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können es nicht unterlassen, unsere Meinung auch
darüber zu äußern, und zwar deshalb, weil es
jeden guten Patrioten wahrhaft schmerzen muß,
im k. k. Hofburgtheater eine für nus Oesterreicher
der schmerzlichsten Episoden wiedererweckt zu sehen,
die, wenn auch ein Jahrhundert darüber hin¬
gerauscht, doch heute noch immer zu wenig ver¬
gessen und vernarbt ist, um nicht bei der leifesten
Berührung aufs neue wieder zu schmerzen und zu
binten. Wer immer diese Schnitzlersche Komödie
Längenommen und für das Burgtheater reif ge¬
halten hat, hat sich damit, gelinde gesagt, kein
Verdienst erworben. Der unhistorische Teil mit all
seinen Fälschungen von Tatsachen vermag über das
Hauptsujet nicht hinwegzutäuschen: „Napoleon in
Schönbrunn“, der Korse als Diktator, der Welt¬
eroberer in all seiner Größe und Macht im Herzen des
Reiches, in Wien. Wie dankbar wäre man, wenn
diese Zeit der tiefsten Demütigung aus der Geschichte
=Oesterreichs für immer ausgelöscht werden könnte
doch niemand kann es, niemand wird es wagen,
kommenden Geschlechtern diese traurige Tatsache zu
entstellen oder zu beschönigen. Und weil dem so ist,
so war es höchst überflüssig, aus einer der traurigsten
Begebenheiten ein Theaterstück zu zimmern, in
welchem der Antor das biedere Wiener Volk von
anno 1809 im Schloßhof von Schönbrunn, in jener
historischen Sommerresidenz, die nun seit Jahren
unserem vielgeliebten Kaiser als Lieblingsaufenthalt
dient, mit volltönenden Stimmen rufen läßt: „Hoch
Kaiser Napoleon“. Also auch diese Huldigung,
die noch sehr anzuzweifeln wäre, ob sie wirklich von
unseren Wienern geleistet worden ist, mußte zur
Hebung der dramatischen Historie im k. k. Burg¬
#theater anno 1910 gehört werden. Niemandem wird
es einfallen, die Größe Napoleons herabsetzen zu
wollen, doch taktlos ist es auf jeden Fall, die, wenn
auch nur kurz währende Franzosenwirtschaft in Wien
zu einem Unterhaltungsobjekt zu machen. Wenige
kehren nach einer fünfstündigen Sitzung befriedigt
aus dem Burgtheater heim. Niemand kommt auf
seine Rechnung, und wer da glaubt, sich zu unter¬
halten oder zu belehren, kommt am schlechtesten weg.
denn Artur Schnitzlers Historie wimmelt ja von
Unrichtigkeiten. Er gebraucht unter anderem für seine
Pikanterien Namen, die zur Zeit Napoleons längst
von der Erdfläche verschwunden waren. So ließ er —
die armen Valois wiedererstehen, um nur herum¬
residierenden Kronprätendenten eins am Zeug
flicken zu können. — Wie dem auch immer sei,
eines hat die lange Komödie doch für sich, eine
Revne fast aller Burgschauspieler, das war wirk¬
lich interessant! Aber welche traurige Wahr¬
nehmung gewährte es, den Nachwuchs des Burg¬
#theaters hier en bloc beisammen zu sehen! Wie
erqnicklich war hingegen das 9. Bild: Salon
im Schloß, einige Mitglieder der Familie
Valois vereint zu sehen. Herr Hartmann,
jeder Zoll ein Herzog in Sprache und Gebärde,
Herr Devrient als Marquis von Valois vor¬
nehm vom Scheitel bis zur Sohle, und Herr
Reimers als General Rapp korrekt und edel
in jeder Bewegung, mit jedem Wort. Nur Fräu¬
lein Wohlgemuth als Prinzessin Kokotte
paßt nicht in dieses prächtige Ensemble, denn sie
war weder Prinzessin noch Kokotte. Eine Prin¬
zessin, noch dazu eine französische, darzustellen,
dafür hat sie weder Exterieur noch die Manieren,
und geradezu lächerlich wirkte sie in den Szeuen
mit dem jungen Medardus, dem Herr Gerasch
weder in Spiel noch in Gestalt gewachsen ist
und es wohl sehr verfehlt war, ihm diese große
und tragende Rolle zuzuweisen. Vorzüglich wie
immer war Frau Bleibtren, und besonders
hervorzuheben sind die Herren Treßler und
Balajthy. Die Ausstattung ist brillaut und
der szenische Apparat ganz vorzüglich.
