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24. Das weite Land
Mloit & Seiatr
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin IO. 45, Georgenkirchplatz 21!
Cermania
Zeitung: —
Korlin
Ort: —
Datum: - 11—

Das Residenztheater benutzt den Umstand, daß
durch den Reigenprozeß das Interesse seines
Theaterpublikums verstärkt auf Arthur Schnitzlers
Werke gelerfkt wurde, zu einer Nruaufführung der
etwa 20 Jahre glten Tragikomödie „Das weite
Land.“ Es ist gemeint das weite Land der
Wandlungen, die die menschliche Seele durchmachen
kann und schildert das Eheleben eines Wiener
Fabrikanken, der ##ei von moralischen Bedenken mit
rasch sich ändernden philosophischen Grundsätzen
alles für recht hält, was seine erotiiche Leiden¬
schaft herbeiführt. Aus seiner eigenen Untreue
leitet er für seine Frau das Recht her, sich zu
revanchieren und als sie es schließlich tut, erschießt
er den Mitschuldigen im Duell, nicht aus Eisersucht,
sondern aus Haß, weil er der glückliche Jungere ist,
der mehr Chancen als er bei der Frauenwelt hat.
Ein Thema — ganz für das Residenztheater passend,
in der Tendenz eine Verteidigung der freien Liebe
in der Darstellung ohne Schwülstigkeit. Arnold
Korff glänzte in der Rolle des vielliebenden Fabri¬
kanten, während seine Frau Genia von Irene
Triesch mit hingebendem Verständnis gespielt wurde.
Neben diesen Größen spielte nur noch Gertrud
Welker als jugendlich=leidenschaftliche Tochter einer
Schauspielerin eine Rolle. Das Haus zollte de¬
Darstellern stürmischen Beifak.
box 29/4
Kioie & Seider
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 45, Georgenkirchplatz 21!
Tageblatt
Zeitung:—

erin
Grr.
Datum: EA
v.194
Das weite Land.
(Tragikomödie von Arthur Schnitzler.
Restdenz=Theater.
((Schnitzler nennt es „Das weite Land“. Das klingt poetisch.
Zeigt er wirklich ein weites Land? Oder zeigt er ein Land mit
„unbegrenzten Möglichkeiten“?
„Das weite Land“ wäre die menschliche Seele. Ein Be¬
griff adeliger Art, himmlisch durchleuchtet. —— Das Land „un¬
begrenzter Möglichkeit“ ist ein Innenleben, wie es der Arzt und
Jude sehen mag. In dem Ausdruck „unbegrenzte Möglichkeit“
liegt eine materialistische Begrenzung.
Die „Lust“ des arischen Geistes will „tiefe, tiefe Ewigkeit“.
Die Lust des Juden ist an die Potenz gebunden. Die Klitterung
in der ganz großartigen Darstellung Arnold Korffs war, daß
sein Friedrich Hofreiter ein durchaus arisches Aussehen hatte.
Innerhalb solcher Begrenzung ist die psychologische Linien¬
führung Schnitzlers musterhaft, und nur ein überaus befähigter
Kopf vermag die fabelhafte Fülle von Komplikationen und
Nuanzierungen zu einem so gewaltigen psychologischen Gemälde
zusammenzufassen.
Die Tragikomödie (eine Bezeichnung, die schwer, aber schlie߬
lich doch zu begreifen ist) spielt in einem ibeallosen, somit¬
amoralischen Gesellschaftskreis. Hofreiter, ein Mann, der skrupel¬
los die Ehe bricht, so es ihm paßt, wird in zwei Situationen ge¬
zeigt. Zunächst macht er seiner Frau Vorwürfe, weil sie einen
Pianisten, der sich aus unglücklicher Liebe erschoß, nicht erhörts
hatte. Dann aber, als sie sich einem jungen Marine=Fähnrich
gibt, provoziert er ein Duell und erschießt ihn. — Also doch ge¬
sunde Eifersucht? — Eifersucht, wie sie gekränktes Besitzbewußt¬
sein aufschießen läßt? Nun, so einfach ist die Sache nicht; als
Hofreiter die Jugend frech aus den Augen des Gegners leuchten
sah, da wurde aus einer konventionellen Komödie ein Kampf um
Leben und Tod!
Wir Deutschen haben eine besondere Liebe zur Jugend, wir
helfen und fördern, weil wir den Glauben haben, daß sie unser
Werk vollenden wird. — Schnitzlers Hofreiter hat kein Werk zu
vollenden. In dem Jungen, der ihm seine Frau nahm, sieht er
nur einen Menschen, der noch genießen kann, wenn ex schon im
Grabe modert. Neid treibt ihn und dem Neid entsprungene Rache!
Mit der Duldsamkeitstheorie ist es aus, sobald er der Tatsache
gegenübersteht, denn diese Theorie ist nicht durch Ideale gefestigt,
noch auch im Gesetze vom Kampf ums Dasein begründet, aber
auch sein Neid fußt nicht auf diesem Gesetze: Hofreiter ist besessen
von einem krankhaften Egoismus, der keine Hingabe an ein
Werk kennt. (Was mit dem „Werk“ gemeint ist, mögen Inter¬
essenten in Hans W. Fischers Buch „Der Dreißigjährige“ nach¬
lesen.)
Die ausgezeichnete Aufführung, die Korff inszenierte, wurde
der Schnitzlerschen Plauderkunst, wie auch seiner Kunst, durch
wenige Sätze Situationen unheimlich emporzuschrauben. Die
Provokation des Duells, das konventionelle Gespräch Hofreiters
mit der nichtsahnenden Mutter des soeben Getöteten, sind
Szenen von atemraubender Spannung.
Außer der bis ins kleinste durchgearbeiteten, grandiosen
Leistung Korffs braucht man nur die Namen Triesch,
Bertens, Gertrud Weller, Josef Klein, Heinrich
Schroth zu nennen, um die Qualität der Darstellung zu charak¬
terisieren. Aber auch Giesela Schneider=Nissen, Franz
[Schänfeld und Harry Hardt haben Anspruch dorauf, ge¬
nannt zu werden.
K H. B.