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24. Das ite Land
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fäschichen, ur künflich mit einigen Gesthlesehen mbängten Un¬
moral bestimmter, eng umgrenzter Schichten. Der Nachdruck liegt
auf oberflächlich, denn die großen tragischen Sünden und
die wild stilisierten, bizarr=komischen verzeiht das Theater. Nur
die alltäglichen, gesellschaftlichen sind unmoralisch, weil sie ebenso
langweilig sind, wie das mondän gefirnißte Spießertum, das sie
begeht.
Ein alter Kenner des Münchener Theaters sagte mir, daß vor
vielen, vielen Jahren Steinrück den Hofreiter gespielt habe. Da
hat dann das Stück wohl ein anderes Gesicht gehabt, aber kein
besseres. Mit dem verhaltenen Pathos der dämonisch zwangs¬
läufigen Triebesbrutalität könnte ich mich noch schlechter abfinden,
als mit der vertrackten hinterhältigen Lebemännischkeit, die For¬
ster=Larrinaga der Figur auf den Weg gab. Der vieldeutig
schillernde Psychologismus seiner Auffassung, die ironisch spiele¬
rische Rätfelhaftigkeit, mit der Forster, als Darsteller wie als
Spielleiter auf gleicher Höhe, die Gestalt ausstattete, paßt zur
Oberflächlichkeit des Ganzen, die so viel weniger grell fühlbar
wird, als wenn in dem leichtgefügten Lusthäuschen Tragöden¬
schritte ertönen würden. Auch Margarete Anton hat vom
Schauspielerischen her der Sache geholfen und mit diskreten Mit¬
teln die seelisch gepeinigte, schließlich zu törichtem Ausbruch ge¬
triebene Frau gestaltet.
Auch sonst stand die Aufführung auf guter Höhe. Kurt Katsch
schuf als Bankier Natter eine höchst einprägsame Figur. H.
Gerhard und Ferdinand Classen bewegten sich in ihren
scharf pointierten Rollen ungemein drastisch und auch in kleineren
Episoden gab es Zug um Zug viel Erfreuliches. Mehr im Hand¬
lungsvordergrund stand manche Figur, die, mit routinierten Spie¬
eer begirtsumitsche Cescie) —
lern wie Framer, Marie Ferron, Ewis Borkmann,
K. J. Baum, Walter Bach besetzt, schwer zu verfehlen war.
in Wien geborenen Joseph Cerny, in Nr. 157 des in
Bei Hertha Hambach war die Linie des Bizarren die übri¬
gens nicht unbedingt zu der Rolle gehört, ein paarmal vom Ko¬
engste, das man sich denken, das erbarmungswürdigste,
mischen her bedroht, und Emil Heß ist nicht dafür verantwort¬
das man sich vorstellen kann, die bornierteste Begriffs¬
lich zu machen, daß seine Rolle des braven Mannes mehr und
vermischung und Begriffsmanscherei eines rettungslos
mehr zur Leichenbittermiene nötigt.
verlorenen Monismus, wie ihn nur das unglücklichste
In dem geräumigen Schauspielhaus sollten sich die Kammer¬
aller Saeculorum, der Naturalismus zeitigen konnte.
