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24. Das veite Land
Dars-Ausstelung Wien C.—1e. Norchaber
siehe Rückselte.
Telephen 12.801.

„OBSERVER“
I. Isterr. behördi. konz. Unternehmen für Zeitungs-Aussohaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Verfrefungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christlania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork.
Paris, Rom, öan Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ehne Gewähr).
Ausschnitt aus:
vom:
hue Züricher Zeitung
ben besteht ja noch aus allerlei anderm als aus einem Meister des Schachspiels schieben. Statt auf ! k
Feuilleton.
Abenteuern einer gewissen Art“, läßt Schnitzler einen
dem Boden der Wirklichkeit zu gehen, banlancieren h
jungen Arzt sagen, den er vielleicht zum Sprachrohr
sie auf dem psychologischen Drahtseil. Und gewisse
seines eigenen Standpunktes ausersehen hat. Wenn
Figuren haben nur den Zweck, den Hauptakteuren die
„Das weite Land“.*)
man aber die gesamte Produktion des Wieners von
Stange zu reichen, damit sie nicht (die literarische
der tragischen „Liebelei“ bis zu diesen tragikomischen
Tragikomödie in 5 Akten A
Luft macht leicht schwindlig) herunterpurzeln.
#ebereien-überblickt, würde man kaum auf den Ge¬
(Uraufführung im Lessing=Theater am 14. Oktober.)
Die Hauptakteure sind der Fabrikant Hofreiter
danken verfallen, daß noch andres vorhanden ist. Es
und seine Frau Genia. Das Stück fängt damit an,
„Warum ich meine Frau betrogen habe? ..
muß den Betrachter dieser sympathischen Dichterper¬
daß sich ein russischer Pianist erschießt. Wegen uner¬
Sollt es Ihnen noch nicht aufgefallen sein, was für
sönlichkeit fast wehmütig stimmen, daß sie, die bald
widerter Liebe. Genia versagt sich dem Künstler —
komplizierte Subjektewir Menschen im Grunde sind?
an der Schwelle der fünfzig angelangt ist, das Leben
aus Reinlichkeitsgefühl, wie es ihr Mann zu nennen
So vieles hat zugleich Raum in uns —! Liebe und
so einseitig sub specie Veneris sieht. Oder soll in
beliebt. Aber der Gedanke, daß dieTugend seiner Frau
Trug ... Dreue und Treulsigkeit ... Anbetung für
den Worten des Arztes eine Selbstkritik liegen?
einen Menschen in denTod getrieben hat,wird ihm un¬
die eine und Verlangen nach einer andern oder nach
Dann flösse aus demselben Geist die Bemerkung:
heimlich und treibt ihn von ihr fort zu neuen Aben¬
mehreren. Wir versuchen wohl, Ordnung in uns zu
„Wir vergessen immer wieder, daß es im Leben jeder
teuern. Hat diese sophistische Auslegung wirklich noch
schaffen, so gut es geht, aber diese Ordnung ist doch
Frau, auch wenn sie Liebhaber hat, eine Menge
einen Schimmer von Lebenswahrheit? Gibt es auf
nur etwas Künstliches. Das Natürliche ist das
Stunden gibt, in denen sie an ganz andere Dinge zu
der weiten Welt einen Mann, der die Treue seiner
Chaos. Ja — mein guter Hofreiter, die Seele ist ein
denken hat, als an die Liebe.“
Frau als Entschuldigung für die eigene Treulosigkeit,
weites Land.“ So interpretiert Schnitzler Titel und
Denn nichts andres als Abenteuer einer gewissen
als einen Grund sie zu verlassen benützen könnte?
Thema seines neuen Werkes.
