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22. Derjundandus
in ihrem ganzen Um¬
„Ihr seid ein Narr oder Ihr seid krank, sage ich
Staub, unstelblich ist
Euch,“ rief Napoleon hierauf dem unbeugsamen Staps
e 17jährige Jüngling,
zu. Der Kaiser ließ einen Arzt kommen, aber so gerne
Schillers „Jungfrau
er die Bestätigung seiner Vermutung vernommen hätte,
mmten ihm die Worte
der Heilkünstler konnte ihm nicht beipflichten. Nein, der
bei dem Abschiede
Jüngling war weder krank noch verrückt, sondern nur
Triften ihrer Heimat
von idealistischer Wahnwitzigkeit erfüllt. Nun stellte
Napoleon Staps die Befreiung für den Fall in Aussicht,
daß er sein Vorhaben bereuen wolle. Zu tief saß jedoch
nen
Eltern und Be¬
der Groll im Herzen des Jünglings, zu groß war seine
pch
einmal tauchte er
Empörung und zu groß auch seine Wahrheitsliebe, als
zu Schönbrunn, um
daß er sich bekehren ließ. Mit seinem Leben hatte er
unterzugehen für
schon abgeschlossen, als er nach Schönbrunn gegangen
hatte ihn zu einer
war; nun konnte er nur bedauern, daß ihm die Tat
witzig es auch war,
nicht gelang. Die Standhaftigkeit und die ruhige Frei¬
ern an, die furcht¬
mütigkeit des jungen Phantasten übten auf den kalten
freiung Deutschlands
Schlachtenlenker einen erschütternden Eindruck aus. Staps
on Schönbrunn und
wurde wohl dem Militärgerichte überantwortet und zum
rzählt worden. Wir
Tode verurteilt, aber der Kaiser, der schon Hekatomben
nur mit wenigen
hingeschlachtet hatte, dessen Größe aus Blutströmen
en. Am 12. Oktober
herausgewachsen war, konnte des jugendlichen Opfers
zur Zeit, als die
nicht vergessen. Er sprach viel von Staps, viel von den
lerreich und Napoleon
Absichten, die den Pfarrerssohn geleitet haben mochten.
lichen Paraden bei¬
Aus den Memoiren des Generals Rapp erfahren wir,
anzosen mit seinem
daß Napoleon in dem Jünglinge das Werkzeug deutscher
hinunter. Im weiten
Frauen sah, von denen er annahm, daß sie ihm nicht
wieder herbeigeströmt
gut gesinnt wären und daß sie fähig sein würden, die
den bunten Schau¬
Köpfe liebesbedürftiger junger Leute zu verirren. Aber
hsame, scharfe Auge
man darf voraussetzen, daß der scharfblickende Kaiser auch
ling sich vordrängte,
weiter dachte, daß sich ihm in dem gut erzogenen
ssenheit und Erregung
Pfarrerssohn der Geist des deutschen Volkes offenbarte
app den Besehl, den
und daß er, der Weltbezwinger, vor der Macht erschauerte,
im Schlosse zurück¬
die in der nach Befreiung lechzenden deutschen Nation
ei. Ganz unauffällig
lag. Nur so ist der jähe Wechsel in der Stimmung des
führt; die Wiener,
Kaisers zu erklären, der unter dem Eindrucke der Unter¬
ahen diesen kleinen
redung mit Staps den raschen Abschluß des Friedens.
gebot. In der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober ver¬
ler Verhaftung unter¬
ließ Napoleon fast fluchtartig das stolze Schloß, in dem
er zum zweitenmal als Herr im fremden Lande geweilt
scharf geschlissenes
Jüngling machte
hatte. Später mußte ihm über die letzten Stunden des
em Kaiser selbst sagte
Naumburger Kindes eingehend Bericht erstattet werden.
ten wollte. Nach zeit¬
Nur einmal hatte der Jüngling gezittert ... als man
sich dabei folgender
ihm mitteilte, daß der Friede zwischen Oesterreich und
Frankreich geschlossen sei. Friede mit Napoleon, mit dem
Würger der Menschen! Das war zuviel für den opfer¬
“ meinte Napoleon.
