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Text

24. Das
box 29/5
Dr. Max Goldschmidt
Güro für Zeitungsausscrhnitte
BERLIN N 4
Telelon: Norden 3651
Husschnitt aus:
Hamburger Fremdenblatt
2 1. Feb. 1925
Thalia=Theater.
Schnitzler. Das-wueite. Land.
Schnitzler mit all seinem dramatischen
Können und seiner dialektischen Grazie ist nicht
der Mann, das weite Laud der Seele, das er
meint, vor uns auszubrei en, dazu ist der Kreis
seiner Schaffenswelt viel zu klein. Selbst in
das weite Land des Liebeslebens, der Heimat
seiner Muse, schaut er nur flüchtig hinein, und
von irgend welchen tiefen und ergreisenden
Ausblicken kann gar nicht die Rede sein. Schon.
die These, die Schnitzler etwa im Mittelpunkt
seiner Tragikomödie aufstellt: „der natürliche
Zustand der Seele ist das Chaos“, ist falsch.
Das Gleichgewicht ist der natürliche Zustand,
und jeder Sturm in ihren weiten Bezirken ist
eine Abweichung vom normalen Zustand.
Schnitzlers weitem Landz gehen die Menschen
alle wie elektrisch geladen umher, sie gebärden
sich, als ob auf der Welt weiter nichts zu tun
sei, als den Forderungen der finnlichen Liebe
zu entsprechen, und da nun die Dichtung in
eine Tragödie ausartet, nimmt man die
Figuren nicht mehr ernst, sie lassen den Zu¬
schauer kalt. Das ist wohl auch der Grund.
weshalb dieses Stück, das schon vor vierzehn
Jahren zuerst aufgeführt wurde, so wenig auf
den Spielplänen der Theater erscheint. Mit
dieser allgemeinen Kennzeichnung ist freilich
das Stück lange nicht erschöpft. Arthur Schnitz¬
ler ist ein viel zu geistvoller Schriftsteller.
um sein Publikum nicht in irgend einer Art
fesseln zu können, wenn auch die Handlung
versagt. Er will zeigen, daß die Menschenseele,
wenn sie vom Liebesleben heeinflußt wird,
unberechenbar ist, und daß es hier keine
Normen gibt. Dabei fällt manches kluge Wort,
und häufig hört man unterhalb der Gespräche
Ströme rauschen und Empfindungen berauf¬
dämn #n, die sich nicht in Worte kleiden lassen.
aber als tief und wahr empfunden wer en.
Der größte Fehler des Stückes ist seine Un¬
gleichmäßigkeit, seine gebrochene Linie. Eine
heitere Komödie, die die angeborene Untreue
des Mannes mit Spott übergießen zu wellen
scheint, wird ohne jede innere Notwendigkelt
zu einem düstern Trauerspiel. Eine weitere
Vertiefung in das Stück würde eine Auf¬
rollung der Handlung bedingen, und dies
erübrigt sich, da es sich doch um eine ältere
Dichtung handelt. Was übrig bleibt, ist eine
interessante, dramatisch nicht sehr bewegte
Handlung, die indes weder das Gefübl noch
den Verstand befriedigt.
Die Aufführung unter der Regie des
Herrn Direktor Hermann Röbbeling zeigte
sehr hübsche Bühnenbilder. Auch blieb die
Handlung in gutem Fluß, ohne ganz die dra¬
matische Unzulänglichkeit Schnitzlers in diesem
Stück verdecken zu können, denn es herrscht ein
fortwährendes Hin= und Herschieben von
Figuren. Ewiges Tennisspiel muß die Hand¬
habe dazu bieten. Die schauspielerischen Kosten
des Abends trug der ganz ausgezeichnete Dar¬
steller Heinz Stieda in seiner Rolle als
Fabrikant Hofreiter. Die Natürlichkeit und
Einsachheit, mit der dieser Künstler seine scharf
charakterisierten Gestalten durchführt, die un¬
mittelbare Lebensnähe, in der sie sich bewegen,
ist bewunderungswürdig. Hierin freilich gibt
ihm Frau Centa
3, die als Gast die
Gattin des Fabrikanten spielt, nichts nach.
Heinrich Lang schuf eine seingegliederte,
sympathische Figur als Kurdirektor. Fräulein
Wentzel
als junges verliebtes Mädchen
zeigt Spuren von Manieriertheit, die leicht zur
Unnatur führen, eine Klippe, auf die schon
früher aufmerksam gemacht worden ist. Aus
der Fülle der Personen seien noch Herr
Friedrich als Offizier, Fräulein Platt
als ultig gespielte Bürgersfrau, der Bankter des
Herrn Hallenstein, der gute Momente
hatte, Frau Bozenbard als Schauspie¬
rin, der lebhafte junge Mann des Herrn Wen¬
graf Herr Stahl als Schriftsteller und
Grill als Arzt genannt. Der Betfall war
lebhaft.
Ph. B.