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23.
DeSchleiender-Pierrete
Die Ges
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Liebesmotiv mag man in der „Walküre“ nach¬
lesen. Aber nur ein starker Empfinder vermag
es, das Unheimliche und das Lebensfreudige so
wirksam nebeneinanderzustellen, bald, jauchzend
und jubeind, die Laute des Alt=Wiener Tanzes
zu spielen und dann wieder den musikalischen
Schattenriß einer Vision, die grellen Disso¬
nanzen des Wahnsinns mit ganz besonderen
Mitteln musiknotenmöglich auszudrücken. Ich
darf mich um so beherzter neben diese reiche,
vielseitige und wertvolle Partitur stellen, als
ich an der Spieloper Dohnänyis, „Tante
Simona“, zu der Victor Heindel einen Wasser¬
süppchen=Text geschrieben hat, außer einiger
thematischer Sauberkeit überhaupt nichts Po¬
sitives entdecken kann. Ein Lortzing=Stoff: in
das Haus der männerfeindlichen Tante hat sich
zum Nichtchen ein Galan in der Maske eines
stummen Gärtners geschlichen: auch der Tante
sprießen schließlich am Baume eines alten Ver¬
ehrers die Johannistriebe. Aber dieser dünn¬
flüssigen Verkleidungs=Harlekinade des alten
Stils gibt Dohnanyi, nachdem er sich im Vor¬
spiel als Schüler des leichtfüßigen Armanno
Wolff=Ferrari noch einigermaßen graziös ge¬
berdet hat, eine merkwürdig freudlose, un¬
freundliche Musik mit auf den Weg. Ein ge¬
häuftes Maß von Langeweile und Humorfrei¬
heit hat diese Oper als Aussteuer erhalten:
neben diesem gar nicht naiven, zur Kompliziert¬
heit künstlich aufgepäppelten Buffo=Opern¬
Gernegroß stehen die Musikkomödien anderer
Moderner, die dem Molière=Ruhm auf den
Wegen der Musik nachstreben, stehen selbst die
kleineren Arbeiten der Leo Blech, Eduard Kün¬
necke, Waldemar Wendlandt usw. triumphie¬
rend da. In allem: Ernst von Dohnanyi scheint
sich seine Empfängnis vom Gefühl, von der
Sensation, von dem „starken Tabak“ zu holen.
Mit dem Humor hat er kaum etwas zu schaffen.
Um die dekorativen Stimmungen des
Abends, um das gespenstische Biedermeier der
Pantomime und das leuchtende Frühlingsgrün
der Oper hatte sich die Regie des Dr. Kauff¬
mann mit Erfolg bemüht.
W. J.
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dicken Erevola pisten. In den rogen mreuten—
sich die Köpfe vor, die Aufmerksamkeit ver¬
zerrte die Züge, die Augen und die Münder
waren weit aufgerissen. Herr Motiers de Fraisse
verkündete, daß Frau d’Entraque, ohne ver¬
eidigt zu werden, eine Auskunft geben sollte.
„Nun, Frau Gräfin, sagen Sie, was Sie
zu sagen haben.“
Sie wurde von jener Ruhe ergriffen, die
auf dem vollständigen Aufgeben der eigenen
Persönlichkeit beruht, die nichts zu verlieren
hat, weil sie alles verschenkt hat. Sie stützte
sich mit beiden Händen auf das Gitter, und
ihre Stimme klang so deutlich, daß man sie
überall vernehmen konnte.
„Die Aussage meines Mannes ist von
Anfang bis zu Ende falsch: Gestern noch