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24. Das veite Land
Thearer
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Allllil.
andere Eigenart von ihm, den Schicksals. An Genia und Fritz Hofreiter sucht
gedanken und die schwebende Vorsehung Schnitzler, was er psychologisch formen
hereinzuziehen, zwingt diesmal seelisch so wollte, herauszuentwickeln. Da nun der
wenig, daß man nur die Absicht des Tech= Wurzelboden alles Geschehens das uneröff¬
nikers dahinter verspürt. Auch von den nete Wirrland der Seele ist, so gründet
anspielenden Neben= und Vordeutungen des sich die Unsicherheit in den Linien schon
Dialogs sind manche, weil zu aufdringlich auf das Problem. Die Unsicherheit liegt
unterstrichen, im Theatralischen geblieben, aber auch in der mangelhaften Durchgestal¬
Daß von den begleitenden Motinen tung, im Können des Dichters. Soll das
einige an die Fragestellungen der nor= Abirren Genias, ihr entscheidender Umschlag
dischen Problematiker erinnern, sich mit glaubhaft und lebenswahr wirken, so darf
ihnen decken oder schneiden, das liegt an ihn der Dichter nicht in die Zwischenakte
demselben Kampfkreis, der eben hier wie versenken, so muß er ihn eingehender mo¬
dort den Ausgleich der Geschlechter um= tivieren. Alfred Kerr hat einmal von
schließt. Wenn etwa Schnitzler mitunter= Schnitzler gesagt, ihm fehle die Klarheit der
fließen läßt, daß, sobald dem Manne Frei= lateinischen Rasse, und er meinte dabei
heiten im geschlechtlichen Ausleben zustün= die rationalistische Klarheit der gedanklichen
den, die gleichen auch dem Weibe zukämen, Darstellung. Und die sittliche Klarheit
so hat nach Camilla Collets Weckruf be= christlich germanischer Denker? Vielleicht
reits Björnstjerne Björnson diese Frage im stellt sich die Unzulänglichkeit darin nir¬
„Handschuh“ angeschnitten, nur mit dem gends so glatt heraus, als wenn er den
Unterschiede, daß seine volltönende ethische Wahrheitsbegriff umreißt. Darnach wäre
Energie die beiden Geschlechter auf die glei= die Wahrheit weiter nichts als Zugeständ¬
chen Sittengebote und Eingrenzungen fest= nis, offenes Bekenntnis. Wie tief, un¬
legen wollte. Und wenn Strindberg im erbittlich, ganz ist dagegen Ibsen, überall,
„Vater“ verkündet, daß nur die Frauen, wo er zur Verantwortung drängt, ein Christ,
nicht die Männer, Kinder ihr eigen nennen der jeglichen Antrieb und Gefühlsstrom,
dürfen, so sagt Schnitzler, daß keine Mutter jegliche Tat aus dem einen Grund der
ihren Sprößling sich zu eigen bewahrt, inneren Treue und Wahrhaftigkeit schöpft.
weil die Kinder zu Jünglingen und Män= So hat Schnitzler wohl ins weite Land ge¬
nern wachsen. Strindberg enthüllt dann, zeigt, indem er seine Gestalten verheim¬
wie ein Weib den Mann zwar mütterlich lichen, schleichen, mißtrauen, lügen, sich ver¬
lenkt, wie aber aus solch herrischer Mütter= stellen und betrügen läßt, aber auf den
lichkeit nie die schmiegende, duftende Liebe willensstarken, zielsteten, zuversichtlichen Ge¬
der Geliebten zu erblühen vermag. Und
wissensmenschen, in das weite, herrliche Land
hier rückt Schnitzler näher an ihn, denn
der Seele als den Sä= und Fruchtboden
Frau Genia hegt zunächst auch die Liebe
alles menschheitlich Edlen und Dauernden
einer Mutter, zwar nicht jene Liebe, die hat er bisher nicht gewiesen.
sich nur zügelnd und einredend bekundet,
Am 8. Dezember ging über dieselbe
aber jene, deren Milde alles sänftigt, ver¬
Bühne die Uraufführung eines Dramas,
zeiht und segnet. Und eben sie soll nicht
das wiederum aus dem weiten Land auf¬
verzeihen, sie soll leidenschaftlich absagen
steigt. Nur wird das Land hier von einer
und verurteilen können. „Wenn Frauen nur
anderen Entwicklungsstufe aus, durch ein
Mütter sind, das ist wohl nicht das Rich= anderes Temperament geschaut. Nicht der
tige." „Es gibt Dinge, die nicht verjähren.“ Skeptiker einer späten Kultur schlägt da
Hätte Ibsens Frau Alving in das Haus geflissentlich, genießerisch dunkle Knoten in
des Kammerherrn die Frühlingssonne ge= das seelische Gewebe mit einer vielspältigen
tragen und wäre Frau Genia der Untreue Psychologie, die für das Drama noch gestern
gegenüber in Glut und würdigem Zorne modern war, um heute schon von den stren¬
aufgelodert, wer weiß?
geren Formern abgelehnt zu werden. Nein,
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