Art füllen Schnitzlers fünf Akte. Ein Reigen von
Gibt es das in Gottes reichem Tierhaus? Existiert
Der Titel, einzig aus Verlegenheit geboren, deckt
Liebeleien, und der Weg ins Freie führt zum ein¬
das nicht einzig in des Dichters engem Treibhaus?
jede Sache. Er ist so allgemein gehalten, daß man
samen Weg. Das Leben, wie es sich hier spiegelt,
Dabei wird nicht einmal ganz klar, ob der Russe frei¬
sich fragt, auf welche menschlichen Beziehungen von
mit Verzicht auf alle sozialen Perspektiven, das
willig Hand an sich gelegt hat. Wir sollen annehmen,
tieferem Belang er nicht zutreffen könnte. Und gilt
myriadenhafte Leben schrumpft zu einem halb fri¬
daß er als Opfer eines amerikanischen Duells fiel,
er nicht ebenso gut für den Schutzzoll oder die Mode
volen, halb elegischen Spiel der Geschlechter zusam¬
das ihm der Ehemann aufdrängte. Zu welchen Thea¬
oder das Schachspiel? Der Rahmen ist so weit ge¬
men. Wir hören wohl gelegentlich, daß der Fabri¬
termitteln muß der feine Schnitzler greifen, wenn er
spannt, daß das verhältnismäßig kleine Bild, welches
kant Hofreiter morgens ins Bureau fährt, daß er für
sich auf dem psychologischen Seil produziert!
darin sitzt, keinen festen Halt hat. Es heißt: Irr¬
ein neues Patent interessiert ist, daß er zu Geschäfts¬
Wie durch das Erlebnis Frau Genias Lüste ge¬
lichtelieren der Liebe und ist auch in der Gattungs¬
zwecken eine Reise nach Amerika plant; aber was hat
weckt worden sind, brechen ihre Revanchegelüste her¬
bezeichnung als Tragikomödie nicht glücklich.
die Arbeit in dieser Phäakensiedelung zu suchen?
vor, als ihr Mann sich daraufhin von ihr abwendet.
Liebe und Trug, Treue und Treulosigkeit — sie
Neben dem Spork der Liebe wird nur noch der Sport
Sie gibt sich einem Marine=Fähnrich hin, der das
sind unzertrennlich wie Licht und Schatten. Sie
des Tennis mit Eifer betrieben, und er scheint uns
Pech hat, von dem rechtzeitig heimkehrenden Gatten
hausen dicht neben einander in der Seele des Men¬
für jenen bei weitem der geeignetste Nährboden.
beobachtet zu werden, als er nachts aus dem Fenster
schen. Von allen Lebewesen ist er das komplizierteste;
Allenfalls Bergsteigen ist noch erlaubt.
ihres Schlafzimmers steigt. Sofort spielt Hofreiter
er ist am kompliziertesten, wenn er liebt. Es mußte
Man vermißt also durchaus das Leben mit seinen
den Verteidiger des häuslichen Herdes und fordert
einen Meister in der Enthüllung erotischer érats
tausendfältigen Aspekten. Man vermißt sogar — was
den Liebhaber seiner Frau zum Duell. Wirkt ein
Ahime wie Arthur Schnitzler reizen, diese Vielfäl¬
schwerer ins Gewicht fällt — das Leben in diesen
Duell in dieser Welt laxester Grundsätze, wo eben
tigkeit vor uns hinzustellen. Tatsächlich ist sie die
„Herzensschlampereien". Schnitzlers Geschöpfe schei¬
noch die Tugend der Frau als Grund zur Entfrem¬
Dominante seines ganzen künstlerischen Schaffens,
nen dem Leben entfremdet, weil sie zu sehr Demon¬
dung galt, nicht einfach lächerlich? Ist es nicht die
das von jeher in dieser Tonart schwelgte. „Das Le¬
strationsobjekte der Kunst, Schreibtisch=Homunculi
leerste Formsache? Ein Anachronismus? Ein Stil¬
geworden sind. Sie sollen zu viel beweisen. Sie er¬
fehler? Aber es scheint zu Schnitzlers Inventar zu
*) Buchausgabe: S. Fischer Verlag, Berlin. klären sich überdeutlich. Sie lassen sich zu willig von gehören wie die Liebelei; zu seinem Vorstellungs¬
ni