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dings Zeit, noch allerhand Schabernack zu ersinnen und sich gegen¬
seitig zu frozzeln. Gegenwärtig macht eine kleine Geschichte die
Runde. Herr Paulsen ist der Held. Man sagt ihm nach, daß er
auch im Leben ein denkender Schauspieler sei und allerlei kleine
Eigenarten habe. Seit Jahren läßt er bei einem Schuhmacher
in der Vorstadt arbeiten, ohne dem Manne
je seinen Namen
verraten zu haben. Die Schuhe werden einfach an Herrn N. N.
sin der X=Straße Nr. so und so ..., dritter Stock, Tür 14,
geliefert. Auch die Rechnungen haben zu lauten: „Herrn N. N.
Vor einigen Tagen lieferte nun des Schusters Töchterlein ein
Paar Lackstiefletten persönlich ab und erfuhr nun bei dieser Ge¬
legenheit, wer der geheimnisvolle Kunde eigentlich sei.
Das kleine Mädchen ist eine eifrige Besucherin des Burg¬
#theaters und gehört sozusagen zum eisernen Bestand der
letzten Galerie. Natürlich war das Schustertöchterlein entzückt von
der Kundschaft und prompt enthüllte es dem Vater, wer der
Anonymus sei. Der Vater war natürlich auch sehr entzückt und
machte sofort Herrn Paulsen eine Antrittsvisite. Der Schauspieler
war aber gar nicht erfreut, sondern verblüfft :“ empört.
„Herr!“ schrie er ihn an. „Meine Bedingung, unter der
ich bei Ihnen arbeiten lasse, war stets, daß es Sie nichts an¬
geht, für wen Sie Ihre Schuhe machen. Das muß auch in
Zukunft so bleiben, sonst können Sie sich Ihre Stiefel behalten.
Und schicken Sie mir sofort die Rechnung über die letzten Paare.
Sie wissen, ich bezahle gleich.“
Am nächsten Tage kam die Rechnung. Sie lautete:
„Herrn N. von N.“
In dieses wienerisch charakteristische „von N.“ hatte der
Schuster seine ganze Hochachtung vor dem Hofschauspieler
hineingelegt.
Im Carl=Theater beschäftigt man sich mit der neuen
Operette von Fall „Das Puppelmädel“. Man setzt große Er¬
wartungen in das Werk. Es ist noch in den letzten Wochen
manches daran geändert worden, da man für Frau Zwerenz eine
uusgiebige Rolle schaffen mußte. Es sah schon ganz danach aus,
daß sie nicht mittun wollte. Aber die Autoren setzten sich flugs
hin, arbeiteten um, schrieben ihr noch neue Lieder in die Rolle
hinein, und so war die Streikabsicht des Stars in letzter Stunde
beseitigt. Doch noch eine andere wichtige Frage war zu erledigen.
Sollte man das „Puppenmädel“ unter der Bezeichnung
oder
„musikalisches Lustspiel“
„Operette“ „Vaudeville“
in die Welt gehen lassen? Keine der Bezeichnungen
erschöpfte ganz den Charakter des Werkes. Das „Puppenmädel“
ist nämlich dem französischen Lustspiel „Miquette und ihre Mutter“
nachgebildet und weicht stellenweise von der Operettenlinie ab.
Leo Fall war für die Bezeichnung „Vaudeville“, die Librettisten
schwankten hin und her, der Verleger und die Direktion plädierten
für das Wort „Operette“. Man setzte sich also zusammen und
hielt eine lange Konferenz ab. Jeder gab sein Für und Wider
zum besten und erst nach zwei Stunden fiel die Entscheidung:
man hatte sich zu einem Ausgleich der divergierenden Ansichten
entschlossen. Das „Puppenmädel“ wird — „Vaudeville=Operette“
benannt werden und allen Parteien ist somit Rechnung getragen
worden. Nur einer ging leer aus: der Mann, der für „musikali¬
sches Lustspiel“ war, aber seinen Antrag noch vor der Abstimmung
zurückzog.
Einen heiteren Requisitenscherz, der ganz gut in einer
Operette Verwendung finden könnte, hat neulich Herr Lehar mit¬
gemacht. Er gedenkt damit einen seiner Librettisten zu belohnen.
Neulich saß in einem Restaurant der Besitzer des Theaters an
der Wien, Herr Simon, und Lehar gesellte sich zu ihm. Als die
Gesellschaft auseinanderging, entdeckte Herr Simon, daß die
Krücke seines am Vormittag gekauften teuren Seidenschirmes stark
wackelte. Verdrießlich sandte er am nächsten Tage den Schirm an
den Lieferanten zurück und verlangte umgehende Reparatur. Der
Lieferant besorgte sie pünktlich und entschuldigte sich noch vielmals
wegen des fehlerhaften Gegenstandes. Ein paar Tage später trifft
nun Herr Simon wieder mit Lehar zusammen.
