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24. basteLand
Parna, Kom, Gan M12. —
(Gepesengen# uan). 7
Am u## ###4 -erreen
M. 2 7—
schwarzer lichtloser Winter liegt vor
uns. Hunderte Obdachlose rennen in je¬
der Nacht, klappernd vor Kälte, durch
Wiener Plausch.
dieses einst gemüthliche Wien. Draußen
sam Gürtel sollen Holzbaracken errichtet
werden für jene, die nirgends unter¬
Die Kaiserstadt einst und jetzt. — Das Attentat im Abgeordnetenhaus. — Wo
„Ich
kommen. Aber die Stadt sagt:
hab' kein Geld,“ der Staat sagt: „Das
bleibt die Wiener Gemüthlichkeit? = Die Abschreckungs=Prozesse. — Aus
ist Sache der Gemeinde.“ Wieder taucht
der Welt der Kunst.
das so österreichische Wort auf: „Nega¬
tiver Competenzkonflikt,“ zu deutsch:
„Nun, wnas denn?“
„Das geht mich nichts an.“
Denke ich zurück an all' das, was
Endlich kommt eine Antwort: „A große
man in diesem Herbst „Ereigniß“ nennt,
Rauferei.“
Aber die Kunst, die uns entrückt?
so sinken alle Theatervorstellungen, alle
Reden so politische Revolutionäre?
Schnitzlers neues Drama geht in
Klatschgeschichten, alle Feuilletonwichtig¬
Dennoch sind über diese" Gaudibrüder“
einem Garten vor sich, die Leute spielen
im Ganzen vierundfünfzig Jahre Ker¬
In den
sast ununterbrochen Tennis.
keiten sofort in einen großen schwarzen
ker verhängt worden!
Pausen brechen sie Ehen. Ich weiß schon:
Abgrund der Unwesentlichkeit, und aus
Schnitzler ist jemand! Keiner schnitzelt
dem Halbdunkel der schon fast verges¬
Das gemüthliche Wien voll Theater¬
eien Gestalten wie dieser
senen Dinge treten ein paar grelle, er¬
Dichter. In seiner Welt ist er mensch¬
wichtigkeiten ist nicht mehr da.
regte Massenszenen in's scharfe Licht
lich und nachdentlich! Sein „weites
Gestern hielten die Staatsbeamten
exgkter Erinnerung. Ich sehe noch im¬
Land“ soll sein: die Seele des kompli¬
große Versammlungen ab. Gehaltser¬
mer das große Heerlager auf der
zirten Menschen, in der Liebe neben
höhung oder passive Resistenz! Morgen
Riigstraße vor mir, gerüstet, in starrer
Trug, Treue neben Treulosigkeit. Ehe
treten die Eisenbahner zusammen!
Lintie, in der Sonne blitzend, und davor
Uebermorgen versammeln sich die er=neben Ehebruch wohnt. Dieses Neben¬
Tausende ausgemergelter Vorstadt =Eri¬
einander findet Schnitzler — chaotisch,
grimmten Hausfrauen, denn das ar¬
stanzen, die sich vor Wuth heiser schreien
gut. Aber ein weites Land? Ich finde
gentinische Fleisch, das in Triest für die
und nicht glauben wollen, daß diese
Wiener bereit lag, mußte wieder ab=diese Weite bedrückend eng! Es ist das
schwimmen. Und dann hält Herr von Land, wo man fast ununterbrochen Ten¬
Armee gegen sie ausgeschickt worden!
Das Bild, vor sechs Wochen Wirklichkeil,
Gautsch eine Rede im Parlament, wo=nis spielt!
Die Kunst ist entrückt ... ins Tennis¬
rin er den Arbeitern vorwirft, daß sie
brennt im Gedächtniß. Seither sind die
zu viel Bedürfnisse haben. Wie besänf= land.
beiden Lager längst wieder aufgelöst,
Ein schwarzer, lichtloser Winter liegt
Soldaten mischen sich gemüthlich in's tigend! ... Das alles muß im Auge be¬
Gedränge, die Grenzlinten, sind ver¬ halten, wer seine Heimath liebt. Ein vor uns.
wischt, dennoch: ich werde das ##uld der!

kriegsbelebten Ringstraße nicht los, ich
fühle: es wird wiederkehren. Die Ge¬
müthlichkeit, die dieses Bild verschleiern
will, ist glatt und stumpfsinnig. Das
alte Backhähndl=Wien lebt noch in ein
paar Zeitungen voll Theaterwichtig¬
keiten, aber nur dort! Das wirkliche
Wien bestehi aus zwei Lagern, den
ausgemergelten Vorstadtmenschen, die
keine „Wiener“ im Sinne der
gar
Theatertinterln sind, sondern grad so
Proletarier wie ihre Genossen in El¬
verfeld=Barmen oder in Bochum oder
in Prag oder in Lyon. Und die Säbel
glänzen auf dem Wiener Franzensring
grad so wie in Belleville oder in Trep¬
tow, und die exakte Habsacht=Stellung,
die auf's Kommando harrt, ist so gut
österreichisch wie deutsch, wie französisch.
Wir Feuilletonisten werden überflüssig
oder lächerlich.
Am Tage, da der Dalmatiner Rjegusch
Wawrak von der zweiten Gallerie des
Abgeordnetenhauses auf den Justiz=Mi¬
nister schoß, begegnete ich einem jungen
Russen. Seine dünnen Lippen verzogen
sich zu so was wie einem Lächeln, und
sein grüngelber Teint röthete sich für
einen Moment. Er sagte spitz: „Ihr
habt gehofft, daß Rußland sich euro¬
russi¬
päisirt, hehehe, inzwischen
fizirt Ihr Euch!“ Der stille Hohn ging
auf die Nerven. Ich setzte mich hin
und erklärte dem Manne mit den dün¬
nen Lippen: „Sehen Sie denn nicht,
wie falsch Ihr scharfes Auge sieht! Da
kommt ein junger Serbe aus seinem
dalmatinischen Nest herauf. Er versteht
fast kein Wort Deutsch, er bringt noch
den raschen Handgriff zur Waffe mit,
wie das schon so üblich ist im Balkan¬
gebirge, er hat kurz vorher sein Land¬
gut um ein paar tausend Kronen ver¬
kauft, ist die Tage über in Schenken
umd Freudenhäusern gelegen, hat noch
ein paar hundert Kronen in der Rock¬
tasche. Ein Balkanheld im Katzenjam¬
mer!
So sehen doch nicht die
Aber mein
Elendsrevolteure aus!“
Russe behielt das schiefe Maul, denn
eben iene Einmischung der gar nicht
Betroffenen, die Mitwirkung der Dé¬
generés, berührte ihn heimathlich. Ich
mußte an diesem Abend zu einer Ope¬
rettenpremiere, das stimmt ja immer
trist, aber diesmal sah ich auch noch
das grün=bleiche Gesicht meines Russen,
vor mir und hörte seinen stillen Hohn: