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25. PrfonBernhadi
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lieber Bernhardi, sich in irgendeinem unbeträchtlichen
Einzelfall korrekt oder, wenn du willst, überzeugungstreu
zu benehmen, es handelt sich darum, der immanenten Idee
seines eigenen Lebens mit Treue zu dienen.“ — Auch von
Flint bekommt hier Bernhardi zu hören, was ihm der
Hofrat am Schluß — allerdings in anderer Beleuchtung —
als die Quintessenz der Weisheit der ihn umgebenden Welt
anvertraut, in der Bernhardis Verhalten nur als eine
„Tragikomödie des Eigensinns“ erscheint: „Was dir fehlt,
Bernhardi, das ist der Blick fürs Wesentliche, ohne den alle
Überzeugungstreue doch nur Rechthaberei bleibt. Denn es
kommt nicht aufs Rechthaben an im einzelnen, sondern
aufs Wirken im Großen. Und solche Möglichkeit des
Wirkens hinzugeben für das etwas ärmliche Bewußtsein, in
irgendeinem gleichgültigen Falle das Rechte getan zu haben,
erscheint mir nicht nur klein, sondern im höheren Sinne
unmoralisch.“ — An dieser Stelle eine unzweideutige Um¬
schreibung des jesuitischen Grundsatzes: Der Zweck heiligt
die Mittel! Kein Wunder, daß dieser Mann in der Jugend
einen Artikel „Krankenhäuser — Gotteshäuser“ schreiben
wollte, um die Umgestaltung der Kirchen in Krankenhäuser
zu empfehlen, und jetzt als Minister der Handlanger der
klerikalen Partei geworden ist! Als der Hofrat ihm mit¬
teilt, daß die Krankenschwester Ludmilla „das Geständnis
ihrer falschen Zeugenaussage zuerst in der Beichte abgelegt
hat, und der Beichtvater selbst ihr auferlegt habe, ihre
schwere Sünde, so weit es in ihren Kräften steht, wieder
gutzumachen“ weil er offenbar keine Ahnung gehabt habe,
um was es sich handelte, da geht der große Mann in Ge¬
danken auf und ab und murmelt vor sich hin: „In der
Beichte. — Das sollte gewisse Leute doch wohl stutzig
machen. Es wird sich vielleicht herausstellen, daß die katho¬
lischen Gebräuche zuweilen auch für Andersgläubige von
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ziemlich wohltätigen Folgen begleitet sein könnten.“ Kein
Wunder, daß der Verfasser des — vorsichtigerweise unver¬
öffentlichten — Artikels „Gotteshäuser — Krankenhäuser“.
später für das Elisabethinum nur einen Bruchteil der ver¬
sprochenen Subvention zur Verfügung stellt, weil „wir uns
hier nicht nur mit der medizinischen Fakultät, sondern mit
dem ganzen ungeheuren Gebiet des Kultus und Unterrichts
zu befassen haben.“ In den Händen dieses famosen Re¬
formators ist allerdings die Sache Bernhardis schlecht auf¬
gehoben; sie dient dem gewandten Staatsmann nur dazu,
sein Licht in allen möglichen gefälligen Farben leuchten
zu lassen.
Und neben dem Staatsmann steht der Pfarrer, der
Mann, der für seine Überzeugung eintritt, weil er an ihre
Göttlichkeit glaubt. Wir müssen diesen Mann für durchaus
ehrlich halten, wenn auch seine Versöhnlichkeit und milde
Gesinnung oft zu ostentativ erscheint. Er ist vor Gericht
für Bernhardi eingetreten, indem er jede feindliche Absicht
des Arztes gegen die Kirche in Abrede stellte, und daß dies
nicht bloße Effekthascherei war, beweist uns der Umstand,
daß der Pfarrer unmittelbar darauf vom Erzbischof an die
polnische Grenze versetzt wurde. Jetzt nach der unerwarteten
Verurteilung Bernhardis ist der Pfarrer gekommen, um
dem Juden ein Geständnis zu machen: „Ich sehe mich
aber nun veranlaßt, Ihnen zuzugestehen, Herr Professor,
daß Sie in dem speziellen Fall — verstehen Sie mich wohl,
Herr Professor — in dem speziellen Fall, um den es sich
hier handelt, in Ihrer Eigenschaft als Arzt vollkommen
korrekt gehandelt haben, daß Sie innerhalb Ihres Pflichten¬
kreises, gerade so wie ich innerhalb des meinen, nicht anders
handeln konnten.“ Auf die erstaunte Frage Bernhardis,
warum er das nicht vor einigen Stunden im Gerichtssaal
angeführt habe, antwortet der treue Diener der Kirche: