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22. Der junge Madandus
Montag,
Ulittat
21. November 1910.
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Kleineren. Vor allem das des jungen Buch¬
dige Stimme, sympathischer Klang, leichte Höhe,
händlersohnes Medardus Klähr,
gutes Aussehen und viel Beweglichkeit im Spiel.
der sich selbst zu einem Nachewerkzeug Deutsch¬
Sein weibliches Gegenstück ist Frl. Merrem,
lands auserwählt, aber gelähmt von der Macht
die eine ganz allerliebste Rita war. Lüppertz¬
des Gewaltigen von Wagram dahinsinkt.
Berengar, Rapp=Diomed undStadtegger¬
Maddalena gruppierten sich geschickt um dieses
Trio. Seinen Separaterfolg hatte wie immer
Die Tragödic eines Verzweifelten. Unter
der sehr komische, wenn auch gelegentlich etwas
den jungen Wienern, die zu den Waffen ge¬
detonierende Kunze (Habakuk). Succes
griffen haben, ist der junge Medardus Klähr
d’estime für die Komponistin, die vom dritten
der Begeistertsten und Besten einer. Seine
Akt ab erscheinen konnte. Beglücktes Erschrecken
Schwester Agathe sreht im innigen Herzens¬
über Blumenspenden, Abwälzen der Ehre durch
bund mit dem jungen Prinzen François v. Va¬
eine großartige Handbewegung auf das Orchester:
lois, dem Sohn des blinden Herzogs, der sein
auch das nach berühmten Mustern.
Geschlecht im napoleonischen Frankreich auf den
Erich Urban.
Königstron setzen will. Ein Lebenswahn. Dem
jungen Prinzen ist das Haus der Buchhändlers¬
witwe Klähr solange verboten, als bis sein
stolzer Vater selbst um die Hand Agathens für
den Sohn anhalten wird. Grad als der junge
Kriegsmann Medardus Abschied nimmt von
Der junge Medardus.
den Seinen, kommt der Prinz, um das Einver¬
ständnis seinen Eltern mitzuteilen. Er lügt.
Arthur Schuitzlers neuestes Werk.
Er ist nur gekommen, um mit Agathen gemein¬
An einem der nächsten Abende wird eine
sam in den Tod zu gehen. In den Wellen der
große dramatische Historie von Arthur
Donau suchen die Liebenden ihr Brautbett.
Schnitzler: „Der junge Medardus“
Just in das Donauerwirtshaus, wo junge
zum ersten Male gegeben werden. Zu Wien,
Krieger Abschied feiexn, unter ihnen Medardus,
am Burgtheater. Dann erst wird Berlin
werden die Leichen gebracht. Und der Jüng¬
folgen. Der Dichter hat diesmal aber nicht
ling, der eben noch hinaus wollte ins Feld,
darauf beharrt, das Buch, wie in den letzten
tauscht mit einem anderen. Er bleibt in Wien.
Jahren allgemein Uebung worden, erst am Mor¬
„Hier ist mein Platz, Denn ich weiß, was heute
gen nach der Aufführung in die Oeffentlichkeit
geschah, das ist ein Anfang — kein Ende ...“
zu senden; heute früh ist es im Verlag von
Nächen will er sich an den stolzen Aristokraten,
S. Fischer in Berlin erschienen.
deren Hochmut ihm die Schwester getötet ...
Dies das zweiteilige Vorspiel.
Ein dicker Band von 300 Seiten; ein Vorspiel
und fünf Akte. Er mag wohl die Wortzahl Don
Carlos erreichen und die Bühne, die das Werk
In den jetzt sich aufrollenden fünf Akten, in
aufzuführen unternimmt, ist vor eine der
denen fünfzehnmal die Szene wech¬
größten szenischen Aufgaben gestellt. Und — es
selt, vollzieht sich das seltsame verfehlte und
kann nach dem ersten raschen Durchlesen des
fehlschlagende Rachewerk. Schon am frischen
Dramas gesagt werden — vor eine würdige und
Grabe der Schwester setzt es ein. Medardus
ehrenversprechende. Schnitzler ist hier allerdings
begegnet da der Schwester des Prinzen, der
nicht der mit feinen Instrumenten arbeitende
schönen, stolzen Helene, der Dame mit den
Zergliederer sensibler Naturen; wohl ist auch
„hochmütig mörderischen Fingern". Er beleidigt
der Nerv des Wiener Dichters in den stilleren
sie und muß ihrem Werber, dem Marquis von
Momenten des Werkes, aber in seinem Haupt¬
Valois vor den Degen. Beide werden im Duell
wesen ist es ganz anderer Art. Große Völker¬
verwundet. Aber die lüsternen Sinne Helenens
historie bald, dann anekdotische Historiette; liebe¬
haben Feuer gefangen aus des jungen Medar¬
volle Altwien=Studie, wieder dann buntroman¬
dus traurig flackernden Augen. Sie inter¬
tischer Geschichtsroman mit auffallenden Luise
essiert sich für den Füngling, und der wieder
Mühlbach=Flecken. Und auch die Sprache hat
kennt nur ein Ziel: die Stolze verführen und
nicht die flaumfederfeine Schnitzlersche Leichtig¬
dann ihre Schande öffentlich ausschreien. Rasch
keit und Ungebundenheit und Natürlichkeit.
kommt er so weit. Die Kammerjungfer
Wiener Bürger von 1809 führen, ein wenig
Helenens ist der Liebesbote und in schwüler
steif stilisiert. Die lieben Wiener reden fast nur
Nacht wird Helene in ihrem Schlaf¬
im Imperfekt; und das tut dort im täglichen
gemach des Medardus Geliebte. Aber
Verkehr kaum der Kuliusminister.
die Wonne wandelt die Rachegier. Zwar stellt
Medardus bei der Verteidigu. Wiens seinen
Eine wirre bunte Bilderfolge aus Kriegs¬
Mann, aber es ist eine seltsame büster flackernde
tagen Altwiens entrollt der Dichter. Napoleons
Glut in ihm. Zwar wird Napoleon bei Aspern
übergroßer Schatten liegt auf der heiteren
besiegt, aber nur, um nachher doppelt
Stadt, in der Beethoben und Haydn schaffen.
die Sieger aufs Haupt zu schlagen. In des
Aber nicht die großen Schlachtfeldhelden
Medardus Familie nistet das Unglück. Sein
jener Tage zitiert der Dichter: sie lenken
Onkel Eschenbacher, ein wackerer Bürger und
nur die Geschicke der Welt und im pulver¬
erfülleten Wirbel erfüllen sich die Schicksale der Patriot wird von den Franzosen erschossen, weil
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