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W
24. Das
box 297
lauter Leute, die zum Unterschied von frühern
Schnitzlerschen Helden, brave bürgerliche Berufe,
wahrscheinlich alie Papiere in Ordnung und zur
Kunst keinerlei verdächtige Beziehung haben. Den¬
noch sind alle diese Menschen mehr oder weniger mit
dem besondern Oel des Dichters gesalbt, alle ein
wenig Erkenntnis=Theoretiker, Schicksals=Deuter,
Selbst=Analytiker und Ich=Psychologen; fast jeder
von ihnen ist beschwert mit den Zweifeln des Da¬
seins, weiß Bescheid über die Rätsel der Dinge und
die Ahnungslosen, die an den Abgründen, Klüften
und Fährlichkeiten des Lebens vorbeitanzen, wie
diese geschwätzige Frau Wahl oder der junge Paul
Kreindl, scheinen nur da zu sein, um das Ahnungs¬
voll=Bewußte der Andern zu unterstreichen. So
vollzieht sich denn alles Geschehen innerhalb dieser
kleinen Gemeinde höchst beziehungsreich zum Schick¬
sal, jeder Schritt führt ins Dunkel unlösbarer Fra¬
gen, scheucht ein ganzes Rudel von Zweifeln auf
und tappt an unzähligen Irrlichtern vorüber. Wie
der Nachthimmel über einer kleinen Landschaft, wölbt
sich das kunstvolle Netz des Schicksals über den
Menschen dieser Schnitzlerschen Tragikomödie, ja
manchmal scheints, als ob die abstrakte Dekoration
des weiten Lands wirklich zu weit wäre für dessen
kleine Figuren. Sie breitet das ganze Arsenal der
Schnitzlerschen Fragen aus: alle wichtigen Ange¬
legenheiten des Lebens, etbische und physiologische
Zweifel, die Affären des Leibes und der Seele, Fra¬
gen der reinen und der praktischen Vernunft, dialek¬
tisch bewegt und von vielerlei Seiten beleuchtet.
Da ein Akt unten in Südtirol, in den Dolomiten
spielt, kriegen selbst die Schlernwände, die sonst mit
der simplen Sonne vorlieb nehmen, eine Art meta¬
phischen Alpenglühns, und der „Purtscheller“ wird
ergänzt durch viele geistvolle Kommentare. Uebri¬
gens sind gerade diese touristisch=philosophischen
Bemerkungen nicht die übelsten des Buches, weil sie
eines der lockendsten Themen, das Thema der reiz¬
vollen Gefahr, sehr hübsch vertiefen. Was es aber
mit uns und mit dem Titel des Stückes auf sich hat,
sagt der Hoteldirektor des Dolomitenhofs, ein
Mann der beinb mic inOessenich-
Raum in uns! Liebe und Trug, Treue und Treu¬
losigkeit, Anbetung für die eine und Verlangen nach
einer andern oder nach mehreren. Wir versuchen
wohl Ordnung in uns zu schaffen so gut es geht,
aber diese Ordnung ist doch nur etwas Künstliches.
Das Natürliche ist das — Chaos!.. Es ist die
alte Schnitzlersche Erkenntnis aus dem „Einsamen
Weg:“ Alles ist immer anders. Dem Schicksal be¬
liebt es, die sonderbarsten Toucen zu machen. Be¬
ziehungen verschwinden spurlos, gehen unterirdisch
weiter und tauchen höchst überraschend aus Tages¬
licht. Parallelen gehen nebeneinander und müssen,
schmerzlich erkennen, daß sie sich erst in der Un¬
endlichkeit schneiden. Ordnungmachen hilft nicht;
das Chaos ist das Natürliche.
Diese faszinierende bengalische Beleuchtung des
weiten Landes gäbe freilich noch keine Bewegung,
keine Handlung, kein Drama; um dies zu ermögli¬
chen, tritt auch diesmal Schnitzlers dunkler Held,
Freund und Helfer auf: der Tod. Er spielt den
Auftakt, gibt den ersten Stoß. Wenn der Vorhang
aufgeht, ist der Tod schon dagewesen und hat seine
Vorarbeit bereits verrichtet. Nun haben nicht nur
die Kleinen zu tun, das alte Thema setzt bald mit
einer neuen Variation ein: Das Eifersuchtsmoliv
Friedrichs, der den Gedanken nicht verträgt, daß
seine Frau auf den Selbstmord des Freundes stolz
sein, dies Erlebnis innerlich gegen ihn ausspielen
könnte, ist sehr delikat. Der mannliche Egoismus
empfindet die ideelle Bereicherung der weiblichen
Eitelkeit durch den Andern, giftiger, tödlicher als
eine Untreue des Leibes. Es scheint, als ob das
Abenteuer mit Erna hier ursächlich verknüpft wäre,
Das junge Mädchen, das in Friedrich Hofreiter den
heroischen, starken und einsamen Mann vergöttert,
gibt seiner Eitelkeit den Bissen wieder, den der
Tote ihm genommen. Und es ist jedenfalls rein dia¬
lektisch sehr kühn gestaltet, wenn das Schicksal nach¬
her diesen Liebesbund aes dem gleichen Motive wie¬
der löst. Freilich geht es auch hier ohne ein bißchen
Gewalt dabei nicht ab; der Tod muß sich noch einmal
bemühen. Herr Friedrich Hyfreitei, der dem neuen
Liebhaber der Frau begegnet, da dieser eben ihr
Schlafzimmer durchs Fensthr verläßt, schießt den
Jüngling klatblütig niederobzwar ihn die Affäre
eigentlich nicht sonderlich berührt. Er kann es ruhig