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23. Der Schleiender- Bierrette
geo. " —o1, 1 Tagesor
Unser K
Niklasdorf, 18. Dez., Scheidlstraße 44.
scre
abends,
samm
straße 4
Bahne und Kunst.
Herr M.
Wunder
„Der Schleier der Pierette“ bei Tairoff.
setzung !
Gastspiel im Deutschen Volkstheater.
Pantomime als Ausdruckskunst könnte ein Schlagwort
werden: die Voraussetzungen sind im Ballett gegeben, das vom
reinen Tanz so weit entfernt ist, wie die Pantomime vom
Theater.
Der
Bei Tairoff ist es umgekehrt. Er kommt von der Aus¬
druckskunst her und greift nach der Pantomime, um
W
für jene in dieser ein Objekt zu finden. Boi aller Primitivität
Prozeß
die Sehnsucht nach schöner Bewegung, nach der Aesthetik des
Auges, bei allem Konstruktivismus die Sehnsucht nach einem
begann
russischen Rokoko, das der Maler Konstantin Somoff so glück¬
lich erfunden oder — besser gesagt — erträumt hat.
unter
Wenn einem Dichter nichts einfällt oder wenn er wort¬
habe, di
delka
müde geworden, tastet er nach einem wortlosen Gebilde. Hier
ist es die Pantomime. Und wenn einem Komponisten nichts
Kronen
einfällt, dann „malt“ er in Tönen, ergibt sich einem Akkord¬
sie noch
geplätscher, er wird wahl= und kritiklos. Beide werden Epi¬
Detac
gonen. „Der Schleier der Pierette, ist das Werk eines müden,
Es
abgebrauchten Epigonentums, eine Backfischangelegenheit, derer
leutnant
man bald müde wird. Nein, Pierrot — Pierette — Harlekin
sind nicht ewig, ihre Anziehungskraft ist erblaßt, nur noch im
einander
Kabarett fristen sie ein dilettantisches Dasein: verwässerte Bal¬
wollten.
lade, garniert mit Tristan=, Fidelio= und Bajazzo=Gemüse.
seiner #
Kinomusik auch in der Darbietung!
Worte
Was Tairoff zu diesem Expermient führte, war die Mög¬
lichkeit der Ueberwindung der körperlichen Unzulänglichkeiten
und das Zeitlose des Sujets. Die trainierten Körper seiner
gestern
Schar konnten sich ausleben, sein gotischer Stil ward wiederum
durchgefi“
offenbar. Das Phantastische, das Dichtung und Musik vorent¬
hielt, dichtete er selber in Farben, Kostümen, im Szenischen. 1 Wahnss
4. Juli 1925
Seite 7
Diesmal gab es bei aller Gliederung, bei allem Streben
nach harmonischer Durchbildung des Ganzen „Prominente“.
Zunächst den Tausendfassa Alexander Rumneff. Die schlanke
Figur dieses Jünglings vermochte das zarte, träumerische,
ätherische Wesen Pierrots zur Geltung zu bringen. Dämonisch
neben ihm in satanisch=mephistophelischer Maske der Harlekin
Boris Ferdinandoffs, gewaltig im Ausdruck, der einzige,
der Pantomime spielte. Frau Coonen fehlte diesmal
das Ueberzeugende. Mehr Madonna als Pierette brachte sie
uns um das starke Erlebnis. Der Wahnsinn, den sie mimte,
war ein „holder“ Wahnsinn, der Tod, den sie starb, ein holder
Blumentod. Ueberaus grotesk, von eindringlicher Wirkung, der
Kapellmeister des Nikolai Novljansky, eine Figur aus
E. T. A. Hoffmann und wahrscheinlich auch so gedacht.
Die Massenszenen zeigten wieder Tairoffs erfinderische,
in¬
wenn auch bisweilen harte Hand. Die Schwäche lag, man kann
gen
es nicht ändern, bei Dichter und Komponist. Das Publikum
An¬
185
wollte Bällett sehen und kam nicht auf seine Rechnung. Der
ko¬
Applaus galt dem anerkennenswerten Willen des Künstlers
he 1Tairoff
Oskar Rosenfeld.