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24. Das veite Land
1# ierost war der
Quell seines Humors, der in dem königlich
sich wegwerfenden, aber auch königlich sich
beherrschenden Prinzen Heinz, im fecken
Küchenjungen Leon harmlos toll sich entlud
und in dem boshaften Witz Richards 3. oder
Mephistos einen tragischen Klang annahm.
Kainzens Komik suchte stets einen geistigen
Ausdruck in der überraschenden Pointe, im
Wortspiel, im Bonmot.
Doch kam zu all dem noch ein Letztes, um
ihn zum vollkommenen Herrn der Schönheit
zu machen: die geistige Hoheit und innere
Vornehmheit seines Auftretens. Die psycho¬
logische Entwicklung, die in jeder seiner Rol¬
len zutage trat, spiegelte sich in seiner Er¬
scheinung und umwob ihn mit der stillen
Majestät des geistigen Kämpfers, der seinen
Idealen sein Glück geopfert. Den schwäch¬
maaaIton aab er da¬
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gen und Visionen, die an der Grenze des ist. Und doch haben offenbar Heinzelmann¬
chen die Hände im Spiel gehabt und die
Wahnsinns hinstreifen. Der Schauspieler
Plätze nach Gutdünken verteilt. Denn was
stand hier an der Seite des größten Dich¬
erträglich ist, hängt im Durchschnitt gut:
ters auf der Sonnenhöhe des Genies; er
weniger gut, was weniger erträglich, und
durchlebte alle die Qualen und Wonnen, die
schlecht, was fraglos Kitsch ist. Also schein!
das Denken im Menschen erzeugt, und offen¬
es doch ganz ohne Jury nicht zu gehen. Nur
barte in diesem höchsten Gebild der Kunst
weiß man hier nicht genau, wer die Juroren
das Höchste, das seinem Wesen vergönnt
sind.
war: die liebende Erkenntnis des Alls, die
Die veranstaltenden Künstler nennen ihr
unserm Geiste die Geheimnisse des Himmels 1
Unternehmen „eine notwendige Ergänzung
und der Hölle aufschließt!
der bestehenden Jury=Ausstellungen“. Ob sie
recht haben, wird sich mit der Lebensfähigkeit
ihres Unternehmens erweisen. Und es ist
wohl möglich, daß von Zeit zu Zeit sich hinter
Die juryfreie Kunstschau
den Juryschranken immer soviel unerkanntes
Talent und soviel mißvergnügte Mittel¬
Berlin 1911.
mäßigkeit ansammelt, daß eine. juryfreie
Aus Berlin, 14. Oktober, schreibt man
Ausstellung sich finanzieren läßt. Nur wirh
uns: „Juryfreie Kunstschau“ nennt man's
wohl das Publikum auf die Dauer immer
in Deutschland. In Paris heißt es „Salon
spärlicher werden, denn ein reines Vergnügen
des réfusés“. Die französische Bezeichnung
ist es nicht, unter tausend Stücken bemalter
ist die deutlichere, die umfassendere, vielleicht
Leinwand vielleicht ein Dutzend annehm¬
auch die ehrlichere. „Juryfrei!“ Das ruft
barer und guter Bilder herauszusuchen. Daß
im biedern deutschen Gemüt alsbald das
ein wirkliches Talent oder auch nur eine
Mitleid, das Gerechtigkeitsgefühl, den hei¬
starke Begabung heutzutage nicht irgendwie
ligen Zorn aller, die sich unterdrückt wäh¬
sonst aus Licht gelangen könnte, ist doch
nen, zugunsten der „Juryfreien“, der Ketten¬
eigentlich ausgeschlossen. Das beweisen ge¬
sprenger, auf. Die Aussteller im „Salon
rade die aus der Fülle dieser juryfreien
des refusés“ bekennen ganz einfach: wir
Schau herausfallenden Arbeiten, deren
haben uns vor den Kunstrichtern der großen
Schöpfer auch sonst schon ausgestellt haben
offiziellen Ausstellungen nicht durchsetzen
Bildern von Hermann Sandkuhl,
können; wir glauben aber doch, daß wir
Joachim v. Bülow, Hans am Ende.
etwas der Welt zu sagen haben, und darum
Hans Kindermann ist man schon da
wollen wir jetzt hier zeigen, was wir kön¬
oder dort begegnet. So beweist diese Kunst¬
schau eigentlich nichts weiter, als daß der
nen.
In Berlin haben sich also jetzt „juryfrei“
Kunstfreund den Jurys der großen Aus¬
alle die „Réfusés“ zusammengetan, die weder
stellungen recht dankbar sein muß, wenn sie
in der Großen Berliner Kunstausstellung
sich der für sie sicher nicht angenehmen Auf¬
noch in der Sezession bisher zu Wort kamen.
gabe=der Auslese unterziehen.
Eine große Menge anderer bisher namen¬
loser Künstler aus den übrigen deutschen
Gauen ist zu ihnen gestoßen. Das Ergebnis
dieser ersten „Juryfreien“ in Berlin sind,
Berliner Theaterbrief.
rund tausend Gegenstände der bildenden
„Das weite Land“ Tragikomödie vor
Kunst, die in einem großen, im Hofe des
Hauses Potsdamerstraße 39 belegenen „Ate¬
lierbau schlecht und recht aufgestapelt sind.
Der geistvolle, keinfühtige Wiener Dichter had
Der erste Eindruck ist der eines Chaos. In
sich diesmal mit seiner fünsaktigen Tragikomödie
drei, vier Reihen mußte man die Bilder
unseres Dafürhaltens doch wohl ein wenig über¬
übereinander hängen. Irgendeine sinngemäße
nommen. Fast hätten wir gesagt: verhauen.
Gruppierung war nicht möglich, da ja die
Wahllosiakeit oberster Grundsatz der Schau Der Titel kommt uns etwas verstiegen vor