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24. Das weiteLand
Der Reichsbote, Berlin
1710 1911
W
nicht, sie will ihm auch ohne Ehekontrakt folgen, keiten und dialektischen Spitzfindigkeiten nicht allein
ausreichen, ein fünfaktiges Drama zu tragen, und
wohin er will. Vorläufig tut sie das nur auf
Cheater und Musik.
so bricht das schwache Gerüst dieser Tragikomödie
einem Ausflug in die Dolomiten, den der Fabri¬
schließlich unter der schweren Last all seinen er¬
Alf. A. Das Lessingtheater brachte uns am
kant ohne Frau mit einigen Bekannten unter¬
tüfftelten Geredes zusammen, ehe noch der Zuschauer?
Sonnabend in glänzender Ausstattung und Dar¬
nimmt. Im dritten Akt wird uns dieser Ausflug
zu irgend welcher Rührung oder inneren Anteil¬
stellung den neuesten Schnitzler, die fünfaktige
mit dem ganzen Milieu eines Berghotels ge¬
nahme gelangt ist. Die Darstellung gab vor allem
Tragikomödie „Das weite Land“, erzielte aber da¬
schildert, und so launig, daß er ordentlich
Frau Triesch Gelegenheit, ihr fein disserenziertes
mit alles in allem trotz aufopfernder Mühwaltung
erfrischend wirkte. Wie eine Oase liegt er im
Spiel in einer großen Rolle zu bewähren. Aber
seiner ersten Künstler kaum mehr wie einen respekt¬
Stück und verbreitete nach dem breiten, spitzfindi¬
vollen Achtungserfolg, den eifrige Verehrer am
viel Freude hat sie wohl selbst nicht an der müden“
gen Gerede der ersten beiden Akte auch ein wahres
und trotzdem noch gewagten Liebesabenteuern zus
Schlusse äußerlich noch etwas zu heben versuchten,
Wohlbehagen, so vergnüglich übt der Dichter hier
neigenden Genia gehabt, um die sich schon vor
so daß Direktor Brahm für den abwesenden Dichter
auch seinen bescheidenen Humor an den Typen des
Beginn des Stückes ein Musiker erschossen hat,
danken konnte. Das überlange, redselige Werk des
alpinen Touristenlebens. Dann aber geht es
stimmungsweichen Wiener Dekadenten hat seinen Titel
denn sie ermangelt im Grunde doch der inneren
wieder in der nüchternen, gequälten Tonart der
von der gelegentlich hingeworfenen Bemerkung eines
Wahrheit und Glaubwürdigkeit. Heinz Monnards“
ersten Akte weiter und endet schließlich gar mit
darin auftretenden Direktors, wonach die Seele ein
Hofreiter bot ein glänzendes Charakterbild des allzeit!
den traurigen Folgen eines Duells. Frau Genia
„weites Land“ sei. Auch wer dieses vage Diktum
verliebten Lebemannes, der in einer merkwürdigen An¬
hat sich nämlich in Abwesenheit ihres Gatten mit
nicht gerade für einen Ausfluß philosophischen
wandlung von Ehrgefühl ein junges Menschenleben
einem jungen Marinefähnrich eingelassen, und der
Tiefsinns halten kann, wird doch zugeben müssen,
rücksichtslos seiner Laune opfert. Frl. Herterich
junge Galan entweicht gerade nächtlicherweile aus
daß es sich annähernd auf die Seelenverfassung
fand sich schlecht und recht mit der Ibsenschen Erna
ihrem Zimmer, als ihr Mann heimkehrt. Trotz
der Schnitzlerschen Hauptpersonen beziehen läßt,
ab und der junge Fähnrich hatte in Herrn
seiner sonstigen eignen Weitherzigkeit nimmt Hofreiter
namentlich auf den Fabrikanten Hofreiter, einen
Stieler einen sehr geeigneten Darsteller. Sonst“
nun die Sache sehr übel, fordert den jungen
älteren sehr verliebten Herrn, dessen Herz sozu¬
wäre aus der Fülle der Episodenfiguren noch der
Menschen, der tags darauf gerade ins Ausland
sagen einer Kaserne ähnelt, in der für viele Frauen
ernste, wohlanständige Arzt des Herrn Marr, der*#
gehen wollte, und schießt ihn über den Haufen.
und Mädchen Platz ist. Ein so liebebedürftiges
Doktor des Herrn Reicher, der Bankier des Herrn
Genia selbst will der unglücklichen Mutter des
Herz mag man dann auch etwas poetischer
Froböse und der Schriftsteller des Herrn
Fähnrichs die Bluttat melden, da sonst niemand
mit einem weiten Land vergleichen, wenn
Forest zu neunen. Auch die Damen Sussins
dazu den Mut hat, Hofreiter aber tritt eine schon
auch der Fabrikant Schnitzlers eine
und Grüning fügten sich als schwer geprüfte
früher geplante Geschäftsreise nach Amerika an.
zartsinnige Bezeichnung für sich und seine Seele
Mütter des Fähnrichs und der entarteten Erna#
Ob ihm nun Erna folgen wird, bleibt mehr als
vielleicht abwehren würde, denn mit einer Poeten¬
geschickt dem ausgezeichneten Enseible ein, dessen
zweifelhaft. Das Stück ist viel zu lang für die
seele, die ihre Flügel weit ausspannt, um sehnend
virtuoses Spiel eine fast prunkvolle Dekoration,
kleine Fabel, die das Schlinggewächs weit¬
durch stille Lande der Schönheit und der Träume
wenn auch nicht zu einem durchschlagenden er¬
schweifigen, wienerischen Geplausches oft wahr¬
zu fliegen, „als zöge sie nach Haus“, hat die
schütternden Drama, so doch zu einem ansehnlichen#
haft erstickt. Augenscheinlich hat Schnitzler
robuste Seele dieses skrupellosen Genußmenschen
Schaustück herausputzen half.
gerade auf diesen Dialog die größte Mühe ver¬
wenig oder nichts gemein. Er fühlt sich denn also
wendet und dabei eifrig nach Ibsenschem Muster
in seiner Ehe mit Genia nicht wohl, zumal ihm
gefeilt. Oft nehmen sich seine mehr oder minder
gerade die junge Erna Wahl in den Weg läuft,
(C
feinen Pointen wie Silbenstechereien seines großen
ein fesches modernes Mädel, das sich zwar nicht
N
nordischen Vorbildes aus, den er offenbar auch in
der Liebe älterer Herrn verschließt, aber doch
der Kompliziertheit seiner Charaktere nachahmte.
jedenfalls eine ausgesprochene Abneigung gegen
Aber man sieht es auch hier wieder, daß solche 2
das Heiraten hat. Hofreiter will sich nun scheiden
lassen und Erna heiraten. Das paßt ihr aber! wirklichen wie auch nur vermeintlichen Geistreichig= ze