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22. DenjungeMadandus
(abl. Elatt.), Aien
K
Bühnenwelt.
(Burgtheater.) Man gebe mir das Manöverfeld dreier
Feuilletonspalten, um die Parade über die 15 Bilder von Schnitz¬
lers trotischer Historie abzunehmen. Man mute mir nicht zuin
den kärglich zugemessenen fünfzig Zeilen analytische Untersuchun¬
gen anzustellen, inwiefern es Schnitzler gelungen ist, das Drama
des „jungen Medardus“ das Einzelschicksal dieses herzlich unbe¬
deutenden Landwehrburschen in die Historia verwebt zu haben,
inwiefern es ihm mißglückte, da er es unter den weitgespannten
Vogen des Jahres 1800 hineinplazierte. So groß ist kein kritischer
Meister — halten zu Gnaden, Herr Leser, — daß er sich in die¬
ser Beschränktheit zeigen könnte. Auch mein chemisches Laborato¬
rium leidet an Raummangel, eine lokale Misere, die mich zwingt,
mit aphoristischer Kürze die Endformel aufzuzeichnen, den Reiz
der Arbeit jedoch für mich zu behalten. Also: ich sehe nur, daß der
Dichter das Schicksal seines Helden teilte, daß die „Tat“, zu der er
sich anschickte, größer war als er, daß der künstlerische Rausch: eine
gewaltige geschichtliche Tragödie und, als Mikrokosmos in
ihr, das Drama des jungen, ästhetisch angekränkelten Wieners
zu schreiben, ihn am Ende schwächlich fand, Auch Schnitzler hat
eben dieses Abenteuer zu sehr verwirrt. So hat er neben dem
Diorama der Franzosenzeit die Hamletnovelle geboten und Me¬
dardus ist der Held eines packend erzählten — Histörchens. Quarz,
viel Quarz und taubes, wenn auch buntes Gestein und zwischen¬
durch, — doch wie spärlich gesäet! — die Goldadern eines echten
Dichters. Es ist, als besänne sich Schnitzler, erstickt von dem
Gießbach der Farben und Klänge, die ihn umrauschen, auf seine
literarischen Pflichten und schon gar in der dramatischen
Psychologie läßt er jede Oekonomie vermissen. Ganze, große
Bilder lang versinkt er in Theaterei wenn auch da natürlich die
edle Herkunft in vielen kleinen, respektabeln Zügen unverkennbar
ist. (Die Friedhofszene, der lautlose Püppchentod des Mäderls
auf der Bastei, die Lust an der „Hetz“ beim Anblick Napoleons,
welche die Wiener Kanaille empfindet und hundert andere
Spitzlichter des feinen Novellisten). Aber dies ändert nichts
daran, daß es in toto nur eine Vermischung, keine chemische
Verbindung von Mandelbogen und Literatur geworden. Daran
können die gewundenen Exegesen der Schnitzlerreligiösen nichts
ändern. Und nicht einmal die herrliche Arbeit, die das Burg¬
theater daran gewendet hat. Alle waren sie bewundernswert,
die Großen und das Volk des Burgtheaters. Die Bleibtreu
und Balajthy mit ihrer atembeklemmenden Echtheit, die
taktvolle, wirklich adelige Wohlgemuth, der köstliche Hart¬
mann und die Creme der Episodistengesellschaft: Arndt,
Straßni, Korff, Frank, Zeska, Gimnig. Alle bis
auf einen: Herrn Gerasch, dessen Aeußerlichkeit nie als un¬
zulänglicher empfunden wurde, als diesmal. Bis zur Schlacht bei
Aspern ging das Publikum gespannt, erregt und neugierig mit,
dann erlahmte die Teilnahme, nur die Gallerie bejubelte noch
jede Salve, jeden szenischen Effekt und es war ein Glück, daß
der Dichter den Abend in zwölfter Stunde mit einer Arabeske
von echt literarischer Prägung schloß. So blieb man wenigstens
von der bösen Enttäuschung bewahrt, nur mit circenses be¬
wirtet worden zu sein. Die werden freilich viel p. t. Adel und
verehrliches Publitum ins Haus am Franzensring ziehen.
(Hofoper.) In der gestrigen „Zauberflöte“=Vorstellung, die
von Direktor Weingartner glänzend dirigiert wurde, gab es
ein paar interessante Neubesetzungen: Herr Miller als Ta¬
mino, Frl. v. Rappe als Pamina und Herr Rittmann als
Papageno. Herr Miller wußte wie immer durch seinen bel cante
einzunehmen, ohne in seinem Spiel Hervorragendes zu leisten.
