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23. Der. Schleiender Bierrette
Toisphos 12.591.
„UbeERVER
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christianta,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolts,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petess¬
burg, Toronto.
(Gadllmangebe ohne Sew###.
einem Zwischenaktswalzer, einem Stück voll außergewöhnlicher
Lebenslust, das alle Anwartschaft darauf hat, ein Glanzstück in
Ausschnitt aus: 25 1 1910
populären Konzerten zu werden. Der musikalische Höhepunkt
der dreiaktigen Pantomime ist im zweiten Bild erreicht. Das
Brsnlan.
Zeilnn
vom:
dritte Bild wirkt vornehmlich durch den Stoff und zwar so brutal
als möglich. Wir erinnern uns nicht, auf einer ernsthaften Bühne
solch eine grausige Handlung erlebt zu haben, als im „Schleier
der Pierrette“. Dagegen ist „Salome“ vergleichsweise harmlos.
„Der Schleier der Pierrette.
Die tollste Gespenster=Romantik treibt ihr Wesen.
Zur Uraufführung an der Dresdner Hofoper.
Den Ausgangspunkt der Geschehnisse bilden Szenen aus dem
Am königlichen Opernhause zu Dresden hat am Sonnabend
tten, vierten und fünften Akt des Schauspiels „Der Schleier der
der aufstrebende junge Komponist Ernst von Dohnänyi
Beatrice". Doch geben sie nur den Faden der Erzählung, die Haupt¬
den ersten Bühnenerfolg davontragen können. Dohnänyi, ein
zutaten hat Schnitzler vor ungefähr sechs Jahren hinzugefügt und
geborener Ungar, lebt seit einigen Jahren in Berlin als Lehrer
daraus das Buch der Pantomime geschaffen. Die Handlung ist aus
an der königl. Hochschule für Musik und ist in deutschen Musik¬
der Renaissancezeit in das Wien zu Beginn des vorigen Jahr¬
städten als Pianist und Komponist von Konzertmusik geschätzt.
hunderts verlegt. Die Hauptpersonen tragen eine Art von Pierrot¬
Sein Erstlingsbühnenwerk, das jetzt die Uraufführung erlebte,
Kostüm. Wer hiernach glaubte, ein tändelndes Spiel zu erleben,
ist eine Pantomime „Der Schleier der Pierrette",
irrte sich gewaltig. Ein Mädchen läuft am Hochzeitsabend dem
deren Handlung ihm Arthur Schnitzler nach Vorgängen
Bräutigam davon. Wir treffen sie in der Wohnung des Geliebten,
in seinem Schauspiel: Der Schreier der Beatriee“ geliefert hat.
dem sie Gift bringt, damit sie beide sterben können. Doch nur
So erfreulich nun die Musik ist, so unerquicklich ist die Handlung.
er trinkt den Todestrank, sie schaudert noch im letzten Augenblick
Im großen und ganzen stützt sich Dohnányi auf den Wagner
zurück. Der Geliebte fällt tot hin, sie läuft wieder zur Hochzeit,
des Nibelungenringes und des Tristan. Doch ist die Abhängig¬
läßt aber den Schleier bei dem Toten zurück. Bei der Hochzeit
keit nicht viel mehr als eine feste Grundlage, auf der er selbst
erscheint ihr der Tote. Um den Schleier wieder zu haben, muß
weiterbaut. In erster Linie ist der Schleier der Pierrette als
sie ihm folgen. Der Bräutigam heftet sich an ihre Fersen. Sie
Talentprobe zu bewerten. Es scheint, als ob wir auf Dohnänyi
kommen in die Wohnung des Toten. Dort schloppt der Bräutigam
noch Hoffnung als Opernkomponisten setzen dürften. Er bringt
den Leichnam in die Sofaecke, zwingt die Braut, dem Toten
viel dazu mit. Er hat großen musikalischen Sinn, versteht seine
gegenüberzusitzen und ihm zuzutrinken und schließt sie dann mit
Töne gut zu formen, beherrscht die musikalischen Ausdrucksmittel
der Leiche zusammen im Zimmer ein. Das arme Weib wird
vollkommen und hat, was manchem sonst talentierten Komponisten
darob wahnsinnig und in schrecklichem Tanze bricht sie vor der
abgeht, Blick für die Bühne. Dieses Bühnentalent macht sich
Leiche zusammen. Alles was an Menschlichbegreiflichem und
im „Schleier der Pierrette“ glücklich geltend. Zwar hat Dohnényi
darum Verzeihlichem in dem Originaldrama steckt, fehlt hier.
nicht jeden Schritt mit seiner Musik gezeichnet, aber die gefühls¬
„Der starb um Dich? Und den verrietest Du? Und mich um
mäßigen Momente der Handlung, die seelischen Vorgänge treten
ihn? Und wiederum ihn um mich? Was bist du für ein Wesen
Beatrice?“
deutlich in der Musik heraus. Am meisten jedoch fallen die Töne
Diese Frage des Herzogs in dem „Schleier der
zu den grausigen Vorgängen der Handlung auf; zu Geisterspuk
Beatrice“ ginge hier verloren. Nicht um Beweggründe sondern
und Wahnsinn. Eine schauerliche Höllenmusik, die als Schnell¬
um Tatsachen handelt es sich. Es scheint, als sei Nervenkitzel die
polka bezeichnet ist und daher kommt, daß Musiker auf der Bühne
Losung gewesen. Und zwischen Schnitzler und Dohnänyi, zwischen
mit zertrümmerten Instrumenten sie scheinbar spielen, und die
Buch und Musik klafft ein Abgrund. Dort Effekt, hier Kunst.
meisterliche Beherrschung neuzeitlicher Chromatik zeigt, geht an
Die Aufführung, die von Schuch mit all seinem Temperament
Wirkungsfähigkeit über alle Höllen= und Gespenstertöne, die
geleitet wurde, brachte dem Komponisten mehrfachen Hervorruf
nach Berlioz geschrieben wurden. Und was besonders dabei
ein und zeigte auch die Hauptdarsteller Fräulein Tervani
anzuerkennen ist: nicht der Instrumentator, sondern der Musiker
(Pierrette), Soot (Pierrot) und Trede (Arlekino) in zwar
hat die Farbe dazu geliefert. Jedoch auch in anderen Tänzen
ungewohnter (weil sie Opernsänger sind), aber sehr erfolgreicher
spricht ein erfindungsreicher Musiker sich aus. So z. B. in Tätigkeit.
Eugen Thari.