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24. Das weite Land
keit bleiben können. Das
vorgestern begegnet dem Ehebrecher vin heute. Was jener damals
00n
Liebhaber vor aller Welt
erlebte, erlebt dieser jetzt. Beide lieben nur allein die eigene Frau;
„Das weite Land.“
im Duell. Dazu treibt ihn
aber weil wir Menschen „komplizierte Subjekte“ sind, ist ihnen die
Tragikomödie in fünf Akten von Arthur Schnitzler.
einmal das verletzte Ehrge
wahre Liebe nicht zugleich ein Grund zur Treue. Die Liebe beider
leidenschaft. Neben ihm ds
(Uraufführung im Lessingtheater.)
Männer wird durchkreuzt von Liebeleien. Die Liebe zur Frau ist
Frau, die jener besessen,
Junendlich“, ist „Anbetung"; trotzdem geht der Mann zu anderen
P. S. Das Publikum nahm dieses Stück nicht gerade über¬
seines Kindes ist, sondern
Weibchen und Mädchen. Im früheren Falle hatte sich die geliebte
wältigt und überwältigende, aber doch nach leisen gelegentlichen
Weib ist. Deshalb mußte
Frau vom ungetreuen Gatten losgesagt. Sie hatte Ersatz in einem
Zweiseln ohne Widerspruch an und wünschte zum Schluß dem Dichter
dieser arme Junge in den
künstlerischen Beruf gesucht und ihren Sohn zu einem tüchtigen, ar¬
zu danken. Statt seiner erschien Direktor Brahm und entschuldigte
sich allein. Die Frau sag
beitenden Menschen erzogen. Wie sich im jetzigen Falle die Frau
sein bedauerliches Fernbleiben damit, daß er zur Uraufführung des¬
Mädchen, das sich an ihn
zum Betruge des liebenden Gatten stellt, ist schon komplizierter und
selben Stückes in Wien sei. Der Eindruck blieb fast nach allen fünf
alles aus ist, ertönt die
wird deshalb Gegenstand des Dramas. Sie hat keinen Beruf, wie
Akten der gleiche. Doch gefiel wohl am meisten der mittelste, weil
einem einzigen Jubelgrußd
jene Andere. Auch ihr Söhnchen ist fern. Sie ist bloß eine Dame
er das Treiben im Bestibül eines großen Dolomitenhotels während
noch zusammengehören, dis
mitten in der Gesellschaft und eine vereinsamte Frau. Rings um sie
der Hochsaisor zeigte und neben den Hauptpersonen einige belusti¬
ist erst dreizehn Jahre alt
her die parfümierte Wiener Cottagewelt mit ihren Typen des Faden.
gende Touristentypen vorwies. Die krassen Effekte der beiden Schlu߬
leicht auch totgeschossen da,
des Blöden, des Geistreichen, des Molligen, des Verderbten und Ueber¬
akte, Herausforderung zum Duell und tödlicher Ausgang, hätten noch
geliebten Mannes einließ.
seinerten, des Luges und des Truges. Kreuz und quer wird durch¬
stärker gewirkt, wenn sie früher gekommen wären. Das Publikum
der Ausblick in das weite
einandergeliebelt, und der Mann, trotz der „unendlichen", „anbeten¬
war allmählich durch eine Breite des Dialogs übermüdet, die man
Das Problem ist tadel
den“ Liebe zur eigenen Frau, liebelt hin und her, die Kreuz und die
episch, aber nicht dramatisch nennen darf. Dabei waren gerade die
Quere: zuerst ist es das wogende Bankiersweib, dann ist es das
geht das Exempel allzu m
für den Sinn aufschlußreichsten Szenen leider am unlebendigsten,
moderne Mädchen, das nur noch die physische Unschuld an ihn zu ver¬
aber man wird nicht warn
aus der Doktrin und nicht aus dem Wesen der Menschen erzeugt,
seinen Menschen überrascht
lieren hat.
