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24. Das weite—
box 29/5
Bayerische Staatsseitung, München
2 6. Apr. 1926
„Das weite Land.
Tragikomödie von Arthur Schnitzler.
(Erstaufführung im Schauspielhaus.)
Schnitzler=Première — ja und nein. Denn „Das weite
Land“ ist im Oktober 1911 zu gleicher Zeit in Wien und in
München zur Uraufführung gelangt. In Wien am Hofburg¬
theater und in München am königlichen Residenztheater. 1911 und
1926, es sind 15 Jahre, die zwischen Uraufführung und Erstauf¬
führung liegen. Wirklich nur 15 Jahre? Scheint es nicht, als
läge eine Welt zwischen jener Zeit, da „Das weite Land“ der
Seele uns noch Rätsel aufgeben konnte, eine Welt der Qualen
und Schmerzen, die ebenso physischen wie psychischen Charakters
waren... Und doch Schnitzler=Première; denn jetzt erst scheinen
wir zum vollen Verständnis des weiten Landes herangereift, jetzt
erst scheinen wir die Geheimnisse besser zu erkennen, die damals
nur Oberflächen schienen und deren unheimliche Tiefen inmitten
des gleißenden Spiels von Schnitzlers Schmiedekunst des Wortes
sich vor uns öffnen in furchtbarer Abgründigkeit. Dieser Friedrich
Hofreiter ist nicht bloß eine moderne Don Jnan=Figur, er ist die
tragikomische Verkörperung des Kampfes zwischen Alten und
Jungen. Gewiß, dieser Vierziger ist nicht alt und man könnte
ihn zeitgemäß zu einem jungen Sechziger umgießen —
wäre er
nicht das ewige Symbol des Hasses, den der Alternde gegen alles
Blühende hegt. So wird Hofreiter zum Helden der Tragikomödie
und beherrscht sie, wie er die Frauen seines Lebensspiels zu mei¬
stern versteht. Aus Haß ist der Mord geschehen, den er an dem
Anbeter seiner tugendhaften, ihm in Liebe ergebenen Frau be¬
gangen hat, indem er ihn zum Selbstmord zwang, aus nicht
minder wildem Haß tötet er im Duell den Geliebten der Gattin,
die ihn endlich betrogen hat, um sich zu rächen. Und niemals lenkt
ihn Eifersucht, immer nur die Rache an der sieghaften Jugend
des Gegners. Diesem Leitmotiv des Spiels sind andere Motive
angegliedert und beigeordnet, als deren wichtigstes das schon be¬
tonte des weiten Landes unserer Seele an erster Stelle steht und
deren nächst bedeutsames die leidenschaftliche Ueberzeugung des
Protagonisten ist, alle Frauen „Ihr, Ihr!“ seien dem Manne das
Wesentliche und Eigentliche im Leben. In absoluter Verneinung
des Strindbergschen Weiberhasses, seiner Weiberverachtung, hat
Arthur Schnitzler von jeher ohne besonderen Akzent doch mit dem
Untertone dichterischen Erfühlens das Weib immer als Liebende,
als stark und dauernd dem Gefährten Verbundene dargestellt, den
Mann als den dem „schwachen“ Geschlechte Verfallenen, der wohl
das Weib als solches, nicht aber sich selbst zu beherrschen imstande
ist. Nie hat der österreichische Dramatiker das so stark zum Aus¬
druck gebracht wie in dem „Weiten Land“ in Hofreiter und seiner
spielerischen Umwelt, aus der zum Schlusse der Weheruf der Tra¬
gödie aufschrillt. Ich habe die Première im Burgtheater gesehen.
Harry Walden in der Rolle des Hofreiter, die schöne Olga Wohl¬
gemut als dessen Gattin Genia. Albert Heine gab mit unheimlicher
Kälte unter der freundlichen Maske den Bankier Natter, der sich
betrügen läßt, aber den Betrug durch Bloßstellung lohnt — auf
gleichem Gebiet. Eine wunderbar feine Aufführung damals in der
sorglosen Zeit vor dem Kriege — heute wirken im Schauspiel¬
hause die besten Kräfte zweier Theater zusammen, um ähnliche
Wirkung zu erzielen. Mit bestem Erfolg, das muß zu Anfang
hervorgehoben werden. Was zu vermeiden ist, soll aber gleich hinzu¬
gefügt sein: viele der Mitwirkenden sind auf die intime Welt der
Kammerspiele eingespielt, die sogar den Flüsterton entschuldigt, ja
erklärt. Im weiteren Raume des Schauspielhauses muß sich die
Darstellung stärkerer Mittel an Gesten und Stimme bedienen.
Hier wird die sonst ausgezeichnete Regie von Forster=Larri¬
naga Akkorde greifen müssen, wo sie jetzt nur arpeggiert. Es
braucht schon ein Orchester und keine Harfensoli, um in dem weiten
Raume Schlagkraft und Widerhall zu finden. Forster=Larrinaga
selbst war in der ungemein dankbaren Rolle des Hofreiter sehr
interessant, wenn ihm auch die äußeren Voraussetzungen zu dieser
Tenorpartie fehlen. Leicht und sicher im Dialog machte er eines
glaubhaft: den Vernichtungswillen seines Hasses gegen die strah¬
lende Jugend. Als Genia Hofreiter war Margarete Anton mit
etwas zu starker Bewußtheit darauf bedacht, das Ewig=Weibliche
dieser reizvollen Schnitzlerschen Gestalt zugunsten des rein In¬
tellektuellen ihrer Aussprüche zu verdrängen. Trotzdem und trotz
der zu raschen und wenig deutlichen Rede fesselte diese leidende
Heldin — wenn bei Schnitzler überhaupt Helden und Heldinnen“
existieren — durch ihre zarte Passivität. Das gesellschaftliche Bild
jener sagenhaft fernen Vorkriegszeit in Wien tritt in dem Stücke
prachtvoll in Erscheinung. So ist der in der Halle eines Luxus¬
hotels im Gebirge spielende dritte Akt Vorbild für die all die
zahlreichen, ein gleiches Milieu benützenden Komödien wissentlicher
und unwissentlicher Nachahmer geworden. Darstellerisch war
dieses Gesellschaftsspiel im Schauspielhause auf respektabler Höhe.
Marie Ferron als Frau Wahl muß in erster Linie gerühmt
werden, denn sie gab die Wienerin mit Lebendigkeit und Echtheit,
splanderte ganz entzückend. Fräulein Hambach als Erna gab
ihrer Rolle Charme und jugendliche Glut und Anmut. Ewis
[Vorkmann spielte die heikle Rolle der Adele mit zierlicher
Persiflage. Die Jungen“ wurden von Walter Bach, Lenz und
[Baum vortrefflich dargestellt; Walter Bach traf den leichten
zwienerischen Ton am besten. Katsch spielte den Bankier Natter
sohne das Gift, das Albert Heine in dieser Rolle zu verspritzen
pflegte, doch in seine
berühmten Schriftstel
die gleichsam eine Ky
mann Bahr darstellt
Einen „scharfen“. No
Seger den „gebild
den eleganten Dr. vo
ließ in seinem grad
„Wozzeck“ aufklingen.
sei wiederholt: größe
irritiert mehr als ub
auf als unter den Ti
bei Arthur Schnitzler,
umschließen. Die Büh
gestimmt und in ihre
letten fügten sich schön
sichtlich über die Sor
Dialog und Handlung
der erst verstehen ließ.
allzu menschlichen D
Sprichworts.