Faksimile

Text

box 28/
23. DerSchleiender-Pierrette
Nl. 59.
angesichte desn er don Maochen mit derben Zari¬
lichkeiten kommt, mit dem er die halb Wahnsinnige
schließlich im Zimmer einsperrt, bis sie in ausbrechen¬
dem Irrsinn tanzt und tanzt und — tot umfällt.
Eine neue Wahnsinnsform, eine neue Todes¬
#ursache, die in „Elektra's“ Ende recht deutlich er¬
innern muß. Die Musik freilich tut es nicht. Wie
anders, um wieviel wirksamer hätte ein Richard
Strauß die Stimmung dieses Schlußeffektes erhascht,
die doch nichts anderes soll, als uns das Gruseln
lehren. Dazu bedarf es dieser hypersensitiven, ner¬
vösen, verfeinert=artistischen Musikmache. Das kann
Dohnänyi nicht. Ein angenehmes, an Schumann
und Brahms gebildetes Tulent, das in Kammer=, in
Klaviermusik und sinsonischen Versuchen — eine Or¬
chestersuite hörte man hier im vergangenen Jahre
mauch hübsche Probe abgelegt hat, aber noch
unberührt war von den gefährlicheren Einflüssen des
Theaters. Unselbständig, wie diese Begabung von
je gewesen ist, gab sie auch hier sich dem größeren
Vorbild ganz und gar gefangen. So wurde Wagner,
der große Zauberer, der Vater dieser Pantomime,
Pierrot, der tote Liebhaber, ein Wälsungensproß,
der schwarze Arlechino ein Vetter Hundings. Tüch¬
tige leitmotivische Arbeit und an Wagner geschulte
Instrumentation vervollständigen diesen Eindruck.
Merkwürdig stillos wird aber die Sache, wo das, Vor¬
bild nicht helfen konnte. Alt=Wiener Paare tanzen
im ersten Bild, vom Spinett begleitet, einen —
übrigens allerliebsten — französischen Salonwalzer.
Das Hochzeitsfest wieder poltert mit einem feschen
„Reißer“ schlimmster Sorte los, der sich an Trommel
und Blech nicht genug tun kann, denen gegenüber sich
die die=Ausführung schlecht genug mimende Bühnen¬
müsik, bestehend aus einem Spinett, einer Flote und
einem armseligen Geigerlein, überaus komisch aus¬
mimmt. Wenn mir in der Musik der Gruselszene noch
ältere Erinnerungen kamen, die bis auf St. Saens
„danse macabre“ zurückgehen, so erwähne ich das
nicht, um Reminiszenzen zu jagen, sondern nur um
zu zeigen, wie alt, um nicht zu sagen veraltet, die
Erfindung ist, die auf einen neuen Stimmungsge¬
halt mit neuer Musik hätte reagieren sollen. An¬
Iklänge dazu finden sich vielleicht in dem originellen,
gut erfundenen, ironischen Trauermarsch (1. Bild),
in dem unheimlich lustigen Zweivierteltakt (2. Bild),
während gerade die Gruselszene des Schlusses, im
Ausschnitt aus:
Anfang unleidlich zerdehnt, im Schlusse nicht ge¬
Monte
nügend gesteigert, und zu plötzlich abgebrochen, die
Hevne, Wien
vom: 25 9 1911
Wirkung des Ganzen gefährdet. Angenehm als In¬

Vtermezzo zwischen Toben und Grausen fällt ein an¬
mutiges Mennett auf, das Dohnanyi von dem wenig
geglückten Versuche moderner Dramatik zu den
Hofoperntheater.
freundlicheren Anfängen seiner Kunst zurückweisen
möchte.
Zum erstenmale: „Der Schleier der Pierette“
Pantomime von Arthur EcuinterMusik von Ernst
Den toten und den tobenden Liebhaber mimten die
von Dohnänyi. — Gastspiel Caruso.
Herren Czadill und Godlewsky recht wirksam,
Drei= und vierfach erhöhte Preise. Fünfzigtausend
um Pierette war Fräulein Jamrich mit Eifer bemüht.
Kronen füllen das Haus bis zum letzten Plätzchen.
Eine große Schauspielerin würde mehr daraus machen,
Blitzender Schmuck, pompöse Toiletten, tadelloser Frack:
auf die Gefahr hin, daß das bißchen Tanzen, das nötig
vielleicht unser reichstes, kaum unser musikverständigstes
ist, weniger kunstgerecht ausfiele. Auch die Inszenierung
Publikum. Man muß dabei gewesen sein; man muß hätte nach eindringlicherer Wirkung zu streben, als die
dabei gesehen worden sein; man muß wieder die Sen- bloß allzu große Dunkelheit ausübt.
sation des größten Tenors der Welt erlebt haben. Aber
Aber sie weiß auch mit Bajazzo“ noch immer
vorher fünjptertel Stunden Pantomime? Eine Panto¬
nichts anzufangen, der der erste gewaltige Einwand
mime gar ernst kommt? Mit einer Musik, die An¬
gegen Herrn Wymetals Regie gewesen ist. Nun sind
sppüche macht? Nein, dafür hat man das viele Geld
fast alle seine Mätzchen gestrichen worden; geblieben ist
Noch nicht ausgegeben!
nur die unmögliche szenische Einteilung, die den ganzen
Es war ein Fehler, zwei Harlekiniaden hinter Schluß unsichtbar und unhörbar macht. Geblieben ist
einander zu bringen. Es war ein schweres Unrecht,
leider Gottes auch Herr Wymetal.
ein ernstes Werk dem Unterhaltungsbedürfnis einer
Aber wer kümmerte sich diesmal um die Regie!
Jour=Gesellschaft vorzuwerfen. Es hätte mehr In¬
Wer um die Mitwirkenden, die wirklich in ihrer Höf¬
chart
K