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24. Das beiteLand
G.2.
Eine Hand strich ihr übers Haar — eine
andere hob ihr Gesicht —
se
Der Ernst ihres Lebens stand vor ihr und
lachte
.
Direklion Rotfer
n
im Lessinglheater.
Schnitzlers „Weites Land“.
Es ist Ende November geworden, bis jetzt
an einer der wichtigsten und traditionsreichsten
Berliner Schauspielbühnen die Schauspielsaison
begonnen hat. Die Direktion Rotter eröffnet
das Lessingtheater. Wieder nur als Provisorium
eines Jahres. Und mit Schnitzlers „Weitem
Land“, einer Aufführung, die sie im Residenz¬
theater längst verwertet hat, bis an die Grenzen
des Steuerkartensystems.
Diese Tragikomödie von 1910 müßte gegeben
werden, so wie wohl ihr Dichter sie heute sieht:
lyrisch, mit allen feelischen Untertönen, dämmer¬
dunkel, resigniert=zerrissen. Wie, mit Basser¬
mann, der „Einsame Weg“ war und ist. (Denn
mit nichten ist Schnitzlers Welt verblaßt. Das
weiß, wer den Erzähler Schnitzler kennt und
den großen, den ewigen, doppelten Schauer der
Todesgegenwart darin fühlt und der Liebes¬
verstrickung.) Das Lessingtheater hat zum Re¬
gisseur Herrn Kanehl. Schriftstellerisch (und
politisch) Exponent einer jungen Generation,
hält er sich als Bühnenmann an die Oberfläche,
an das Konversationsstück, an das Theater von
vorgestern, das süßliche und glatte. Oder er
zeigt nicht Persönlichkeit genug, um gegen die
Routine seine eigene Auffasseing zu erzwingen.
Das Ensemble ist von innen überaltert. Was
dazwischen neu sichtbar wird, rechnet nicht. Die
Prominenten sind versammelt, die man für den
Zettel braucht; und das ist schädlich als Methode.
Aigner=Christomanos der lebfrische Ferdinand
Bonn. Die Schauspielerin Meinhold, immer
noch voll Würde, feierliche Repräsentantin der
Vergangenheit, die Sandrock. Dann das
Ehepaar Hofreiten; er um Vierzig, sie einund¬
dreißig. Noch trifft Herr Korff virtuos den
Charakter, der damals sein Ruhm am Burg¬
theater war, die Renaissancenatur vom Cottage
(oder vom Babener Villenviertel), die soignierte
Kraft mit dem Zusatz selbstgefälliger Weichlichkeit.
Aber auch er ist, von den Spuren der Zeit nicht
verschont, matter als früher. Frau Triesch ist
Frau Genia, die melancholisch klagende, und so
sehr sein und wahr; doch sie kann nicht mehr die
Genia der erotischen Krise sein, der psychisch¬
physiologisch bedingten. Neben ihnen: Herr
Schroth als der Zyniker Natter, Frau Lim¬
burg, für diese Sphäre zu keß und scharf,
Frau Schneider=Nissen als Mama Wahl,
Herr Falkenskeln als Rhon, der Dramatiker,
mit seinem bekümmerten, stets gleichen Seehunds¬
humor, der nicht für des Lebens Ernst prädesti¬
nierte, charmante Herr Alexander, und als
Erna Wahl Fräulein Ellen Tietz, kalt und un¬
bewegt.
P. w.