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Das Geite-Land
Punkte zu kurieren“, nicht nur das der Frauen, sondern auch das
der Männer, die anscheinend zu nichts anderem auf der Welt sind
als zu Liebesabenteuern: zu Liebe und Liebelei. Die Erotik ist der
Pol, um den Schnitzlers Erdball kreist; allerdings eine seine,
differenzierte, über sich selbst philosophierende, sich selbst bespiegelnde
Erotik. Das macht die Begrenzung Schnitzlers aus Und eine
andere Begrenzung des Dramatikers Schnitzler ist die, daß
er kräftige bestimmte Charaktere, eine entschiedene Stellung¬
nahme, die das Drama verlangt und die man auch mit
feinsten psychologischen Mitteln, auch mit Zwischenfarben zu
geben vermag (man denke an Ibsen), nicht bieten kann,
weil sie seiner weichen und melancholischen Natur widerstreben.
„Im weiten Land“ werden Treue und Untreue, Sich=Ausleben
und das Leiden um dessentwillen, daß man sich nach seiner
ganzen physischen und feelischen Beschaffenheit nicht ausleben kann,
tiefe Liebe und oberflächliche Liebe gezeigt in einem leicht be¬
wegten Wellenspiel, bei dem die Wasserchen bald aufblitzen, bald
in Dämmerung verschwinden, bald wieder aufblinken, bis ein
Wind darüber fährt und das schillernde Spiel die düstere Sturm¬
farbe erhält. Ein tödlicher Schuß im Duell macht der Spieler¬
ein Ende, ein Duell, zu dem nicht aus Ernst, aus sittlicher Eur¬
rüstung herausgefordert wird, sondern weil Herr Hofreiter, der
betrogene Ehemann, nicht als „Hopf“, als Dummer dasteben
will. Als aber Hofreiter, der selber seine Frau andauernd betrügt,
sie aber doch wirklich liebt, dem jungen Fähnrich mit der
Pistole gegenübersteht, fühlt der Alternde sich
wie Bau¬
meister Solneß, nur übertragen aufs Liebesleben
der siegenden Jugend gegenüber, die ihm sein Welb
raubt. Da knallt er den jungen sympathischen Menschen nieder,
nimmt aber zu gleicher Zeit Abschied von allen Liebesabenteuern
und verliert zur selben Stunde auch sein Weib. Der Schluß ist er¬
schütternd, obgleich die Tragik wenig begründet und sich unvermittelt
emporreckt. Die novellistischen fünf Akte fesseln durch die welt¬
männische, überlegene, halb ironische, halb melancholische Art, mit
der sich Schnitzler auf seinem Spezialgebiet bewegt und die Aeuße¬
rungen der Liebesempfindungen, der Treue und Untreue von allen
Seiten her beleuchtet. Einige Kürzungen würden der Dichtung, die
an dem gleichen Abend an mehr als zehn Bühnen die Uraufführung
erlebt hat, genützt haben.
Auch würde es dem Werk genützt haben, wenn die Hauptsigur
Hofreiter nicht von Herrn Monnard dargestellt worden wäre.
Hofreiter soll ein erobernder, glänzender, egoistischer, doch durch
seinen Charme versöhnender Ehe= und Herzensbrecher sein.
Monnards Grundwesen aber ist — wofür er nichts kann — schwer
und brutal. In manchen Szenen wirkte er durch seine maskenlose
Offenheit fast peinlich. Anders Irene Triesch, die leidende
Gattin Hofreiters, die dem Dichter mehr gab, als er ihr. Emanuel
Reicher und Mathilde Sussin hatten zwei farblose Typen darzustellen,
die nur Schnitzlers Theorien zu dozieren hatten. Reicher gab
seinem Doktor immerhin einige Individualität, der Sussin
gelang das nicht. Stieler als Fähnrich, Hans Marr als ernster
Arzt, Froböse als Bankier Natter dienten dem Dichter nach besten
Kraften. Hilde He
terich aber tat mehr. Sie war ein leben¬
sprühendes und sinnliches Jungfräukein, das — die Hilde Wangel
des Baumeister Solneß —
mit Hofreiter auf einen gefährlichen
Felsenturm klettert und bei ihm das Königreich der Liebe finden
will. Humoristische Typen sanden in der Darstellung von Bruno
Ziener als Tennisspieler, Forest als Schriftsteller mit einer Peter
Altenberg =Kopie, Ilka Grüning als schwatzhafte Solonputter
fröhlichen Anklang. Der Erfolg der Tragikomödie bewegte
Dichtung auf einer Zwischenstuse. Immerhin Kkophte
Direktor Brahm für den abwesenden Tichter danken.
Daß Direktor Otto Brahm zum künftigen Leiter
Wiener Burgtheaters in Aussicht genommen ist, wußte ein
Berliner Mittagsblatt am Montag aus „zuverlässigster Quelle“ zu
melden. Wie der Vertreter des Dr. Brahm erklärt, ist an der
Meidung kein wahres Wort. Sollte Brahm 1914 von der
Leitung des Lessing=Theaters zurücktreten, so würde eine Direktions¬
führung für ihn keineswegs in Frage kommen. Damit erledigen
sich auch die Gerüchte, die Brahms zum künstigen Leiter des
Deutschen Theaters machen.
Der Geueraldirektor der Königlichen Museen Wilhelm Bode
ermächtigt uns zu der Erklärung, daß die von einem Berliner
W.AIIZIuL
„I
grotonelenu
men Quénisset im „kleinen Bären“ entdeckt wor¬
den. Er bewegt sich südwärts nach der „Krone“
zu und kann also bei uns die ganze Nacht gesehen?
werden. Er stellt einen Stern 7. Größe dar und
ist daher schon mit schwächeren optischen Hilfs¬
mitteln leicht aufzufinden.
Als 7. Komet des Jahres 1911 ist wieder ein
sehr heller mit freiem Auge sichtbarer Komet zu
nennen, den der russische Astronom Beljawsky
am 2. Oktober zu Simöis in der Krim auffand.
Er bewegt sich ziemlich rasch in der „Jungfrau“
gegen die „Wage“ zu; es werden also seine Sicht¬
barkeitsbedingungen in kurzer Zeit für uns un¬
günstig.
Wie diese kurzen Aufzählungen zeigen, sind die
Vorgänge am nächtlichen Himmelszelt jetzt von
ganz besonderem Interesse; aber neben den Ko¬
meten zeigt sich auch die Planetenwelt unter gün¬
stigen Verhältussse). In dieser Beziehung mag
nur auf die güthe Stellung der beiden Planeten
Mars und Satk hingewiesen werden, welche sich
im Strombilddes „Stigks) befinden, das bald
nach Sonnenngang Aufgehlweshu diese
Gestirne die Fanze ####ssidurch sichtbar bleiben.
Berliner Theater. Hart

* Ueber das im Lessing=Threker in
[Berlin aufgeführte neue Schnitzlersche Stück:
VDasweite Land“ fünf
sitten, sagt unser Berliner Theater=Mitarbeiter
u. a. folgendes: „Das Spiel soll wohl der guten
Wiener Gesellschaft einen Sittenspiegel vorhalten.
Das weite Land sind die Oeden und Tiefen der
Stele, die der Dichter in allen ihren Varianten