenossen, vorwirft, er
habe einmal als Assistent bei Professor Rappenweiler ge¬
schwiegen, trotzdem er erkannt hatte, daß die von seinem
Chef gestellte Diagnose falsch war, da antwortet der ge¬
schmeidige Weltmann: „Es sei dir ohne weiteres zugestanden,
ich hatte nur deshalb geschwiegen, um Rappenweilers
Empfindlichkeit nicht zu verletzen, der, wie du weißt, es
nicht gerne sah, wenn seine Assistenten klüger waren als
er. Und so machst du mir vielleicht ganz mit Recht den
Vorwurf, daß ich ein menschliches Leben hingeopfert habe.
Nur in den Gründen, in den tieferen Gründen, die du mir
unterschiebst, bist du im Irrtum. Dieses eine Opfer, Bern¬
hardi, mußte fallen zugunsten von Hunderten anderer
Menschenleben, die später meiner ärztlichen Kunst sich an¬
vertrauen sollten. Ich konnte damals Rappenweilers Pro¬
tektion noch nicht völlig entbehren, und die Professur in
Prag stand in nächster Aussicht. Du bist ein Überschätzer
der Menschheit, Bernhardi. Du ahnst nicht, wie kleinlich
die Leute sind. Meine Karriere hätte es mich natürlich
nicht gekostet, aber einen Aufschub hätte es immerhin be¬
deuten können. Und mir lag daran, schnell vorwärts zu
kommen, um für meine Begabung, die auch du nicht
leugnen wirst, den nötigen Spielraum zu gewinnen. Darum,
mein lieber Bernhardi, habe ich den Diurnisten Engelbert
Wagner sterben lassen, und ich fühle mich sogar außer¬
stande, es zu bereuen. Denn es will nicht viel besagen,
Elsner, Professor Bernhardt.