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einen Stoff von hohem poetischen Zauber wie packender
Gramatischer Wucht, hier schrien ein Wiener Rechtsanwalt
ein Pextbuch, das an Verbrauchtheit des Sulets wie Billigkeit
der Verse seines gleichen suchen dürfte. Die Schlubszene wird
eingeleitet mit den Worten der jungen Liebenden idle sieh
nicht kriegen solften an das alte, noch auf Liebespiaden er¬
toppte Paar: „Verzeint die Störung, doch Gee Amor macht
die Kunde, Verweigert euren Segen mieit Nuch anderin
Herzensbunde!“ Das ist das Stück. Zum Schluß singt
der Verwalter Nuto noch:
„Das sicht woll unders aus —
Doch was kann ich verlieren“
Statt Mist kann übers Jahr
ich Kinderwagen führen!““
Wünschen wir dem Schmied dieser Reime dasselbe! Mit
diesem Text ist es Dohnänvi gegangen, Wie Pnceini mit seinem
zahmen Mädchen aus dem wilden Westen: Es ist ihm nichts
eingefallen. Daher die Verlegenheit der bombastischen Or¬
chestration dieses überharmlosen Rokokoschwanks. Psycho¬
logisch absolut erklärlich, und eigentlich für den Komponisten
sprechend!
Die Schnitzlersche Pantomime dagegen hat Dolmanyi zu
einer Leistung von hohem künstlerischen Wert angespornt.
die in der schon erwähnten Nummer 5 des 37. Jahrgangs ihre
volle Würdigung erfahren hat. Es heitt dort in dem Schluft¬
passus mit vollem Recht: „Seine Musik macht den Eindruck
des Echten, seine Arbeit ist künstlerisch dureh und dureh,
Eche Wirkungen snd suek unc liefschen
Und nun zur Aufführung seibst! Ueber die Mitwirkenden
bei Tante Simonas Herzerweichung kunn im allgemeinen nur
Gutes berichtet werden. Louise Marck (Donna Simona).
Elcauor Painter (Beatrice), Mizzi Fink (Giacinta),
Ernst Lehmann (Graf Floris), Carl Waschmann
(Graf Ghino) und Eduard Kand! (Der mistfahrende Haus¬
verwalter) stellten ein absolut einwandfreies Können in den
Dienst dieser Spruplade.
Von der Wiedergabe der Pantomime kann ich hier nur
mit dem Aueurgel: Jese-höchsten Lobes sprechen, besonders
JO00s0
was die beiden Haupipersonen. Pierrol Winar Linden)
und Pierrette thisa Galafres) betrift. Das war vor¬
hehmste Kunst, das wareh mit Musik durchiränkte desten, Be¬
wegungslinien von ganz hervorragender Schönheit. Elsa Gala¬
fres war, wie mir berichtet wurde, eine Schülerin von Dal¬
croze. Man mag über die Hellerauer Bestrebungen denken,
wie man will. hier hat man ein Resultat vor sich, an dessen
zwingender Beweiskraft man unmöglich vorbeigehen kann.
Um so weniger, wenn man andere Bestrebungen und Leistun¬
gen damit vergleicht: etwa das neurasthenische Gehopse der
Wiesenthals, oder die kallisthenischen Tänze, die uns neulich
im Neuen Schauspielhaus beschert wurden, oder etwa jener
„Stil der dramatischen Darstellung“, der auch vor kurzem uns
zwei Stunden lang mit konventionellsten Attituden langweilte.
und noch manch anderes. Nein, da hatte die Pierette der Eisn
Galafres schon ein anderes Giesicht! Das war eine gesunde
und köstliche Flüssigkeit der Bewegung, vollendetste Beherr¬
schung des Körpers und bei all dem ein suggestives Mit¬
erleben der Handlung, so daß man gar nicht Zeit hatte, sich
innerlich mit den gehäuften Unwahrscheinlichkeiten der Pan¬
tomime zu beschäftigen, sondern sich willenlos von der ab¬
soluten künstlerischen Schönheit des Gebotenen mitreißen lieb.
Ebenfalls vorzüglich war, wie schon erwähnt, der ergreifende
Pierrot Einar Lindens, der, bei aller traditionellen Gefühls¬
weichheit dieser Figer, doch nicht in billige Sentimentalitä:
verfiel. Auch er verlügt über eine hohe Achtung abnötigende
Bewegungskultur. Die dritte Hauptperson, Arlechino, Pierret¬
tens Brüntigam (Edwinheyer), war vielleicht der wenigst
gewandte Darsteller. Hatte er auch packende Momente, 8o
fehlte ihm doch eine gewisse Größe der Linie, der gerade
diese Figur nicht entraten kann. Hastige und ungelenke Gesten
störten des öfteren die hier bei aller Leidenschaft so nötige
Einheitlichkeit. Die kleineren Kollen waren zum größten Teil
gut besetzt, wie an manchem Detail besonders in die Augen
sprang. z. B. als der rasende Arlechino den Musikanten ihre
Irstrumente zertrümmerte. (Uebrigens musikalisch eine äußerst
geistvolle Stelle.)
Bezeichnend und erfreulich war, daß nach dem Fallen des
Vorhangs sich verhältnismäßig wenige Hände zum Beifall
rührten: so stark war der vereinte Eindruck von Handlung.
Darstellung und Musik. Erst allmählich wich der Bann und
machte rauschenden Ovationen Platz, die die Hauptdarsteller,
den Komponisten und den Spielleiter, Dr. Haus Kaufmann,
unzählige Male vor die Kampen riefen. Ausgezeichnet wär——.
wieder. Pen man von einigen kleinen Bläsersünden absicht,
die L.eistung ues 6 sters.
Ausschnitt aus:
Der Humerist, Wien
2 1APfl. 19
vom:
Aus Berlin.
Nach dem verungliclen Pueeini hat man im Deutschen
Opernhaus rasch genug Ernst v. Dohnanyis einaktige Spiel¬
oper „Tante Simona“ und des gleichen Komponisten Pantomime
„Der Schleier der Pierette“ herausgebracht. Herr v. Dohnanyi
mag mit der Aufnahme, die seine Werke bei Publikum und Presse
gefunden haben, wohl zufrieden sein. In dem Operchen, wie in
der Pantomime bekundet der Komponist, daß er ein hervor¬
ragender Instrumentator und ein ganz bedeutender Klangmaler
„ist. Daß Gutenberg ein genialerer Erfinder war, als er, wird er
Cselbst kaum bestreiten. Nur eines bleibt sonderbar: während alles
in Dohnanyi zu starkem, dramatischem Ausdruck zu drängen scheint,
hat er sowohl in „Tante Simona“, wie zum großen Teil auch
im „Schleier der Pierette“ zwei Vorwürfe gewählt, die just für
einen Schreiber zierlicher und gefälliger Musik recht gewesen wären.
Von der Wiedergabe, die beide Werke erfuhren, soll gesagt werden,
daß die Herren Waschmann, Kandl, Linden, Lehmann
und die Damen Painter, Fink, Marck und Galafr#s“
bestrebt Waren, die Intentionen Dohnanyis in weitgehendem Maße
zu erfüllen.