Frl. v. Rappe wußte dank ihrer vollendeten Technik Beifall zu
erringen, wenn auch ihre Stimme in der Höhe schrill klingt. Herr
Rittmann bot einen lustigen Papageno, ohne allerdings die
Gefährliche Erinnerung an Ritter vergessen zu machen. Das
ausverkaufte Haus empfing zu Beginn des zweiten Ak#s Wein¬
gartner mit tosendem demonstrativem Beifal
box 26
Wien, I, ScheenKuumn H.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Clevolaud, Chetstimtn,
Oenf, Kopenhagen, London, Madrid, Malland, Minnenpolte.
Now-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, Bl. Petess¬
burg, Toronto.
(Ouelienang
ohne Gouüerh.
Ausschnltt aus:
K. 10.1 Pien
vom:
28 11 1910
Cheater und Kunst.
Burgtheater. Die lang erwartete und vorherverkün¬
dete Novität aus Artur Schnitzlers Feder, „Der junge
Medardus“, gab bei ihrer Erstaufführung der Kritik
manches Bedenken. Für den. Dichter muß die Plastik
der Handlung, das wunderbar getroffene Wiener Kolorit
der Napoleonzeit, die markante Personenzeichnung spre¬
chen. Doch da sind schwer zu übersehende Mängel: Durch
nahezu siebzehn Bilder zieht sich die „dramatische Histo¬
rie“, wie Schnitzler sein neues Stück zu benennen be¬
liebt, hin. Wahrlich, eine Leistung für ein modernes
und gar für das Wiener Publikum, das das angenehme
Ende gerne mit dem Ersparnis eines Sperrsechserls ver¬
bindet. Aber die Leute hielten tapfer aus. Von halb
sieben bis beinahe zwölf wurde gehört, gejubelt und
gestampft. Nach jedem Einschnitte, wenn nur der Vor¬
hang Miene machte, sich zu senken, wurden die Dar¬
steller und der Dichter gerufen, und Schnitzler dankte
selbst bis zur Erschöpfung. Die Handlung dieser „dra¬
matischen Historie“ ist schwer zu skizzieren. Die Einheit¬
lichkeit der Handlung ist in vielzuvieles Nebenher auf¬
gelöst. Eigentlich sollte das Schauspiel „Medardus und
Helene Valois“ heißen. Denn das Schicksal zweier Men¬
schen wird erzählt, das an starken Fäden nebeneinander
herläuft. Das Vorspiel erzählt das tragische Ende der
Liebe zwischen Agathe und François, dem Sohne des
Theonprätendenten, Herzogs von Valois. Wir sind in
das Jahr 1809 nach Wien versetzt, in die Zeit vor und
nach der Schlacht bei Aspern. Medardus, der Sohn
der Buchhändlerswitwe Franziska Klähr, will des näch¬
sten Morgens als Soldat zum österreichischen Heere ab¬
gehen. In die Lust des Abschiedsfestes bringt man die
Ertrunkenen, seine Schwester und den Franzosen. Me¬
dardus ahnt sofort den Zusammenhang. Jetzt will er
bleiben, um Rache zu üben. Auf diese dramatische Ein¬
leitung folgen die langen Akte des Trauerspiels. Die
beiden Selbstmörder werden begraben. Zwischen den bei¬
menhe
den Familien der Toten kommt es zu einer unerquick¬
lichen Szene. Medardus wird von dem Marquis von
Batots, dem künftigen Ehegatten Helenens, zum Duell
gefordert. Im zweiten Kampfe erhält Medardus eine
leichte Verwundung; Helene beginnt sich für ihn zu
interessieren. Sie läßt ihm Blumen schicken, es kommt
zu einem nächtlichen Stelldichein, das nur Medardus'
Rache dienen soll. Sein Plan gelingt: er ruft die Schande
Helenens, die er ganz besessen, öffentlich aus. Bis hieher
folgte das Publikum in erwartungsvollster Aufmerlsam¬
keit der Handlung. Doch nun verwirrt sich der Knäuel;
Abspannung wird bemerkbar. Wien wird beschossen und
ergibt sich Napoleon. Helene ist dem Marquis von Valois
angetraut. Doch die Abreise der beiden nach Frank¬
reich wird durch eine Einladung an den kaiserlichen Hof“
verhindert. Atlanten, deren Besitz der Kaiser unter An¬
drohung der Todesstrafe verboten, werden aus dem
Hause Klähr geschafft und bei dem Sattlermeister Eschen¬
bacher versteckt. Ein Schleicher verrät das Geheimnis,
Eschenbacher wird gefangen abgeführt; vergeblich will
Medardus die Schuld auf sich nehmen. Eschenbacher bleibt!
untgernbrf und wird