spielgäste an lauteres und deutlicheres Sprechen gewöhnen. Weite
Ach Gott, diese armen Männlein und Weiblein, dieses
Dialogstrecken blieben unverständlich — nicht nur im ersten Akt,
Gewürm von gequälten Sexualtierchen, die da Auto
der durch ganze Scharen zu spät kommender Zuschauer gestört
# murde
fahren, Tennis spielen, brillieren an Witz und Charme,
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Schwindelanfälle kriegen, wenn sie zur Höhe (in die
Berge) wollen, ihre Geschäftchen besorgen, stehen in
einem dritten Reich, jenseits von Gut und Bös, kom¬
men zu nichts und zu keiner Tat und Entscheidung,
retardieren in gedanklicher Ueberlegung; es schillert
Luxus, fremd ist die Arbeit — feelische und andere
und niemand will und kann Ordnung bringen in
Bayerischer Kurier, München
dieses „Chaos“ in dieses weite Land fortzeugender
Ehebrüche. Alles ist so müd, ach so müd ist die
Atmosphäre, traurig, leis die Melancholie und Ironie
bagt es, zu lächeln; es ist, als sänke alles unter in
2 7. Apr. 1926
kin tiefschlingendes Meer. Der Mensch sendet einen
letzten, wehmütigen, verlorenen Blick nach den Ster¬
Schauspielhaus. „Das weite Land“ von
den in ein weites, ihm unbekanntes, ach so fernes
Schnitzler. Forster=Larrinaga spielte den
Land! Untergang und „aus"!
Hofreiter, den Untergangsmenschen im Genuß; es war
Wir sind vorwärts gekommen! Unser fernes Land
mehr Untergang als Genuß; der Hofreiter hat ein
heißt Aufstieg, seelischer Aufstieg hin zu jenem Land,
Kerl zu sein, Forster=Larrinaga gibt körperliche
das nach diesem „Aus“ beginnt und aus deß Bezirk
Schwäche und schillernden Intellekt; so unmöglich dies
kein Wanderer wiederkehrt; dies ist heut bekannter
als schauspielerische Leistung war, so war dieser doch
geworden, dieses andere weite Land und das Leben
wieder — freilich mehr aus privater Natur, denn aus
und sein gespiegelter Ausdruck auf dem Theater gilt
bestimmt wollendem schauspielerischen Schöpfungs¬
als ein Kampf, als eine Aufgabe und Tat um einen
akt — in ihrer grotesken Art ein Werturteil für
ersten Platz darin. Noch kann's keine Loge werden,
Schnitzler, gesehen aus der zeitlichen Distanz zwischen,
so lang aus den Direktionslogen der Theater eine,
heute und dem Entstehungsjahr (1910) des Stückes.
wenn auch Repertoire=Verlegenheits=Neigung für so
Wenn ein Bild erlaubt ist, möcht ich das sagen: in
geschnitzelte Dramatik vorbunden ist. — Eine um
der dumpfen, schwülen, erstickenden Treibhausluft stie¬
einen aufbauenden Spielplan ringende Kritik wird in
ren Uebersattseins schießt ein dürr schillernder Gift¬
Ablehnung solcher Stücke konsequent sich laum mehr
pilz: die Vorkriegsgesellschaft gesehen im Licht von
mit den schauspielerischen Leistungen eines solchen
heut. Der Kulturhistoriker wird einmal auf Schnitz¬
Abends befassen dürfen, besonders wenn so Mattes
ler zurückkommen. Da die Zeit diese Gesellschaft er¬
im Niveau geboten wird wie am Samstag. Wo keine
ledigt hat, braucht der Kritiker es nicht mehr zu tun
Beziehung zu schauspielerischen Notwendigkeiten unse¬
und es stellt sich nur noch das Mitleid ein.
rer Zeit da sind, ist auch kein Belang produktiv dra¬
„Das weite Land“ ist nach Schnitzlers Wort die
maturgischen Interesses gegeben; positiv eventuell bei
Seele. Die Seele aber ist bei ihm ein „Chaos“
Schnitzler für unser heutiges Ringen ums Theater
Welche Tragikomödie! Seele ist bei ihm Sinnlichkeit,
ist höchstens der rückschauende Gedanke, der Blick auf
der Trieb, die Begierde zum Genuß und das Schmach¬
das, was wir in und mit diesem ver= und zerflossenen
ten nach Begierde im lahmen, trägen Rythmus über¬
weiten Land durchschritten und überwunden haben;
tünchter Zivilisation! Dieses weite Land ist das ein Urteil darüber atmet die müde sehnsüchtige Stim¬