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box 2874
24 Das weiteLand
ed
Mordgeschichten noch viel unmöglicher. Es lag an dem
selbst wenn er manchmal ein vieltausendköpfiges Volk
zu gleichgültigen Monnard und an der zu interessanten
zusammenruft, um es zu enttäuschen und zu langweilen.
Triesch, wenn die Aufführung noch viel mehr als das
Und wenn wir noch den „Gefesselten Promethens", „Die
Buch willkürlich kraß, theatergrob wirkte— als habe
Perser“ und „Die Sieben gegen Theben“ zu hören und
Schnitzler zeigen wollen, wie der „Einsame Weg“ aus¬
zu sehen bekommen sollten — immer wieder werde ich
sähe, wenn er nicht von ihm, sondern von Sudermann wäre.
mich im Zirkus am Schluß der Vorstellung aus dem
Dabei denkt man freilich an den alten Sudermann,
hypnotischen Schlaf erheben, mit meinen letzten Kräften
ber aus blanker Büchse die prasselndsten Platzpatronen
diesem stärksten Träumer Berlins Beifall klatschen und
losknallte, und uns dabei einreden wollte, das seien
meine kritischen Waffen zum Zeichen der Ergebung
die Donner der neuen Zeit und die Geschosse des Schick¬
in den Sand der Arena hinunterwerfen.
salsgottes. Der jetzige ist ein stiller höflicher Mann,
Freilich nicht ohne diese Waffen nachher in aller
der für das Königliche Schauspielhaus in Berlin an¬
Stille wieder aufzulesen und zu rufen: Wehe, wehe,
gemessene fünf= und mehraktige Zambenstücke verfaßt.
die Toten morden die Lebendigen, ailinon, ailinon, der
Die Patronen knallen nicht mehr recht und das Gewehr
tote Aeschylos schlägt uns mit Keulen gegen die Brust,
wird präsentiert vor aller ehrwürdigen akademischen
ohne daß der tragische Schauer sich einstellen will, den
Theatertradition. — Was sich begibt, zeigt ein Blick auf
Sie, Schöpferischer, wahrscheinlich als Einziger imstande
den Zettel: Herr Clewing ist erst Feldherr von Syrakus
sind, unmittelbar zu genießen. Sie glauben, ich weiß
und nachher blinder Bettler, Herr Pohl ist erst Freund
es, an die olympischen Götter, an Orakel und an Sehe¬
des Feldherrn, dann Tyrann von Syrakus und Inhaber
rinnen, die Mythenwelt der Griechen ist Ihnen in
der früheren Gattin des Feldherrn. Dazwischen liegt
Fleisch und Blut übergegangen und lebt in Ihnen mit
also ein tückischer Verrat des Herrn Pohl und am
der unangetasteten Wahrheit der Evangelien. Wir Zu¬
Ende steht sicher die aufopfernde Nettung der Vaterstadt
schauer, wir Volk, das die Ränge füllt, entbehren dieser
durch den edlen Bettler. — Genau so kommt es auch,
Vorteile. Wir sind ohne Andacht hergekommen, wir
und unsere vom Theaterzettel gewonnene Kenntnis ver¬
sind Ungläubige, Unfromme, wir sind entweder zu un¬
mehrt das Stück nur durch einen ganz schwachen Ver¬
gebildet oder zu gebildet, entweder zu dumm oder zu
such dieser Geschichte, aus dem Jugendfreund einen Tief¬
kritisch, zu sentimental oder zu zynisch, beinah jeder
sinn anzudrehen: Der Feldherr soll für den Sieg in
von uns hat eine andere Vorstellungsart, uns liegt von
der Verzweiflungsschlacht Ruhm und Namen ab¬
allen überlieferten Dingen weniges so fern wie die
schwören, um die große Sache des Vaterlandes zu retten.
