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I.
24. Da S
B. Z. am Mittag, Bert.
116 10 191
Die Liebe und
die Liebeiei.
Arthur Schnitzlers: „Das weite Land“
im Lessingtheater.
Schnitzler hat schon immer die feinen Schwan¬
kungen, die absurd scheinenden inneren Kon¬
traste, das verwirrte Gefühl dem geordneten
vorgezogen, und er hat über den argen Wider¬
spruch zwischen Empfindung und Tat, zwischen
äußerlicher Korrektheit und innerer Zerrissen¬
heit, zwischen dem Zwang des äußeren Scheins
und dem Widerstreben des bereits in ganz ande¬
ren Sphären schwebenden Herzens einen melan¬
cholischen Cynismus, eine witzig=anarchistische
Philosophie gewoben. Nur hat er sich dabei
vom Drama immer weiter wegentwickelt zur
feingefeilten Plauderei mit allerlei Demonstra¬
tionen an plastischen Gruppen.
In der „Liebelei“ vermags der Sinn
Christinens nicht leicht zu fassen, daß ihr Herz¬
liebster ihr gut zu sein vorgab und sich doch für
eine andere totschießen lassen konnte. Er
hatte sich der Pistole gestellt um einer Frau
willen, die ihm nichts mehr bedeutete, oder nicht
viel mehr als eine Erinnerung. Im „Zwi¬
schenspiel“, das mit Schnitzlers jüngstem
Werk am meisten innere Verwandtschaft hat,
sind ähnliche Lebensdinge lustspielhaft ge¬
griffen, gleiten aber schon immerhin zur tragi¬
schen Kron. Der Musiker Amadeus Adams,
der mit der schönen Gräfin Mosheim in Ban¬
den süßester Liebelei verstrickt ist, und seiner
Frau gestattet, daß ihr ein junger Prinz den
Hof macht, vermag doch zu der vielbegehrten
Gattin in neuer Leidenschaft zu entbrennen.
Der nächste Morgen bringt aber bereits den
großen Katzenjammer und Amadeus packt die
Koffer. Hier sind schon alle pathetischen Gefühle
zersetzt, hier ist schon Schnitzlers liebenswürdig¬
ironische Lebensphilosophie kräftig dabei, allen
gewichtig genommenen Dingen des Lebens den
verkleinernden Hohlspiegel entgegenzuhalten.
sagt der
In jenem „Zwischenspiel“
Raisonneur Albertus Rohn, eine Figur, die
Schnitzler nun auch in sein neues Werk herüber¬
genommen hat, allerlei paradoxe Worte über
die bunten Dinge des Lebens; er zieht immer
Parallelen zwischen den Vorgängen die er mit¬
erlebt und einem Stück, das er unter ähnlichen
Voraussetzungen schreiben möchte und spielt
gegen die Trivialität des wirklichen Lebens
seine eigenen, geistreicheren Kombinationen aus.
Schade, daß Albertus Rohn, den Schnitzler
auch in seinem neuen Stück auftreten läßt, dieses
amüsante Kontrastieren der erzdummen Dinge
des Lebens, dieses Korrigieren der natürlichen
„Stoffe“ nicht fortsetzt; er hätte Schnitzler,
seinen eigenen Schöpfer, zu größerer Knappheit
angehalten, und ihm so zu einer ungleich
besseren Komödie verholfen. Er hätte ver¬
hindert, daß außer ihm auch noch an¬
dere Leute im Stück klugreden, und er
hätte den Sinn der Worte des Doktor von
Aigner (Uebermensch und Hoteldirektor in den
Dolomiten), die der als Schlüssel des Stückes zu
agen hat, witziger geformt. Doktor von Aigner,
froßer Weibernimrod vor Gott dem Herrn, erster
Besteiger des nach ihm benannten Hohen Aigner,
geschiedener Gatte der berühmten Wiener Schau¬
spielerin Anna Meinhold=Aigner und Vater ihres
„F
Sohnes, des Marinefahnrichs Otto von Aigner,
der Maske des Amadeus Adamis im „Zwischen¬
spiel“ als Musiker herumgelaufen ist. Nun hat
er guten Grund, erfahrene Leute nach ihren
komplizierten Eheerlebnissen zu fragen. Seiner
Frau wegen hat sich ein junger Russe erschießen
müssen, seiner Frau wegen, die er betrügt, und
der er scheinbar alle Freiheit läßt, um doch eifer¬
süchtig krumme Wege zu bespitzern. Nun ist er
in starker Glut des Vierzigers der sich in der
wahren Reife für die Genüsse der Liebe fühlt,
zur reizenden Erna Wahl entbrannt, einem
Mädchen von jenem entschlossenen, des Jung¬
frauentums müden Schlag, dessen Vertrete¬
rinnen, wenn der bestürmende Liebhaber sagt:
„Wenn heute nicht deine Tür versperrt sein
sollte, so schlage ich sie ein, und es ist um uns
beide geschehn,“ kurzweg antworten: „Es wird
nicht um uns geschehn sein.
—.—
geringste läge. ..
wenn es Haß wäre...
Wut ... Eifersucht.. Liebe
„Na ja —, antwortet Anatol=Amadeus¬
Friedrich: „Na ja, von all dem verspür ich aller¬
dings verdammt wenig. Aber man will doch
nicht der Dumme sein“.
Mit dem Schuß fällt auch der Zauber von
seinem Liebesspiel. Wie zu Beginn des Stückes,
im wundervoll weichen, von resignierter Moll¬
stimmung durchwehten ersten Akt, da man vom
Begräbnis des jungen Russen spricht, der sich
selber tötete, verflüchtigen sich die ernstgenom¬
menen Dinge des Lebens, deren Nichtigkeit
immer nur durch den Tod ad absurdum geführt
wird.
Dies Mädel, das sich geliebt
glaubte und dessen Liebster einer andern
Frau wegen (es ist zufällig seine eigene)
einen Duellmord begeht, das neben sich kein Weib
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