Telephon 12.801.
4
„ODSENVER
I. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Conoordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
#vollenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
BERLINER TAGBLAT
20062. 1910
vom:
worden. Die Vorsich
Der neue Schönherr.
Papsttums verfolgt,
Von
Welt verborgen.
hndl
(Nachdruck verboten.]
und verwiesen,
Stefan Grossmann (Wien).
Gebieter an
sich,
Ich entsinne mich nicht, seit Jahren ähnliche Huldigungen für
wurden Zillertaler
einen Dichter mit angesehen zu haben wie dieser Tage im Deutschen
Diese „Tragödie ei
Volkstheater bei der ersten Aufführung der Bauerntragödie „Glaube
fünf Gestalten zu repr
und Heimat." Obwohl Karl Schönherr ein stolz isolierter
Jahr lang sein evange
Poet ist!. Er trägt weder die Punze „Jungwien“ noch ist
sohn, der unwillkürlig
er ein landläufiger Freiheitsdichter, er journalistelt nicht, und
katholisch bleibt und z
selbst seine Tiroler Landsmannschaft steht nicht hinter ihm,
schaften der Vertriebe
denn er schillert weder ins Schwarze, noch ins Schwarzrotgoldene.
Format, ein einziger ka
Triviale Lieblichkeit, bourgeoise Versöhnlichkeit liegen diesem strengen
geschwungenem Schwer#
Kopf gleich fern, er wirbt nicht weibisch um die Gunst des
hätte die Legionen de
Publikums, wie Arne Garborg sagte, er arbeitet für einen Einzigen,
gebracht, wie sie mit
für Karl Schönherr. Der Mann, der allein steht, war wieder einmal
katholisch erzwingen
der Stärkste.
Krieger in die Mitte d
„Glaube und Heimat“ ist Karl Schönherrs Meisterstück. Wir
hinter dem Einen das
wußten's, da wir's lasen. Wahrscheinlich ist es knapp vor
Zelotenschar, die Schwer
Jahresschluß herausgebracht, damit es mit dem Grillparzer¬
indem sie die Leiber ze
preis gekrönt werde. Viel Werke stehen da nicht in Konkurrenz.
Ohne den leisesteng
##n lleicht noch Schnitzlers „Medardus“, um nur von den Oester¬
sentimental=männliche
reichern zu reden. Aber wie viel tiefer, erlebter, gedrungener ist
Heimatsthema variiert
Schönherrs Tragödie! Der „Medardus“ ist eine kunstreiche Schnitzlerei,
noch von den vertrie
„Glaube und Heimat“ ist ein in Erz gegossenes Werk. Auch die Schön¬
das Straßentrapperl un
herrliche Tragödie ist, wie der „Medardus“ ein historisches Drama,
besorgen sich Paß und
aber freilich Schönherr steht der Tiroler Geschichte nicht gleichmütig,
geboren wird, weiß, wer
psychologisch=witzelnd gegenüber, die Vergangenheit wird ihm, so wie
die Szeue: Auch Eltern
er sich in sie versenkt, brennend gegenwärtig, der Urväter Schicksal
andere Variation: Der
wird als eigenes empfunden. ... Glaube oder Heimat? Das ist
keiten aufgepackt. Da hä
das starke einfache Gerüst dieser Dichtung. Tiroler Bauern werden
und ein Vogelhäusel draß
— in der Gegenreformation — vom angestammten Boden vertrieben,
Das spielende Kind will
weil sie den evangelischen Glauben nicht abschwören. Prachtvoll ist die
lich machen...
Verwachsenheit mit dem eigenen Grund gezeichnet, dieses Jahr¬
Die Tragödie steigt b
hunderte alte Gemeinschaftsleben mit jedem Stück Leinen, mit jedem
soll aus dem „Dreig'spa
Birnbaum, mit jeder Truhe, mit dem Acker, den schon der Urahn
weil ja die jungen See
bearbeitet. Selbst Anzengruber hat doch eigentlich stets nur den
werden. Der Leichtfü
Sonntag= und Wirtshausbauern dargestellt; den erdschweren Arbeits¬
Mühlbach. Dort ersch
bauern hat Schönherr als Erster gestaltet.
liert der Rottbauer alle
In diesen Dickschäbeln ist einmal, durch ein Wunder, das kein
fäusten preßt er den R
Geschichtsforscher erklären kann, ein Lichtlein angezündet worden, um dem Verderber seines
Diese konsorvativsten Köpfe sind durch die Reformation revolutioniert) doch, ehe er den Todesst