mutigen, unglücklichen Rächer. Als es zu sterben galt,
des Illuminaten¬
schritt er aufrecht und gefaßt zur Richtstätte, mit dem
Ruse: „Es lebe die Freiheit, es lebe Deutschland, Tod
enne ich das, was
seinem Tyrannen!“ sank der Jüngling, von wohl¬
gezielten Schüssen getroffen, zu Boden.
ank?“
Das Geheimnis, in das der Attentatsversuch gehüllt
efinde mich durchaus
wurde, umgab auch den Tod des Verwegenen. So konnte
das Ereignis und der Name des Schwärmers rasch in
rmorden?“
Vergessenheit geraten. Erst im Jahre 1813, als durch
Vaterlandes seid.“
Deutschland ein Sturm edelmütiger Begeisterung rauschte,
erinnerte man sich wieder des Jünglings, in dem nun —
2
so merkwürdige Zufälle schafft das Schicksal — niemand
anderer als Kotzebue den „deutschen Brutus“ feierte. In Zei
neh
der letzten Zeit hat man in den Archiven von Wien und
Läy
Paris manchen Akt zu Tage gefördert, der über den
rauhen Lebensabschluß des knabenhaften und doch so
ernsten Attentäters neue Kunde brachte. Jetzt wissen wir,
daß der Jüngling nicht in Meidling, sondern in Fünf¬
haus erschossen wurde, und daß drei württembergische
Infanteristen ihre Gewehre gegen ihn richteten. Deutsche
Soldaten streckten den edelmütigen Friedrich Staps nieder,
weil er Deutschland frei und die Deutschen zu freien
Männern machen wollte.
Nun geht der „junge Medardus“ über die Bühne,
der Held, den der Geist des Dichters geformt hat. Da
geziemt es sich, einige Augenblicke der Erinnerung dem
jungen Staps zu weihen. Napoleon hatte nur über den
Körper Macht, den Idealismus konnte er nicht bezwingen.
Vier Jahre nach dem Tode Staps' wurde das Urteil
über den Imperator in blutiger Schlacht gesprochen, denn
so einfältig war man nicht mehr, den Kaiser durch einen
Dolchstich hinwegschaffen zu wollen, den Kaiser, der —
wie ungezwungen er sich auch bewegte — doch immer
von einem sicheren Walle umgeben war, von seiner
getreuen Garde, die nur seinem Schutze lebte.
Weltfahrer.
Von Norbert Jacques.
Auch die vergangenen Zeiten haben ihre Reisebücher
gehabt, die den Menschen, die zu Hause blieben, von den
fernen Wundern erzählten. Damals jedoch hielten die
Beschwerlichkeiten und die lange Dauer einer solchen Reise
alle die, welche nicht von ihrem Beruf hinausgetrieben
wurden, im kleinen Kreis ihrer Heimat oder nur wenig
erweiterter Grenzen zurück. Aber heute gehört die ganze
Welt schließlich einem jeden Menschen. Was früher ein
Wunder war, ist heute eine Reise von einem Vierteljahr,
bei der man, wenn man will, kein Glied zu rühren
braucht. Die technischen Eroberungen unseres letzten Jahr¬
hunderts haben die fabelhaften Vorstellungen, die zwischen
Entfernungen hingen, zerrissen. Einen ganzen Schwarm
von Menschen werfen alle Stunden des Tages und der
Nacht in die Welt hinein und in der Welt durcheinander,
und aus hnen ist ein leichter, fernhinschlagender Rhyth¬
mus des Reisens entstanden, der ein starkes, neues
Merkmal unserer Zeiten ist.
Und auch die Dichter verlassen den lieblich ge¬
schwungenen Talzug der süßen, heimatlichen Gründe.
Die gemütvoll geschweiften Postchaisen von ehemals
sind heute rasende Expreßzüge, Wegbiegungen die
Kaps an den Ecken der Welt geworden, die ein¬
same Begegnung eines Stadtkaufmannes auf der
Landstraße der gewaltsame, straffe Bewegungswille
des Weltverkehres. Und doch haben sich die liebliche
Empfindsamkeit für den keuschen Glanz einer Wolke oder
den einsamen blauen Schatten am Waldrain erhalten. Die in
Kla