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22. Derjunge Medandus
Wien,., Se22e. —
Vertretungen
In Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania.
Gent, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quelienangabe ahne Gewüh).
Ausschnitt aus:
Die Bombe, Wien
4. 12.1010
vom:
Theater
7
agenge
K
„Der junge Medardus“ von Artur
Schnitzler ist nun einmal das Tagesgespräch
Vof- WrEn und so mögen einige Worte über diese
mit so großem Applomb angekündigte Novität
gesagt werden.
Den Kern dieser „dramatischen Historie“
bildet eigentlich ein gewöhnliches Boulevarddrama.
Ein Jüngling will seine von einem hoch¬
adeligen Liebhaber zum Doppelselbstmord verführte
Schwester rächen und fängt zu diesem Behufe
eine Liebelei mit der Schwester des Aristokraten
an. Motiv: Liebst du meine Schwester, so liebe ich
deine Schwester.
In einer schwülen Nacht wird der Racheakt
oder waren es mehrere Racheakte — vollbracht.
Sonst sagt man gewöhnlich: Rache ist süß -
der Schnitzlersche Held denkt: Süßigkeit
ist Rache!
Nun will die aristokratische Schönheit sich
auch an Jemanden rächen, nämlich an Napoleon
und so will sie ihren bürgerlichen Liebhaber zum
Attentäter machen. Dieser hat jetzt noch eine andere
Rache auf sich genommen, da sein Oheim auf
Napoleons Geheiß erschossen worden ist. Da aber
die Rache an Napoleon nicht so angenehm durch¬
zuführen ist, wie an der aristokratischen jungen
Dame, nimmt er ein großes Messer mit. Aber im
Augenblick, wo er auf Napoleon losgehen kann,
sieht er seine Geliebte zum großen Usurpator
gehen und ersticht sie. Es stellt sich nun heraus,
daß sie eigentlich zu Rachezwecken den Weg ge¬
macht hat und der junge Medardus hat in ihr
nur eine Konkurrenz beseitigt. Zum Schlusse wird
er auf Napoleons Geheiß umgebracht.
Diese Kolportage-Roman-Handlung wird nun
mit endlosen Volksszenen umsponnen und mit
allen Hilfsmitteln eines riesig großen Personals
und der Drehbühne durch zirka fünf Stunden dem
Publikum vorgeführt.
Auch hier wieder die oft erprobte Schnitzler'
sche Dramentechnik, der Dreh. Man besucht junge
Aristokratinnen zur Nachtzeit, aber nur um sich
zu rächen. Man will Napoleon umbringen und
ersticht die eigene Geliebte, man will sich opfern
und opfert in sinnloser Wut andere Leute.
Immer der Dreh — daher auch die Dreh¬
bühne.