so daß manche Undeutlichkeit den Mitgang des Publikums erschwert
wenn man nicht wüßte, wel
Alles das sieht, hört, fühlt, weiß die Frau, die ihren treulosen
haben mag. Ich glaube, da ließe sich noch nachhelfen. Es ist doch
gen Plausch, an der Wien
Mann ebenso intensiv liebt wie er sie. Auch vor ihr steht als
nicht unbedingt nötig, daß das Stück, in dem so wenig Treue gehalten
ristischen Lebendigkeit von
Spiegelbild aus jener älteren Ehe deren weibliche Hälfte. Wie die
wird, gerade nach seiner Formseite hin dem Titel treu bleibt.
zwei Männer, so haben auch die zwei Frauen darüber ihr Raisonne¬
Diese Nebenfiguren hat
Ein tönender Titel! „Das weite Land“ — es soll die mensch¬
ment. Von der älteren erfährt die jüngere, daß nicht einmal ein
das dankbarere Teil erwäl
liche Seele sein. Schon manches Drama der Vorzeit hätte diesen
Kind den verlorenen Mann, den man liebt, zu ersetzen vermag, daß
Salonmutter, Herr For#
umspannenden Titel verdient: Shakespeares „Hamlet", Goethes
solch ein Verlust unvergeßlich ist, und daß die größte Liebe die¬
ein Peter Altenberg, dem
„Stella“, Kleists „Homburg“, Grillparzers „Jüdin“ — ich erwähne
jenige ist, die niemals verzeihen kann. Aus diesen inneren, gefühlten
Rickelt als erschöpfter
nur das Beste vom Besten. Von Ibsen könnte man alles so nennen.
und durchlittenen Erfahrungen springt auch ihr eine Tat, eine Schuld
dauerspieler, Herr Loos
Sogar die „Oresteia“ des Aischylos ließe sich auch vom Standpunkte
hervor. Ihre noble Erscheinung, ihr seelischer Adel, ihre schein¬
wünschenswerteste Zerstreu
moderner Seelenkunde darstellen. Fontane hätte seinen tiefsten Roman
bare Ruhe, und doch der unverkennbare Zug des Entbehrens — die
rem Platze nicht ungefällig
„Das weite Feld“ nennen können, aber er wählte für sein Aushänge¬
Gigerln, die faden Alfreds, die Leute vom Café Größenwahn gehen
und Fräulein Busch.
schild eine schlichtere Farbe und nannte ihn „Effi Briest“; alle diese
daran vorbei; aber gerade auf tiefere, feinere Mannesnaturen macht
Sie alle hatten es leicht.
Werke breiten sich vor unserm innern Auge auf, wie ein weites Feld
das Eindruck. Ein befreundeter Arzt bleibt nicht gleichgültig, doch
Darsteller jenes wiederspie
oder gar wie ein weites Land.
da er „kein Freund von Herzensschlampereien“ ist, so entsteht nichts
Fräulein Sussin. Obwohl
Auch unter dem Feinsten was der Wiener Schnitzler schon ge¬
daraus. Ein Künstler erschießt sich ihretwegen. Zuletzt erhört oder!
könig ist und die herrlich
dichtet hat, verdiente diese Aufschrift schon manches Drama mit glei¬
verführt die gereifte Frau einen netten jungen Burschen, eben den
Kunststraßen kultiviert, ob
chen Rechten wie das neue Werk, das für den weiten Titel innerlich
Sohn jenes älteren gegenbildlichen Ehepaares.
seit kurzem verstorbenes „b
zu schmal ist. Er ist auch nur als Etikett von außen in ein erklären¬
Der Mann weiß alles, so wie sie von ihm alles weiß. Nur das
so hat ihn doch der Dichte
des Raisonnement eingeklebt. Der Dichter stellt seinem — wenn man
eine weiß sie nicht, daß er von ihrer „Revanche“ weiß, und daß er
so sagen darf — Helden ein Spiegelbild entgegen, etwa wie Rai¬
munds Menschenseind dem Alpenkönige begegnet; ein Ehebrecher von sie wahrhaft, daß er sie allein liebt. Alles hätte in der Heimlich=I zweibeiniges „postto, ich s