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24. Das seite-Land
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ragender Qualität besitzt, bleibt es noch immer ein zum großen Teile in die beiden Personen verleg
starkes Wagnis, die fünf Akte des Stückes ohne ist,
ihre Träger sind. Da
vie
ernste Fährlichkeiten hinter sich zu bringen. Was geschieht Verhaltenes, so viel Andersgesprochenes, daß sich, wenn man
aber dort, wo es an den künstlerischen Individualitäten
sich aufs Interpretieren und Kommentieren verlegen wollte,
fehlt, wo man die beiden Rollen Durchnittsschauspielern, gewiß manche recht interessante Anmerkung machen ließe.
die keine persönliche Note haben, anvertrauen muß? Denn Aber es lohnt nicht die Mühe, denn im Grunde genommen
im Grunde genommen ist das, was uns unter einem so ist das Ganze eine recht alltägliche Geschichte, die nur des¬
anspruchsvoll, sonst symbolistisch klingenden Titel vorgesetzt halb interessant aussieht, weil uns am Anfang und am
wird, eine fast alltägliche und herzlich uninteressante Ende eine Leiche entgegenstarrt. Fräulein Marberg hat
Familiengeschichte,
wie
sie
im
Getriebe der ihre große Kunst gestern an einer ziemlich undankbaren
Großstadt
häufig
genug passiert, ohne daß Aufgabe erprobt. Ihr war es zu danken, wenn die Gestallt
man sich lange dabei aufhalten würde. Das Eheleben des
der Genka, dieser Frau, die sich auch in der Sünde den Stolz
Fabrikanten Friedrich Hofreiter (Herr Korff) und seiner der Reinheit bewahrt, nicht die Wahrscheinlichkeit verlor.
Frau Genia (Fräulein Marberg) ist an und für sich Herr Korff tat gleichfalls für seine Rolle das möglichste.
gar kein kompliziertes, es gleicht den so vieler anderer Er gab ihr manchmal einen Stich ins Pathologische und
Gatten, die nebeneinander vegetieren und mit mehr oder das schien uns sehr angebracht, denn ein normal organisiertes
weniger Geschick der Oeffentlichkeit gegenüber den Gehirn ließe den Charakter Hofreiters unerklärlich er¬
Schein zu wahren wissen. Dieser Herr Hofreiter scheinen. Neben diesen beiden Hauptfiguren gibt es ganze
ist ein tüchtiger Geschäftsmann, fleißig und unter= Mengen anderer, zu deren Besetzung die besten Kräfte des Burg¬
nehmungslustig und er hat auch
als Meuschtheaters herangezogen wurden. Fräulein Hofteufel war als
seine angenehmen Seiten. Er liebt auch seine schöne Frau
„modernes Mädchen“ vortrefflich. Desgleichen Fräulein
noch immer, um so mehr, als sie die Mutter eines schon
Wilke als flirtende Bankiersgattin. Frau Bleib¬
vierzehnjährigen Jungen ist, der in England erzogen wird.
treu zeichnete die kleine Rolle der Mutter des jungen
Aber er kann nun einmal ohne illegitime Beziehungen nicht
Marineoffiziers in sicheren Strichen. Frau Reinhold
sein, sie sind ihm zum Bedürfnis geworden. Seine Frau
schuf eine prächtige Charge als eine larmoyante Dame von
weiß und duldet das, ja sie hat sogar bisher von dem ihr
fast schon unerlaubter Beschränktheit. Für den einen in
täglich empfohlenen Mittel, Gleiches mit Gleichem zu ver¬
Tirol
waren rekrutiert worden:
spielenden Akt
gelten, keinen Gebrauch gemacht. So stehen die Dinge bei Herr Devrient, der
sehr interessanten
Beginn des Stückes. Ueber dem prächtigen Garten,
Direktor eines Dolomitenhotels gibt, der in seiner
der zur Hofreiterschen Villa in Baden gehört, Jugend ein waghalsiger Tourist war, dann Pech in der
lagert eine dumpfe Schwüle. Durch geschickt gemachte
Ehe hatte, in den Bergen den Lebemann weiter spielt, so daß
exponierende Szenen erfahren wir, daß ein Freund des
es Dutzende Gesichter gibt, die ihm ähnlich sehen, und dem
Hauses, ein junger russischer Musiker Alexei Korsakow, durch
man trotz dieser bewegten Vergangenheit noch eine große
einen Selbstmord, dessen Motiv niemand kennt, geendet hat.