Der Komponist stellt sofort die Frage:
„Haben Sie nicht neulich Ihren Schirm vertauscht? Ich
habe einen ganz neuen nach Hause gebracht, der meinem Schirm
sehr ähnlich sieht. Nur die Krücke war schon wacklig!“
Einen Moment lang sah Herr Simon verdutzt drein.
„Das war Ihr Schirm? Nun, Sie können sich freuen,
ich habe ihn reparieren lassen, aber kostenlos! Der Lieferant hat's
gar nicht gemerkt, daß es gar nicht mein Schirm war!“
„Trösten Sie sich,“ sagt Lehar, „ich habe schon in Ihren
Schirm mit der Zigarette ein Loch hineingebrannt! Könnten Sie
das nicht auch kostenlos reparieren lassen?“
„USSEHVER
österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus
Jerliner Zeitung am Mittag, Ber¬
vom: 28. JUL. 1909
Döh(WiensBerliner
Fichenen.
Korrespondenten.)
Von unsere
Wien, 26. Juli.
Arthur Schnitzlers Novissimum. — Der Kampf
um den Komiker. — Künstleraustausch Berlin—
Wien. — Bachmann als „armer Jonathan“.
— Ein Lehargastspiel in Berlin.
Brahm und das Burgtheater haben gleich¬
zeitig Arthur Schnitzlers neueste Arbeit zur
Aufführung für die kmtende Spielzeit akzep¬
tiert. Es handelt sich um eine abendfüllende
Komödie, die den Titel „Der junge Herr
Medardus“ führen wird. Schnitzler bietet
diesmal ein interessantes, spezifisch wienerisches—
Schauspiel, das anno 1809 in der alten Kaiser¬
stadt spielt. Beide Bühnen werden fast zu gleicher
Zeit die Premiere bringen, in welcher in Wien
Hartmann und Lotte Witt, in Berlin
Heinz Monnard und Irene Triesch die
tragenden Rollen kreieren werden. Bei dieser
Gelegen eit sei die Neuigkeit notifiziert, daß
Hofrat Schlenther sowohl Bahrs „Konzert“ als
auch Fuldas neues Lustspiel „Das Exempel“
refusiert hat. Brahm hat, wie ich Ihnen
schon vor zwei Monaten berichtete, das
Bahrsche Stück sofort angenommen, während
der neueste Fulda zuerst bei Hahn, voraussicht¬
lich während des Gastspiels Treßler, der ein
Lieblingsschauspieler Fuldas ist, in Szene gehen!
wird.
Um einen Berliner Komiker ist ein förm¬
licher Ringkampf entbrannt. Jarno hat näm¬
lich Herrn Beckmann vom Lustspielhaus für
seine Bühnen engagiert. Kaum war Herrn Dr.
Zickel durch eine Indiskretion der bisher
streng geheimgehaltene Abschluß zu Ohren ge¬
kommen, als schon der Regent des Lustspiel¬
hauses Herrn Beckmann für sich reklamierte,
Jarno bot Herrn Beckmann, den er neben
Maran als ersten Komiker beschäftigen will,
einen großen Vorschuß, der wieder Herrn Direk¬
tor Zickel als Ablösungssumme offeriert wurde.
Doch Zickel besteht auf seinem Schein, während
Beckmann sich für nicht gebunden hält und
unbedingt nach Wien will. Der Streit wird
jedenfalls erst durch einen richterlichen Spruch
entschieden werden. Jarno hofft zu siegen, ob¬
wohl er bekanntlich gegen Else Kupfer vom
Deutschen Theater in allen Instanzen seinen
Prozeß verlor. Zugleich mit Herrn Beckmann
wurde Fräulein Fugger vom Lustspielhaus
als Sakondame von Jarno nach Wien verpflichtet.
Direktor Robert hat sofort zugegriffen, als
man ihm die Konventionalstrafe für Edthofer
bot. Direktor Weiße hat zief in die Tasche
gegriffen, und Edthofer ist nun frei und bleibt
am Deutschen Volkstheater. Freilich wird Weiße
binnen Jahresfrist drei seiner besten Schau¬
spielerinnen an Berlin abgeben müssen. Lilli
Maiberg will zu Reinhardt und Claire
Wallentin verläßt definitiv im nächsten
Frühjahr ihr jetziges Engagement, um ebenfalls
nach Berlin zu übersiedeln. — Auch Pepi
Krumer=Glöckner, die Soubrette des
Volkstheaters, trennt sich zu derselben Zeit von
ihrem langjährigen Direktor Weiße, um nach
#####t.. Aan. München auszuwvandern.