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sintetetetie Belsen)
ist da nicht zu Hause und fühlt sich da förmlich bodenständig und
box 26/5
22. Denjunge Medandus
hört und sieht das, was ihm die Szene als pariserisch vor¬
führt, mit völligem Heimatsinteresse an, erhöht noch durch
den prickelnden Reiz der Neugier, weil's ja doch ein bißchen die
Fremde ist, und zwar die lockende Fremde. Es ist dann, als
wenn man in der eigenen Vaterstadt auf Entdeckungsreisen aus¬
geht und in interessante Gassen und Gäßchen gerät, wo man
zeitlebens nicht gewesen und dennoch zu Hause ist. Und mit
London ist es so ziemlich das nämliche und mit Berlin auch, für
die deutschen Publikümer wenigstens, unbeschadet allem Partikularismus
und allem Stammennterschied — denn sonst hätte Berlin unmöglich in den
sletzten zwei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts die Theater¬
führung an sich reißen und der Stapelplatz des deutschen Schau¬
spiels werden, für den Erfolg eines Stückes in erster und letzter
Linie den entscheidenden Ausschlag geben können. Ein Wiener
Erfolg galt seither — wie sich ein Wiener Autor ausgedrückt hat
bloß als der „Präsentierteller“, auf dem die dramatifche
Speise weitergereicht wird, womit noch nicht ausgemacht ist,
daß auch alles zugreift. Der Berliner Erfolg qualifizierte sich zum
zwingenden „Muß“ für die anderen Theater, während der Wiener
Erfolg sich nur als ein artiges „Ist's gefällig?“ präsentierte. Und
nun gar Wien als der Schauplatz eines dramatischen Begebnisses,
noch dazu eines historischen. Da erschien die Misere unseres
Fremdenverkehrs in ihrer entmutigendsten Dürftigkeit. Wer soll
sich für Geschichten und Historien interessieren, die ins Wien vor¬
gehen, außer wenn er selbst Wiener ist? Und auch da nicht
durchweg. Wie viele Wiener denken sich im Theater lieber nach
Paris hin und, wie man weiß, ist es ja in neuerer Zeit gerade
wiederholt vorgekommen, daß hiesige Autoren sich hinter französische“—
Pseudonyme steckten, um einer Komödie mehr Lockreiz zu
geben, womit der Theateragent sicherlich einverstanden war.
Darum haben oder hatten die „vaterländischen Autoren“ — denn
eine erfreuliche Wendung ist unverkennbar im Anzug — eine
förmliche Angst vor „Wiener Stoffen“, weil „draußen“ nichts
damit zu machen sei und der „Umsatz“ ein sehr beschränkter
bleiben müsse. Der spannendste, handlungsbewegteste „Wiener
Stoff“, der, nach allem Dafürhalten, als seiner Wirkung
unbedingt sicher hätte gelten müssen, schien alle Erfolgsgarantien
und alle Chancen des Betriebes und der Verbreitung einzubüßen,
wenn er nicht aus Wien heraus anderswohin verlegt wurde. Als
wenn dieses Wien ein versemter Boden wäre!
Vor Jahren einmal lancierte ein Wiener Schriftsteller den
Einfall, der aus den vorangeführten Betrachtungen gekommen war,
es sollten sich die österreichischen Bühnenautoren zu einer Arb
„Minengesellschaft“ zusammenfinden, die Schätze zu heben, die in
den Schächten der österreichischen Geschichte, im Wiener Schachte
„OBSERVER“
zumal, wie ungekannt ruhen. Nicht Raubbau sollte dort getrieben,
1. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
das Publikum nicht etwa bis zum Anwidern mit „vaterländischen
Ausschnitte und Bibliographie.
Stücken“ vollgepfropft werden — mit Bedacht und nach freier
Wien, I., Conoordiaplatz 4.
dichterischer Inspiration sollte dabei vorgegangen werden, daß sich
im Laufe der Jahre vielleicht ein Historienzyklus ansammeln
Vertretungen
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
möchte, nicht ausschließend historische politische Bilder, sondern
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
dramatisch bewegte Gesellschafts= und Kulturbilber aus dem Volks¬
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
leben der verschiedenen Jahrhunderte. Ueber die Türkenbelagerung,
burg, Toronto.
über Maria Theresia, Kaiser Josef und die Franzosenzeit ist das
Qaellenangabe ohne Gewähr.)
shistorische Wiener Stück wenig hinausgekommen, für dauernden
Ausschnitt aus:
Bestand schon gar nicht — Grillparzers „König Ottokars Glück
Mauas Wiener Journal
und Ende“ bildet mit seinen Wiener Szeuen noch immer so ziemlich
das Umundauf unseres Inventars an heimischen Historien.)
V
Man durchgehe die älteren und neueren Repertoires unserer
Bühnen — man wird, außer Eintagszufälligkeiten, nichts darin
##den. Nun es ahnen nicht viele, welcher Reichtum an
Das verpönte Wien.
dramatischen Köstlichkeiten sich da birgt. Der Proponent aber wurde
Schnitzlers „
einfach ausgelacht — nicht weil die Form seines Vorschlages
Eine Randbemerkung zu
vielleicht ungefüge, unpraktisch und sehr änderungsbedürftig war,
junge Medardus“.
nein, der Einfall an und für sich wurde verlacht, sich mit etwas so
Das Ereignis der Burgtheatersaison, Arfer Schnitzlers
„Undankbarem“ beschäftigen zu wollen. Ob man denn Stücke für
„Wiener Historie“ trägt ein außerhalb der eigentlichen kritischen
Wien allein schreiben könne, für die sich „draußen“ kein Mensch¬
Bemerkung liegendes Moment in sich, das wohl gewürdigt zu
interessiere und die also nicht „gehen“! Das theatermerkamile
werden verdient. Ein Moment, ich möchte sagen, heimatlichen
Moment.
Opfersinnes, eine dichterische Tat bewußter und entschlossener
Verzichtleistung auf mancherlei Geschäftsvorteil“ und des Pro¬
Und darum ist „Der junge Medardus“, an den der Poet
testes gegen den Theatergeschäftsbann, der auf unserem guten ja dach die Arbeit und die Mühen von Jahren gesetzt hat, eine
Wien als Schauplatz dramatischer Hof= und Staats= und
Tat dichterischer Selbstlosigkeit in schönem heimatlichen Empfinden.
S. S.
auch Volksaktionen liegt. Um es mit dem platt¬
Kern der Sache treffenden
e nüchternen, aber
i Worte zu bezeichnen, auf die „Tantiemenspekulation“ im „kauf¬