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24. Das weite-Land
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(ch Ein Mißerfolg Schnitzlers. Leipzig, 15. Okt. Zu den 14
Bühnen, an denen Schnitzkers Tragikomödie „Das¬
lweite Land“ am Sonnabend ihre Uraufführung erlebte, ge¬
hörte auch das Leipziger Stadttheater. Solche gleich¬
zeitigen Iraufführungen an mehreren Bühnen sind modern und
vielleicht auch praktisch wie das Lotteriespiel bei verschiedenen
Kollekteuren; wird hier eine Niete gezogen, dann gewinnt viel¬
leicht dort ein änderes Los. In Leipzig jedenfalls hat Schnitz¬
ler keinen großen Treffer gemacht. Die Aufnahme seines neuen
Werkes war merklich kühl und der an den Aktschlüssen und
am Ende gespendete spärliche Beifall galt im wesentlichen den
heimischen Darstellern und der trefflichen Regie. Das „weite
Land“ — so wird denen erklärt, die den Sinn des neuen Stückes
nicht sofort aus der komplizierten Handlung zu erkennen ver¬
mögen — soll sein, die Seele des Menschen, insbesondere
die Mannesseele. Statt aber ein „weites Land“ zu zeigen, wo
neben zerklüfteten Felsen, die „bisher niemand erstiegen“, auch
friedliche Täler liegen, wo neben Disteln und Unkraut auch
freundliche Blumen blühen, zeigt Schnitzler in der „weiten Seele“
seines Helden, des Fabrikanten Friedrich Hofleiter dem Beschauer
[nur ödes Brachland. Der Charakter dieses Mannes, der
seine kluge, schöne Frau vor deren Augen betrügt, der selbst er¬
klärt, ein unsagbares Gefühl der Erleichterung zu empfinden,
wenn auch die Gattin sich „revanchieren“ würde, weil er dann
selbst nicht mehr so schuldhaft vor ihr daßehe, muß nolgedrun¬
gen auf den Beschauer höchst unsympathisch und befremdend wir¬
ken. Die einzige Erklärung seines Charakters gibt Hofleiter
selbst?: er „müsse“ so handeln. Er „muß“ auch den jungen
Marinefähnrich töten, mit dem ihm seine Frau betrogen hat,
während er selbst in den fernen Dolomiten, wo „reine Höhen¬
luft“ weht, eine neue Liebschaft anknüpft. Das Stück selbst gibt
keinen Aufschluß, warum Hofleiter so handeln muß und wirkt,
schon darum bis zum Schlusse langweilig. „Die Seele ist ein,
weites Land, so habe einmal ein Dichter gesagt, es könne übri¬
gens auch ein Hoteldirektor gewesen sein. „Schade, daß sich
Schnitzler mit seinem Stücke gleichfalls in dieser Philosophie..
eines Hoteldirektors bekennen will.
Bresdner Jaurnal
1610. 1910
Literatur. Aus Leipzig schreibt man uns: Das
tiefe Mißtrauen, das sich neuerdings gegen alles geltend
macht, was unter der zweifarbigen „Tragikomödie“=
Flagge die Fahrt durch die Klippen und Untiefen
des Theatermeeres wagt, hat durch die am 14. Ok¬
tober im Neuen Theater erfolgte Uraufführung des
neuesten dramatischen Werkes aus Arthur Schnitz¬
lers sonst
vorzüglich funktionierender drama¬
tischer Werkstatt „Das weite Land“ frische und
vollauf berechtigte Nahrung erhälten. Denn diese auf
fünf lange und zum geößten Teil auch langweilige Akte
verstreute Ehebruchskomödie ist durchaus nicht tragisch,
sondern nur gequält und quälend. Sowohl hinsichtlich
des gedanklichen Gehaltes, wie der dramatischen Form.
Das weite Land“ in das der Dichter seine Gäste mit
einer an ihm sonst ganz ungewohnten Ungeschicklichkeit
einführt, soll das Seelenleben des Fabrikantenehepaares
Hofreiter sein. Er: ein nervöser kluger Kopf, einer von
denen in Amors Reich, denen sich alle Frauen= und Mädchen¬
arme willig öffnen, füllt die Tage und Nächte mit allerhand
Liebesabenteuern aus. Sie: eine willensschwache Frau, weiß
darum, hat aber nicht den Mut, sich dagegen auf¬
zulehnen, zumal da die einstige Liebesglut noch immer!
nicht erloschen ist, sondern revanchiert sich dadurch, daß
sie selbst ihr Schlafzimmer einem blutjungen Bürschchen
öffnet. Lüge und Heuchelei, Betrug und Feigheit,
bilden die Pforten und zugleich die Grenzen des weiten
Landes, das der Dichter zu zeigen trachtet. Eine traurige
Welt. Aber tragisch? Nein! Nicht einmal interessant,
viel eher öde, weil all die mancherlei Wortgefechte, Re¬
flexionen und Bekenntnisse mit einem Ballast von über¬
flüssigen Phrasen, lediglich der Lust an koketter Geist¬
reichelei entsprungen, behängt sind die den ohnehin
zögernden Schritt des Dramas verschleiern und ver¬
schleppen. Lauer Silhonetten, aber keine Menschen, an
deren Tun und Lassen man Anteil nehmen könnte.
Neben dem Ehepaar Hofreiter, bei dessen Gestaltung sich
Schnitzler Ibsenscher Farben bediente, steht ein Kon¬
glomerat von Figuren, das nur durch den Mechanismus
verbotenen und erfüllten, versagten und resignierenden
Liebesgenusses bewegt und miteinander verbunden ist,
Puppen, die, sobald sie ihr Sprüchlein gesagt haben, sich
rasch in wesenloses Nichts auflösen. So auch das ganzes
Stück. — Die Aufführung der Novität unter Hrn. Re¬
gisseurs Huth umsichtiger Leitung war in bezug auf
Inszene und Zusammenspiel glänzend. Wollte man die
Einzelleistungen sezieren, so wäre wohl mancherlei aus¬
zusetzen, doch seien Hr. Walter und Frl. Nolewska
als Friedrich und Genia Hofreiter, Frl. Schippang
als durch das Leid geklärte Schauspielerin und Hr. Wendts
als Doktor Mauer — die einzige sympathische Gestalt in
dieser ganzen hysterischen Gesellschaft — mit besonderem
Lobe bedacht.
Das Werk wurde bekanntlich zu gleicher Zeit noch
tan 13 anderen Bühnen aufgeführt. Fast überall fand
es, im Gegensatz zu der Leipziger Vorstellung, lebhaften
Beifall, so im Berliner Lessingtheater, im Hamburger
Deutschen Schauspielhause, in der Schaubnig zu Han¬
nover, im Wiener Burgtheater, wo der Dichter nach
dem vierten Akt mehrfach gerufen wurde, und in Prag.]