Zukunft vorhersagt. Herr Balajthy gibt einen Führer,
Hofreiter hat dem Begräbnisse beigewohnt und kehrt aus der Herr Thimig den Hotelportier, die Herren Treßler
Stadt zurück. Im Abenddämmer kommt es zwischen den und Zeska opfern sich in diesem Akte in kleinen Episoden¬
beiden Gatten zu einer Aussprache. Hofreiter kann das rollen. Von den übrigen sind noch zu nennen: Herr
Gefühl nicht loswerden, daß seine Fran mit dem Selbst=[Paulsen, der in dieser gemischten Gesellschaft wieder ein¬
mord in irgendeinem Zusammenhange stehe. Genia bestätigt mal die Fleisch und Blut gewordene, durch nichts zu er¬
diese Annahme, indem sie ihrem Manne einen Brief schütternde Anständigkeit repräsentiert, Herr Gerasch, der
zu lesen gibt, den Korsakow vor seinem Tode an sie seine sympathische Jugend an den jungen Marineoffizier
gerichtet hatte. Aus diesen Zeilen geht hervor, daß derwendet, Herr Heine, der sich als Bankier Natter eine fast
Selbstmörder eine unglückliche Liebe zu der schönen Frau
versteinerte Maske zurechtgelegt hat, und Herr Höbling
im Herzen trug und daß er starb, weil er keine Erhörung
als unermüdlicher, leidenschaftlicher Tennisspieler. Zum
fand. Hofreiter legt sich dieser Enthüllung gegenüber
Schlusse sollen wir wohl noch eine Erklärung dafür gebey“
einen ganz sonderbaren Standpunkt zurecht. Das Geständnis
weshalb das Stück den Titel „Das weite Land“ führt. Wir
Genias, daß sie den jungen Künstler wieder liebte, ohne
wissen es nicht. Vielleicht ist die Liebe in ihrer Mannig¬
aber ihre Pflicht zu vergessen, versetzt ihn in einen ganz eigen¬
faltigkeit und Vielgestaltigkeit damit gemeint? —
tümlichen Gemütszustand. Er kann keine Genugtnung darüber
empfinden, daß die Treue seiner Gattin ihn davor bewahrte,
für seine Verirrungen büßen zu müssen. Er empfindet sogar
eine Art von Grauen vor seiner Frau, die es, wie er
meint, doch so leicht gehabt hätte, den jungen Russen von
seinem verzweifelten Schritte zurückzuhalten.
Und diese Idiosynkrasie gewinnt so starken Einfluß
auf ihn, daß er ganz plötzlich den Entschluß faßt, auf ein
paar Wochen in die Tiroler Berge zu gehen. Allerdings,
wenn Hofreiter sich sagt, daß es nur das gespannte Ver¬
hältnis zu seiner Frau ist, das ihn vom häuslichen
Herde treibt, so ist er sehr unaufrichtig gegen sich selbst.
Es lockt ihn nämlich ein neues „Weibchen“. Es ist noch
gar nicht lange her, da hat er mit der pikanten Frau
(Fräulein Wilke) seines Geschäftsfreundes, des Bankiers
Natter (Herr Heine), gebrochen. Nun ist es ein junges
Mädchen (Fräulein Hofteufel) von einer geradezu stupenden
Aufgeklärtheit und Vorurteilslosigkeit, ein richtiges Pracht¬
exemplar einer demie vierge, das ihn mit seinem Raffinement
in seine Netze gezogen hat. Die Sinnlichkeit dieser
sich
ihm förmlich aufdräugenden Tochter aus
gutem Hause ist
s eigentlich, was
Hofreiter
zu dem Ausfluge in die Dolomiten veranlaßt, an dem sich
auch die kleine Circe beteiligen will. Und es kommt, wie
es kommen muß. Hoch droben, angesichts der Gletscher,
kommt es über die beiden wie ein „Höhenrausch“ und der —
eiin Rammen ione Aiebesssorie lo# 2