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24. Das weite. Land
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vinzbuhnen nneder einmal dem
Ueber das Stück selbst haben die „Freien Sti,
men“ bereits in der Mittwochsummer eine ein¬
gehende feuilletonistische Besprechung gebracht, so
daß wir uns diesbezüglich heute turz fassen kön¬
nen. „Ein wettes Land“ ist nicht nur die Seele
der Schnitzlerschen Konstruitionsmenschen,
Indern auch die literarische Persönlichkeit des¬
dichters selbst. Von der schlichten, lehensvolien
nd eben darum so tief ins Herz greifenden „Lie¬
elei“ bis zur Tragikomödie (nomen est omen!)
Das weite Land — welch ein weiter Sprung
ach rückwärts! Dort Gestalten von Fleisch und
zlut, die ein wirkliches Leben leben, hier psycho¬
gische Kunstgebilde, die dem Dichter nur als
demonstrationsobjekte, als moderne Problem¬
guren dienen. Prächtige Einzelheiten, ein glanz¬
oller Dialog, in dem viele ernste und tluge Worte
eprägt werden, können darüber nicht hinweg¬
äuschen. Aus dem Dichterischen, das allein den
Vert eines Dramas bestimmt, ist Schnitzler all¬
nisehr ins Psychologische geraten, aber auch seine
ssychologie trägt diesmal die Marke des Aus¬
etlügeltseins. „Exakt wie die Mathematik“.
hrieb darüber ein bekannter Berliner Kritiker
iese Psychologie, die mit unbekannten
Frößenbeitet; allzu exakt, als daß sie für
Leben gelten könnte, das immer unlogisch ist.
Exsonnen aus Lebensweisheit, nicht erlebt, ist das
Schauspiel, ob es auch in einzelnen Teilen von
Leben strotzt. Schnitzlers grüblerischer Hang war
stärker als sein Herzschlag, die Eingebung schwä¬
cher als die kunstvolle Auflösung. Deduktiv ist
die Technik dieses Dramas, das die Gesellschaft
des Wiener Westens in überaus zahlreichen Ty¬
pen vorführt: Luxusweibchen, Hahnreie, Halb¬
Sporttrotteln,
jungfrauen, Modeschriftsteller,
Lebekünstler und wie die Bazillenträger der De¬
kadenz alle heißen. Sie sind interessant nicht um
ihrer selbst willen, doch dank dem melancholischen
Sarkasmus ihres Dichters. In der Genauigkeit
der psychologischen Präparate erinnert Schnitz¬
ler an Ibsen. Nur die Menschen Ibsens und
ihre Probleme sind von anderer Wichtigkeit...
Die Aufführung des trotz aller Schwächen dich¬
terischen Spieles mit Menschen und Geschehnis¬
sen war sorgsam vorbereitet und gewährte denn
auch einen hohen künstlerischen Genuß. Einzelne
Darsteller und Darstellerinnen nahmen sich der
von innen heraus verkünstelten Gestalten liebe¬
und verständnisvollst an, so daß sie ihnen bei¬
nahe reales Leben einhauchten. So vor allem
Herr Schramm (Hofreiter), der den liebens¬
würdigen Lebemann und rücksichtslosen Herren¬
menschen (eine Rolle, die bekanntlich noch für
Kainz bestimmt war) prächtig charakterisierte und
individualisierte und dessen ganz und gar un¬
dramatische Gedanken=Inkonsequenz nach Mög¬
Die
lichkeit glaubhaft zu machen suchte.
„unverstandene Frau, die ins Gleiten kommt“.
wurde durch Frl. Wolff (Genia), welches in
erfreulichster Weise auch technisch ihre schönen Aus¬
drucksmittel immer mehr und mehr in die Ge¬
walt bekommt, sehr gut repräsentiert, ja in ein¬
zelnen schwierigen Szenen zeigte diese jugendliche
Darstellerin eine Tiefe des Empfindens und eine
Sicherheit des Ausdruckes, die selbst hochgespannte
Erwartungen befriedigten. Außerdem boten noch
Herr Baumgarth (Dr. Mauer), der aller¬
dings ab und zu noch immer schwer verständlich
wird, Herr Noché (Dr. von Aigner) und Frau
Korn (Meinhold=Aigner) besonders gediegene
Leistungen. Daß Frl. Brion (Erna) sich auch
in heikle, aber wenig dankbare Aufgaben
routiniert hineinfinden kann, war vorauszusehen.
Schließlich wären fast alle übrigen Mitwirken¬
den des rollenreichen Stückes mit Lob zu nennen,
wie überhaupt die gestrige Aufführung die besten
Einbrücke hinterlassen hat.