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24 Das weite Land
Jellen
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Ist dieser Herr Hofreiter, von Beruf Fabrikant von
Beleuchtungskörpern, nicht ein wahrer Prachtkerl? Hat
dahein eine bildschöne Frau, die ihm so treu ist, daß sich
wegen ihrer großen Treue ein unglücklicher Liebhaber
erschießt. Der Herr Gemahl ist ihr dafür wenig dankbar.
Im Gegenteil, er nimmt es ihr übel, daß sie den anderen
in den Tod gehetzt hat. Wie kann man nur!? Er selbst
will von Treue nichts wissen, obwohl er schon einen vier¬
zehnjährigen Buben hat. Eben hat er ein Verhältnis mit
der Frau eines Bekannten beendigt. Da läuft ihm ein
junges Mädel in den Weg, um dessen Gunst sich ehrsam
sein bester Freund bewirbt. Er schnappt sie ihm weg, nur
so zum Zeitvertreib, nur für eine Nacht, in einer. Schutz¬
hütte in den Dolomite., 3000 Meter Höhe, in einer Art
„Höhenrausch“ wie er sagt. Seine Gattin hat indessen
die Treue gleichfalls als eine überflüssige und unrentable
Tugend erkannt, und sich mit einem Marinefähnrich ein¬
gelassen. Dieser junge Mann ist der einzige Sohn einer
feinen Dame, mit der Frau Hofreiter gute Freundschaft
hält. Der Vater, mit dem wieder Herr Hofreiter be¬
freundet ist, ist Besitzer eines Dolomitenhotels, lebt von
seiner Frau geschieden, hat täglich ein neues Verhältnis
und bevölkert sein Hotel mit den Folgen seiner Lieb¬
schaften. Hat Schnitzler mit dieser Figur tatsächlich, wie es
heißt, den kürzlich verstorbenen Dr. Christomanos zeichnen
wollen, so hat er seinem Andenken kein eben ehrendes
Denkmal gesetzt, vielmehr sein Grab beschmutzt. Besagter
Marinefähnrich also wird von Herrn Hofreiter gesehen,
als er nachts aus dem Schlafzimmer seiner Frau schleicht.
Der edle Gatte ist keineswegs entrüstet. Warum auch?
Wäre er nicht gerade darüber geärgert, daß man über ihn¬
einen lästigen Klatsch in Umlauf gesetzt hat, ohne daß
er dem Verleumder beikommen kann — er würde die Sache
seelenruhig hinnehmen. In seiner üblen Laune aber
schleudert er dem Fähnrich ein Schimpfwort ins Gesicht,
und zwingt ihn so vor die Pistole. Er will den Jüngling
nicht erschießen, keineswegs! Aber da sie sich gegenüber¬
stehen, reizt ihn der freche, kalte Blick des Burschen und
er knallt ihn nieder. Nun kommt doch so etwas wie ein
scelischer Katzenjammer über den Zyniker. Doch der fal¬
lende Vorhang beendet hier rasch das Stück.
Warum diese fade, widerwärtige Klatsch= und Skan¬
dalgeschichte „Das weite Land“ heißt? Wie kann man den
„seinen Duft“ dieser Dichtung mit einer so rohen Frage
zerstören? Unsere Seele ist ein weites Land und unser
Herrgott hat einen großen Tiergarten. Schnitzler liebt
seit je symbolische Titel. Wenn schon nichts anderes,
regen wenigstens sie zum Nachdenken an, meint er.
Ueber das „Weite Land“ nachzudenken, hob man sich für
den Sonntag auf und gewann nach der Vorstellung
schleunigst den „Weg ins Freie“
Schnitzlers Leute können wienerisch reden, so sehr sie
wollen. Wie wenig sie berufen sind, Träger wahren Wiener¬
tumes zu sein, wird jeder Wiener, dem arisches Blut in
den Adern fließt, empfinden. Schnitzler kann seinen
Anatol jahraus jahrein in Wien spazieren gehen und ihn
alle möglichen wienerischen Abenteuer erleben lassen,
einen Wiener macht er doch aus ihm nicht. Im „Jungen
Medardus“ hat Schnitzler die Wiener des beginnenden
vorigen Jahrhunderts als eine feige, wankelmütige, treu¬
lose Bande gezeichnet. Im „Weiten Land“ dichtet er den
Wienern von heute völligen Mangel des geringsten sitt¬
lichen Empfindens an. Die Zeichnung ist hier und dort
falsch. Die Fälschung wird hier bei uns unschwer erkannt.
Draußen aber, in all den Städten, in denen „Das
weite Land“ gespielt wird, werden die paar, einer ge¬
wissen, scharf umrissenen Gesellschaftsschichte angehörigen
Typen dort nicht kurzerhand verallgemeinert werden?
Werden sie dort nicht die Formel ergeben, nach der man
sich das moderne Wien vorzustellen hat? Aus München
kommt die Meldung, das Publikum habe sich bei der dor¬
#tigen Erstaufführung seltsam reserviert verhalten. Leicht
erklärlich. Die arischen Bayern, uns verwandt nach
Stamm und Art, glauben dem Dichter seine Wiener ein¬
fach nicht. Ihr richtiges Empfinden erkennt die Fälschung.
Die Wiener, die ihnen hier vorgeführt werden, sind
ihnen — glückliches München! — fremd. Ohne Zweisel
hat Schnitzler Wienertum in sich. Allein es wurzelt nicht zu
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