griechische Kultur. Dafür haben wir was anderes: die
Aber da er nun als blinder Bettler nach Syrakus zurück¬
Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen. Wir hätten uns
kehrt, verkündet er fünf Akte lang so heftig den Ruhm
nicht zu Tausenden in eine unfeierliche Riesenscheu
seiner einstigen Feldherrnexistenz, daß niemand weiß,
sammengepfercht, wenn in uns allen nicht das
warum er nicht sofort erkannt und festgelegt wird
dürfnis gewesen wäre, unser Leben für ein paar St
niemand als der Autor, der noch ein paar weitere
ungewöhnlich zu steigern und zu vereinfachen. Die
Szenen rührenden Wiedersehens und spannender Em¬
das Gemeinsame in uns allen: wir hofften, da
pörung braucht. Es scheint doch, daß die Tragödie
Menschen zu sehen wie wir, nur gleichsam Begür
höchster Selbstlosigkeit, sachlicher Hingabe, dem Autor
Erwählte, in deren Schicksal Nacht und Helle, das
Sudermann nicht so recht liegt. — Im übrigen aber
Schwarz=weiß des Daseins, grell auseinandertri¬
soll man nicht mehr auf ihn schelten; er ist ganz und
deren Leben eine unerhört gesteigerte Lichtflut des
gar harmlos geworden. Er schreibt, von ein paar ganz
mit der tiefen eindeutigen Furchtbarkeit des Tode¬
vereinsamten Berliner Schnoddrigkeiten abgesehen, den
trastiert. Auf diese starken Grundfarben wollte
guten edlen Jambenstil aller dichtenden Gymnasiasten.
unser armes schmutzig=graues Dämmerdasein, das
Es ist gar kein falscher Glanz mehr an ihm, weil alles
Fisch und nicht Fleisch, nicht Ja und nicht Re¬
gleich stumpf ist. Er beschränkt sich, grad wie die
gebracht sehen.
Theaterkunst dieses Hauses, darauf, ein paar als klassisch
Dieser Wunsch ging uns nicht in Erfüllung
überlieferte Gebärden und Töne neu zu arrangieren.
blickten auf furchtbare Vorgänge. Wir sahen Ag
In irgendwelche selbstschöpferischen Tiefen des Blutes
non an der Spitze seiner Soldaten vor den
und des Geistes hinabzutauchen, das gibt er jetzt gar
seines Königsschlosses, siegreich aus Troja 1
nicht mehr vor. Die Kreise derer, denen die Kunst
kehrend, wir hörten später seine Schreie im ?
die ernsteste Funktion des Lebens ist, stört er nicht mehr,
des Hauses und wußten, daß er jetzt unter der
und deshalb lasse man ihn ruhig mit den kindlichen
des Aegisthos fällt. Wir sahen Orest erscheinen
Mimen und Zuschauern am Gendarmenmarkt Theater
memnons Sohn, von den Göttern zum Nac
spielen.
Julius Bab.
zeug erkoren und erlebten es, wie er den Mör
schlägt, die Mutter tötet und durch den ungel
Aeschplos, Reinhardt und wir.
menschliche Tragkraft übersteigenden Zwiespalt d
Ich bin für Reinhardt, weil er der Lebende, der
fühle wahnsinnig wird. Wir erlebten das alle
Wagende, der Irrende, der Junge, der Erneuernde,
erlebten es nicht. Wir saßen da und blickten merk
der Sich=Verwandelnde, und besonders weil er der Stär¬
unbeteiligt auf das Ganze. Wir fühlten das
kere, der Siegende ist. Der Siegende, selbst wenn er ab
fernt wie etwa einen Schnitt im Arm, wenn die
und zu über die Leichen griechischer Tragiker geht, und
vorher unempfindlich gemacht worden ist. Wir
enge, tere Stunven: #as#iste u
zu schonen, mit Heldentaten ausf
wir wunderschöne Stunden erlebe
regung, voll heißen Stolzes. E
der sich nicht schonen will!
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Randbemerkun
Pastoral=Juristerei.
Daß es außer der Pastoral¬
Wirkung sich weit über die Kre
Katholizismus erstreckt, auch noch e
Pastoral=Juristerei nennen
Gelegenheit des jüngst verflossenen
Kongresses für Neumalthusianismus