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24. Das weite Land
auf dem Gipfel seines Glanzes, prunkt in Vorhang sich zum letzten Male über das letzte der dern weil er fühlte, daß sie beide, Genia und er,
us Palast, hat Lykons Weib gefreit, will vielen gut gestellten Bilder senkt, gehen wir leer
nicht geschaffen waren, in Lüge und in ewigem Ver¬
bns Tochter mit seinem eigenen Sohne ver¬
und in unserm Innern unbereichert heim. Was wir
stecken vor dem betrogenen Gatten zu leben, mehr
len, hat sich sogar zum Tyrannen von Syrakus
sahen und wovon wir uns vier Theaterstunden lang
noch: weil er ahnte, nichts andres als Liebe, als
beschwungen, wenn auch Karthagos Fuß fester
spannen und zuweilen auch wohl ein wenig rühren
Treue für diesen ihren Gatten sei es gewesen, wes¬
ije auf seinem Nacken sitzt und Mago, derselbe
ließen, ist im Grunde doch nur eine dramatisch auf- halb die Geliebte sich seinem vermessenen Wunsche
thagerhauptmann, der mit ihm den Verrat in
getakelte Anekdote der alten Historie, vor der die versagte. Für diesen Korsakow braucht Schnitzler
r Felsenschlucht beging, dank seiner gefährlichen! Saiten unserer Herzen stumm bleiben. Und wer kein Vorspiel, wie Sudermann. Er weiß die Kunst
wisserschaft der eigenkliche Herr der Stadt ist.
mag noch an das Vorspiel, wer an die dunkel ge= des Halbverhüllten zu schätzen und versteb, die Tech¬
diese verrotteten Zustände fährt nun der flam¬
heimnisvolle Prophezeiung und Forderung der „Er=nik seines Meisters Ibsen zur Genüge, aus den An¬
de Vaterlandszorn des blinden Bettlers, den
scheinung" zu denken? Stoff, Stoff ist alles — die deutungen des dramatischen Dialogs allmählich erst,
and erkennt, auch als er beginnt, den Schleier
Seele hungert und friert.
aber desto greifbarer die fortwirkende Schicksals¬
Geheimnisse von jener rätselhaften Schlacht zu
An Beifall fehlte es dem Stücke trotzdem nicht.
macht dieses Toten heraufzubeschwören. Denn an
En und das Gewissen seines Verräters und Ver¬
Wenn der sich freigebig oft vor dem Vorhang zei¬
ihm und seiner tragischen Anständigkeit entzündet
ers durch seine unheimlichen Fragen aufzu¬
gende Dichter auch spürte, daß ein nicht geringer
sich eigentlich erst, was im Hause Hofreiters, des
eln; vor dem auch seine Nächsten, Frau und
Teil davon der
Darstellung, besser den
Glühlichtfabrikanten, endlich zur glückverzehrenden
nund Tochter, ahnungslos stehen, wenn er
Darstellern zugedacht
Denn
war.
aller
Flamme aufzüngelt. Aus Frau Genias Bekenntnis,
n unter der Maske eines Schicksalsgenossen des
schauspielerischer Ruhm dieses Abends wird, das doch noch keine Spur von Schuld in sich schließt,
chollenen, Vergessenen, Ausgelöschten von
ungeteilt fast, auf Curi Clewing,
den
holt sich Friedrich Hofreiter für sein ohnedies leicht
hns letzten Stunden und Vermächtnissen be¬
neu gewonnenen Charakterspieler des Königlichen
et.
zu beschwichtigendes Gewissen pränumerando die
Schauspielhauses, gehäuft. Er brachte für die
Absolution für die neue Liebschaft, die er, einer
Diese Begegnungen des Unerkannten mit
äußerst anspruchsvolle Rolle des Feldherrn=Bettlers
oberflächlichen Bankiersfrau eben müde geworden,
n, die seinem Herzen einst so nahe und so teuer
eine stählerne Biegsamkeit der Erscheinung, der
mit einem frischen, unberührten glücksmutigen
En, verhelfen dem mittleren Akt zu ein paar
Haltung, des Organs und des Ausdrucks mit, die
Mädchen anknüpft. Liebt er sie so gewaltig? Kann
ien von scheinbar tieferem Gehalt, als wir das
ihn nicht ein einziges Mal, so schnell die Register
er ohne sie nicht sein? Ja, wer will das sagen!
