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24. Das veite Land
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wieder zu rruren- ermmme
und Handeln der Menschen bestimmen. Aber Schnitzler
schwenkt doch die Weite dieser Welt seiner Veranlagung
und seinen dichterischen Instinkten nach unbewußt ledig¬
lich auf das groiische Gebiet ein. Ich sage un¬
bewußt, denn ich las irgendwo eine Außerung von
ihm wiedergegeben, daß er es keichlich satt habe, sich
immer den Dichter des „süßen Mädels“ nennen zu
hören, und daß doch einige Zweifel daran erlaubt seien,
ob das Erotische sein stärkstes und gar sein einziges
Thema sei. Er hat allerbings später den „Schleier
der Beatriee“, „Den jungen Medardus“ geschrieben, aber
sein junger Ruhm ist doch zunächst auf den „Anatol“ und
die „Liebelei“ begründet. Und auch das „weite Land“.
das er auf die Bretter bringt, ist doch im Grunde
nur ein großer Liebesnen als ob die weite Gottes¬
welt keinen anderen Zweck hätte. Alles liebt und
flirtet, auf dem Tennisplatz des Kurgartens, ver¬
stohlene Küsse tauscht man in der schweigenden Berg¬
welt der Dolomiten, man begeht Ehebrüche wie in der
Villa zu Baden, so auch im Hotel am Karersee, man
ertappt sich bei galanten Abenteuern und schießt sich
aus Eifersucht und gekränkter Gattenliebe im Duell
tot — überall klingt der Refrain aus Anatol „Mein
Lebenslauf ist Lieb und Lust“ durch und es scheint,
als ob es im Leben der Frau keine Stunden gebe,
die anders, als durch Liebe und Flikt ausgefüllt wer¬
den können. Aber, weil der Dichter das Land der
Liebe als ein weites, unabsehbares und an Widersprüchen
mit Süße und Bitterkeit gefülltes ansteht, so war es
ihm möglich; so manches, was mit den Empfindungen
der Alltagswelt und mit philiströsen Anschauungen
psychologisch unvereinbat erscheint, bei seinen handelnden
Personen glaubwürdig zu machen und zu rechtfertigen.
So wenn der Glühstrumpffabrikant und Posenmann
Hofreiter, eine Art Anatol mit ergräuten Haaren, dem
die Frauen und Mädchen zufliegen und der zugleich
ein trefflicher Tennisspieler und güter Pistolenschütze
ist, seiner Fräu Geniä fust einen Vorwurf baraus macht,
daß sie dem Planisten Korsakow, der sich aus un¬
glücklicher Liebe zu ihr erschössen hat, kein Gehör ge¬
schenkt häbe, und doch dann, als diese später einen
jungen Märinefähnrich in ihr Schlafzimmer ninimt,
diesen im Buell erschießt, und bann pisßlich am Schluffe
des Stückes sich für die Liebe zu alt erklärt. Die
junge Erna, seine neueste Eroberung im Karer=Hotel,
die sein Leben mit ihm teilen will, zurückweist und
plötzlich seine Liebe zu dem Kinde Perey, das er jahre¬
lang außer dem Hause erziehen ließ, entdeckt, und
niemanden mehr auf der Welt angehören will. So
diese Erna selbst, die lieber Hofreiters Maitresse werden
will, als der stillen Werbung des wackeren Dr. Meyer
Gehör zu schenken, dann das ganz unvermittelt auf¬
tauchende und überraschende Verhältnis der stillen,
sinnigen Genia, die ihrem Gatten trotz seiner Seiten¬
sprünge bisher so rpel die Treue gehalten hat. All
das findet im Sinne des Dichters im weiten, un¬
ermeßlichen Lande der menschlichen Liebesempfindungen
Erklärung und Bescheinigung. Was die Hanblung an¬
belangt, so ist sie etwas schwerfällig und abgestückelt;
es ist dem Dichter nicht gelungen, die Menge der
sich nebeneinander abwickelnden Nebenhandlungen nach
einem Hauptziele hin strammer zusammenzufassen. Der
Dialog dagegen ist gut und nähert sich ohne Rätsel
und dunkten Nebensinnen der glatten und ebenen Diktion
der französischen Konversationsstücke und ist, wie immer
bei Schnitzler, reich an geistreichen und treffenden Wen¬
dungen. Die Aufführung war eine treffliche. Herr
Brückner, der auch die nicht leichte Spielleitung
besorgte, bot eine ausgezeichnete und elegante Dar¬
stellung des vislumworbenen Lebemannes, Frau Ko¬
vacs als Erna war namentlich in der Liebesszene
des dritten Aktes mit Hofreiter von packender Wirkung
und die ruhige Sinnlichkeit der Gattin Genia fand
bei Fr. Imle den besten Ausbruck, um nur die
Hauptrollen zu nennen, ohne der guten Mitwirkung
der übrigen Darsteller und Darstellerinnen noch be¬
sonders zu gedenken.
Gn. 11
WAR
B