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ewiger Besitz. Vor, während, noch dem Krieg. So wie jetzt
unmittelbar hinter den Schützengräben jedes Stückchen
Erde zur Ernte bereitet wurde, weil man den Frieden
des Ackers nicht wissen konn, so gibt es auch geistige
Reservate, die schützen und ausdauen. Vielleicht war es die
Sehnsucht nach entspannenden unblutigen Kämpfen von
Seele zu Seele, die es vermochten, an einem Juni=Abend
im übervollen Haus ein warm teilnehmendes Publikum
zu sammeln.
Herr Harry Walden schien für die Figur des Hof¬
reiter vorbestimmt zu sein. Er weiß sonst die schwankenden,
verschlossenen, verführerisch kühlen und verräterisch heißen
Männlichkeiten wohl zu gestalten. Und doch schien er mir
diesmal nicht das Wesentliche zu verkörpern. Indem
er einen Mann in den kritischen
Jahren des
herannahenden Alterns zeichnete, der, bereits als
ein Erliegender,
mehr
mit Gier um Genuß
kämpft als mit noch leidenschaftlichem Verlangen,
brachte er den Hofreiter um sein Bestes, um die verschwen¬
derische Laune einer über das Maß des Alltagslebens
langenden Phantasie. Wenn dieser Mann nicht aus Ueber¬
fülle verarmt, sondern als ein bereits sich vermindert
Fühlender, nach Abenteuern lechzt, dann ist er nichts anderes
als ein brüchig gewordener Lebemann. Hofreiter aber darf
nur als eben von der Melancholie einer noch in vollster
Sonne stehenden Natur gestreift erscheinen, der von Ferne
erft die Abendschatten sieht. Er muß noch trotz aller Seelen¬
subtilität, die ihn beschwert, brutalen Energien erliegen.
Das eben ist die Moral dieses „Weiten Land“=Bewohners.
Diese Lebendigkeit, dieses wirre Blühen aller Triebe, der
gütigen und der giftigen.
Fräulein Mayen war die Erna. Vielmehr, sie war
nicht die Erna. Dieses geradlinige, wahre, impulsive, aktive,
furchtlose Geschöpf, die es als Lebensberuf betrachtet,
unkonventionell zu sein. Die Manier, welche Fräulein
Mayen Natur ersetzt, das verzierlichte, versüßlichte Zögern
und Staunen, mit der sie scheu und wissend zugleich die
Welt anblinzelt, mag gelten als modernere Ablösung von
jenem Stil der Naiven, die mit fliegenden Zöpfen hüpfende
und girrende Jugend neckisch spendeten. Erna aber ist
modern in anderem, besserem Sinn. Gerade ihre innnere
Vielart verlangt äußere Einfachheit, verlangt als Dar¬
stellungsstil Vereinfachung. Diese Forderung, welche über¬
haupt „Das weite Land“ an die Schauspieler stellt, erfühlten
und erfüllten ganz Fräulein Maria Mayer und Herr
Marr, die die Rollen der Frau Meinhold und des Doktor
Mauer zum erstenmal spielten. Vielmehr, was das
Charakteristische ist an dieser beiden Art: Sie spielen nicht, sie
sind. Diese Frau Meinhold mit der „edlen Stimme“ ist zart,
wie mit der Silberspitze eines Stiftes gezeichnet. Alles
erleben heißt alles erkennen, so ungefähr dürfte ihr Wahl¬
spruch lauten. Maria Mayer verstand dieses Schweigen von
sich selbst, welches als letzten und höchsten Verzicht der
Dichter angedeutet hat. Sie vermied, wie es immer ihre schöne
Art ist, jede Wirkung, die ihr gegolten hätte, und nicht den
Menschen, dessen Verkörperung sie diente. So verriet nm
das Beben der Stimme von Zeit zu Zeit das still und fes
gedämmte Empfinden und der silbrige Schimmer einer weh¬
mütigen Abgeklärtheit, daß hier eine Verzichtende mild¬
und fern dem Leben zusieht. Den Doktor Mauer sah man
eigentlich zum erstenmal. Auch er gehört zu jenen Naturen
die ihren inneren Reichtum hinter einer nüchternen Nutz
fassade bergen. Und Herr Marr weiß solche Verschwiegen
heiten aussagender zu gestalten als das offenste Geständnis
Charakteristisch Herr Romberg als Dichter Rhon.
Die liebenswürdige, heitere Umhüllung des tragischer
Grundgedankens läßt es zu, daß „Das weite Land“ welches
nachdenklichen Menschen Nahrung gibt, auch ein Publikun
anzieht, welches fern von allen Problenesorgen ins Theatei
geht, um sich voraussetzungslos zu unterhalten. So waren
auch vorgestern abends Nachdenkliche da, die an den selt¬
samen psychologischen Arabesken tiefes Interesse hatten, und
„Unbefangene“, die die Ehe und Liebesdifferenzen beim
Tennismatch und in der Halle des Dolomiten=Hotels unbe¬
schwert von des Gedankens Blässe genossen. Welchen zwie¬
spältigen Reiz des Schauspiels durch den Ausspruch einer
Dame, die neben mir saß, lebhaft charakterisiert wurde.
„Weißt Du,“ sagte sie zu ihrer Freundin, „das Stück ist
doch riesig amüsant! Nur schade, daß der Schnitzler alle
Menschen gar so kompliziert gemacht hat .
Ja, ja! — Die Seele ist ein weites Land ... B. Z.
Eutnug
Ausschnitt aus: Interessantes Blatt, Wien
-ASER 1915
vom:
Vom Theater.
Hofburgtheater. Am 4. August wurde
ShLenodie „Das weite Land“
Marie Mayen.
k. Hofburgtheater.)
Nach einer photographischen Aufnahme von Joh. Setzer.
aufgeführt. Ob gerade jetzt die Darstellung solcher Gesell¬
schaftssatiren zeitgemäß ist, mag unerörtert bleiben.“
Unter den Mitwirkenden war Marie Mayen bemerkbar,
die anmutige Künstlerin zeigte, daß ihre künstlerische
Begabung gereifter und umfassender geworden sei.