t bei Sudermann gewohnt sind, wie denn ander¬
auch wechselten, im Stiche ließ. Im übrigen waren
Die Seele ist ein „weites Land“ und in seiner
der zweite und vierte Aufzug, die politischen Darstellung und Regie recht nach der alten Schau= eigenen kennt man sich am wenigsten aus. Genia
Begensatz zu den häuslichen, bei dem ersten Zu¬
spielhaus=Schablone: würdig, repräsentabel, ge= (von Irene Triesch meisterhaft gespielt) erfährt
nentreffen des Blinden mit Aratos und Mago schickt, vornehm, luxuriös, aber eben doch Mode vonl bald von ihres Mannes neuer Passion und gibt sich
bei der Aufwiegelung der syrakusanischen In¬
vorgestern.
aus Trotz, aus Rache, aus gekränkter Liebe, wer
während eines Gastmahls jenes alte Suder¬
Auch in Axthur Schnitzlers Tragi=weiß es? — einem blutjungen Marinefähnrich hin,
sche Theaterblut noch in vollen Strömen
komödie „Das weite Land (Buchansgabe bei
was wiederum dem Ehemann nicht eine Minute ver¬
n lassen, durch das er bereits vor zwanzig
Fischer, Berlin), das wenige Tage vorherim
borgen bleibt. In einem französischen Schwanke
en verblüffte, dem es aber in all der Zeit nicht
Lessingtheater aufgeführt wurde, gibt es eine Er= wäre die Rechnung nun ja wohl gut und glatt; bei
önnt war, die aus der Seele quellende Wärme
scheinung, eine Rolle, deren Träger nicht mehr im Schnitzler setzt gerade an diesem Punkte der Mecha¬
echten Dichters zu gewinnen. Des Bettlers
Diesseits weilt, wenn der Vorhang sich hebt. Aber
nismus aus, und es erfolgt eine jener Unbegreiflich¬
e und Sieg gelingt: er beseitigt den heimtücki¬
darin zeigt sich gleich der ganze Unterschied zwischen
keiten, eine jener Inkonsequenzen, jener Launen zu¬
Karthagerhauptmann, er treibt mit seinen
der handfesten Theaterkunst des Ostpreußen und der
fälliger Stimmungen und Reizungen, die nach der
üllungen und politischen Erfolgen den falschen
differenzierten Vergeistigung des Wieners: bei
Theorie dieser unpathetischen Dramatik unser
und und Vaterlandsverräter Aratos in den Tod,
Schnitzler tritt diese Person weder als geflügeltes
Schicksal ausmachen: der Gatte provoziert den
gt die Feinde aus der Stadt und versperrt ihren
Gespenst noch als Vision auf, sie führt ihr Dasein
Fähnrich und — schießt vorbei, denkt man noch in
ffen den Hafen, er spornt seinen Sohn zur
allein in der Erinnerung, in dem Bewußtsein und dem Augenblick, wo man ihn in Gehrock und Zylin¬
iotischen Tat, er entringt noch im Sterben
in den Gesprächen derer, denen sie zum Antrieb der vom Duell kommen sieht. Denn bis hierher
r Tochter einen ahnungsvollen Ton des Ver¬
ihres Schicksals wird. Dieses stumme Agens ist der konnte die „Tragikomödie“ von dem weiten Land,
ns und Erkennens
— wir aber forschen ver¬
arme Korsakow der Philosoph und Klaviervirtuose, die übrigens neben der Haupthandlung nach Schnitz¬
us nach den symbolischen Tiefen dieses Geschicks,
der um Frau Genia Hofreiters willen in den Todl lerscher Art noch mehr als eine Variante des Themas
dem höheren und reiferen Sinn dieser schäu= ging, nicht weil er mit ihr ein „Verhältnis“ gehabt,
in sich birgt, ihren entscheidenden Akzent noch ebenso
den und rauschenden Theatralitäten. Wenn der auch nicht weil er an „unglücklicher Liebe“ litt, son= gut auf die dritte wie auf die erste Silbe nehmen.
Ger SLesh